Pistenrowdys sind nicht immer die anderen
Blauer Himmel, tolle Schneeverhältnisse: Das Vergnügen auf den Pisten wird jedoch zunehmend durch Raser auf Skis und Snowboards getrübt.
Schärfere Kontrollen und härteres Vorgehen gegen Pistenraser sind angesagt.
29.12.2005: In St. Moritz, Kanton Graubünden, prallen eine Skifahrerin und ein Snowboarder heftig aufeinander. Beide müssen per Helikopter in Spitäler in Chur und St. Moritz geflogen werden. Die Skifahrerin erleidet schwere Verletzungen am Kopf und im Gesicht.
Eine fast alltägliche Meldung in den Wintermonaten: Landesweit gab es 2003 beim Skifahren und Snowboarden laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) 78’550 Verletzte, fast 12’000 mehr als drei Jahre zuvor. Davon sind 6% auf Kollisionen zurückzuführen, Tendenz steigend.
Falscheinschätzungen
Neun von zehn Unfällen im Wintersport ereignen sich, weil die Bedingungen auf der Piste und das eigene Können falsch eingeschätzt werden.
Das Risiko eines selbst verschuldeten Unfalls sei mit 94% sehr viel höher als jenes, von einem anderen Sportler verletzt zu werden, heisst es bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva).
Kollisionen mit anderen verursachten zwar oft schwer wiegende Verletzungen, doch diese seien extrem selten.
Regierung gegen Pistenpolizei
Die Schweizer Regierung will keine Pistenpolizei mit Straf- und Bussenbefugnis gegen Pistenrowdys. Nach ihrer Meinung haben die Kantone die notwendigen Mittel, um Rasern auf der Piste das Handwerk zu legen. Auch die Pistenbetreiber seien zur Unfallprävention verpflichtet. Zudem würden regelmässig Kampagnen zur Unfallverhütung durchgeführt.
Das stand in der Antwort der Landesregierung auf eine Motion des sozialdemokratischen Nationalrates Paul Günter. Mit Verweis auf die steigenden Unfallzahlen im Wintersport hatte Günter sicherere Pisten und Massnahmen verlangt, um den «zunehmend fahrlässig rasenden Pistenrowdys» Einhalt zu gebieten.
Sanktionen gegen Wiederholungstäter
Der Verband der Schweizer Seilbahnen (SBS) hat jüngst gefordert, gegen rücksichtslose Wintersportler einzuschreiten.
«Aber wir sind absolut der gleichen Meinung wie die Regierung: Es braucht keine Pistenpolizei», sagt SBS-Sprecher Felix Maurhofer gegenüber swissinfo. «Wir haben genug Regelungen, jene des Internationalen Skiverbandes (FIS), unsere Signalisationen und unsere eigens ausgebildeten Patrouilleure, die für den Ordnungsdienst auf den Pisten verantwortlich sind, also nicht nur für Sicherheit, Markierung und Rettung.»
Sie sollen Leute, die gegen die FIS-Regeln verstossen, ansprechen und ermahnen. Für Wiederholungstäter empfiehlt der SBS Sanktionen wie Wegnahme des Skiabos oder Bussen.
Tempo 30 auf der Skipiste
Im Skigebiet First in Grindelwald, Kanton Bern, liegt seit Anfang Jahr die erste Schweizer Tempo-30-Zone. Gegen zwei Kilometer Piste sind für langsame Fahrerinnen und Fahrer reserviert. «Wir sind gespannt, wie sich dieser landesweit erstmalige Versuch in die Praxis umsetzen lässt», sagt Peter Wenger, Sprecher der für die ganze Wintersportregion zuständigen Jungfraubahnen.
Die Akzeptanz der Tempo-30-Zone, die von ihrem Erscheinungsbild her an die Strassenverkehrsregeln erinnere, sei gross. «Und Tempo 30 in Städten ist mittlerweile etwas sehr Geläufiges, man weiss, wie man sich darin verhält», so Wenger zu swissinfo.
Eigenverantwortung statt Sanktionen
Sanktionen gegen Temposünder sind nicht vorgesehen. «Wir haben weder die gesetzliche Grundlage dazu, noch sind wir mit der Pistenpolizei unterwegs», erklärt Wenger. Man werde aber Fehlbare überzeugen, auf den anderen Pisten zu fahren.
Wenger weist auf eine Reihe weiterer Sicherheitsmassnahmen hin, mit denen sich nicht nur die Raser, sondern auch die schwächeren Fahrer schützen können. «Wenn zum Beispiel jeder einen Helm tragen würde, wäre alles schon viel, viel einfacher.»
«Massnahmen, die an die Selbstverantwortung appellieren – also auch die Tempo-30-Zone -, sind uns viel sympathischer als polizeiliche Sanktionen. Denn immerhin geht es ja um ein Freizeitvergnügen und nicht um eine Freizeitreglementierung.»
Italien als Vorbild
Italien ist das einzige Wintersport-Nachbarland, das auf gesetzlicher Ebene Sicherheitsmassnahmen auf den Pisten festgelegt hat: Es gilt eine allgemeine Helmtragpflicht.
In Österreich, Frankreich und Deutschland ist es wie in der Schweiz: keine gesetzlichen Massnahmen, keine Pistenpolizei, Verantwortung bei den Seilbahnen.
Lediglich im österreichischen Vorarlberg gibt es eine Art Pistenwacht: Das sind auf Grund des Sportgesetzes vereidigte Amtspersonen, die Bussen erteilen und Abonnemente entziehen können.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Von rund 67’000 Schweizerinnen und Schweizern, die jedes Jahr auf der Piste verunglücken, stürzen 94% selbst verschuldet.
10% aller Verletzungen betreffen den Kopf; besonders anfällig sind zudem Knie, Bein und Fuss.
Landesweit gab es 2003 beim Skifahren und Snowboarden 78’550 Verletzte, fast 12’000 mehr als drei Jahre zuvor; davon 6% infolge von Kollisionen.
Die Suva organisiert diesen Winter in Zusammenarbeit mit den Schweizer Schneesportschulen ein Sicherheitstraining für Ski- und Snowboardfahrer und -fahrerinnen.
Sie werden über sichere Carvingtechnik, die wichtigsten Sicherheits-Regeln auf der Piste und die erforderlichen Schutz-Ausrüstungen instruiert.
Zudem ist eine praktische Anwendung der Regeln des Internationalen Skiverbandes (FIS) im Unterricht integriert.
Belohnung: Die Teilnehmenden erhalten die Tageskarte für das jeweilige Skigebiet zum halben Preis.
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