Politischer Aufstand der Fanclubs
In der Schweiz finden in den nächsten Jahren Sport-Grossereignisse statt. Um gewaltsame Besucher fernzuhalten, wurde ein umstrittenes Hooligan-Gesetz erlassen.
Jetzt stellen sich die Fans gegen das Gesetz. Anders als in andern Ländern können sie versuchen, dazu eine Volksabstimmung zu erwirken. Und tun das auch.
2008 finden in der Schweiz die Fussball-Europameisterschaften statt, ein Jahr später die Eishockey-WM. Da muss mit gewaltbereiten und unerwünschten Besuchern gerechnet werden.
So kam es, dass fast alle Kantone vom Bund gesetzliche Grundlagen verlangten. Das Problem dabei: Kann der Bund überhaupt ein solches Gesetz erlassen, da die Polizeihoheit bei den Kantonen liegt?
Doch die Zeit drängte, und die Frage wurde nicht abschliessend beantwortet. So beschlossen die Räte, das Gesetz befristet zu erlassen, bis 2009. Dann werde endgültig darüber befunden. Und – nebenbei gesagt – dann sind die Grossanlässe ja auch über die Bühne gegangen.
Rechnung ohne Fans gemacht
Die Schweiz lehnt sich beim «Hooligan-Gesetz» an Deutschland an und erliess dazu das «Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit» (BWIS).
Anders als in andern Ländern kann das Gesetz in der Schweiz theoretisch noch vom Volk verhindert werden. Gegen das Gesetz ist nämlich das Referendum ergriffen worden.
Bis zum 13. Juli 2006 müssen die dazu erforderlichen 50’000 Unterschriften beisammen sein. Verläuft die Sammlung erfolgreich, muss das Gesetz dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden.
Ungewohnt ist das Referendumskomitee. Es besteht aus Vertretern verschiedener Fangruppierungen von diversen Fussball- und Eishockey- Vereinen aus der ganzen Schweiz. Personen, die sich bislang eher lautstark denn politisch in den Vordergrund schoben.
«Schon bis anhin mussten wir Fansgruppen viel Willkür über uns ergehen lassen, so etwa Stadionverbote. Und nun noch dieses Gesetz. Damit wird die Willkür auf höchster Ebene legalisiert», sagt Ruben Schönenberger, der Pressesprecher des Referendumskomitees und Fan des FC St. Gallen.
Haft ohne Richter
Das Gesetz sieht eine «Hooligan-Datenbank» und individualpräventive Massnahmen (24 Stunden Haft) sowie einen Meldeauftrag für notorische Randalierer vor.
Christoph Vögeli ist Hooligan-Spezialist der Stadtzürcher Polizei. Er sagte gegenüber dem Zürcher Tagesanzeiger, die Polizei könne heute erst eingreifen, wenn ein Tatbestand erfüllt sei.
Vögeli lancierte die nationale Hooligan-Datenbank mit weiteren flankierenden Massnahmen. Anders sei, so sagt er, das Hooligan-Problem kaum in den Griff zu bekommen.
«Uns stört der Paragraph über den Nachweis von gewalttätigem Verhalten», sagt Schönenberger. Damit reiche eine administrative Entscheidung der Polizei, um jemand in Haft zu nehmen; es brauche keine gerichtliche Verurteilung. Auch wenn ein Verein eine Person als gewalttätig bezeichne, könne die Polizei aktiv werden.
«Nichts läuft über einen Richter. Die Unschuldsvermutung, die wir im Rechtstaat Schweiz eigentlich kennen, wird gekippt. Ich bin schuldig, bis ich meine Unschuld beweise», sagt Schönenberger. «Das akzeptieren wir nicht. Und deshalb ergreifen wir das Referendum.»
Kaum jemand hilft mit
Die Sportfans sind beim Unterschriftensammeln auf sich gestellt. Auch die Sozialdemokratische Partei (SP) und die Grünen, die sich in den Räten gegen das Hooligan-Gesetz gestellt hatten, helfen dem Referendumskomitee nicht.
«Es hätte uns gefreut, wenn die beiden Parteien mitgemacht hätten. Aber sie haben schon im Vorfeld gesagt, dass sie einen vollen Terminkalender haben», sagt Schönenberger.
Wie viele Hooligans gibt es in der Schweiz denn eigentlich? Der Hooligan-Spezialist Vögeli spricht von 10% gewaltbereiten Fans. Laut Ruben Schönenberger sind es rund 200 und noch etwa 1000 im weiteren Umfeld.
«Um diese Personen, die wir auch ablehnen, in den Griff zu kriegen, reichen die bestehenden Gesetze aus.»
Und die Fussball- und Eishockey-Vereine? Unterstützen die ihre Fans? «Nicht direkt», so Schönenberger. «Aber wir dürfen vor den Stadien Unterschriften sammeln.»
Sowieso fragt sich der St. Gallen-Fan, ob die Vereine ihre Fans überhaupt noch wollen. «Ich bin mir nicht mehr sicher. Gerade Fussball wird immer kommerzieller und die Vereine stehen vor der Entscheidung: Stimmung oder Geld, und das Geld scheint zu gewinnen.»
swissinfo, Urs Maurer
Hooligan ist die Bezeichnung für eine Person, die vor allem im Rahmen bestimmter Sportereignisse durch aggressives Verhalten auffällt.
Die Hooligan-Szene dürfte in der Schweiz gegen 400 militante Anhänger haben, die Zahl der Mitläufer wird auf 600 geschätzt.
Die Gewalt in Fussball- und Eishockeystadien hat auch in der Schweiz in den vergangenen Jahren zugenommen.
Nicht zuletzt daher hat die Schweiz wie andere Staaten in Europa ein Gesetz erlassen, um gegen Hooligans vorgehen zu können.
Das revidierte Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit sieht folgende Massnahmen vor:
Konfiszierung von Propaganda-Material, das zu Gewalt aufruft.
Hooligan-Datenbank über gewaltbereite Fans.
Stadionverbote oder Reisebeschränkungen.
Meldepflicht auf einem Polizeiposten oder, als letzte Möglichkeit, Präventivhaft von maximal 24 Stunden.
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