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Politischer Druck gegen Gewalt in Computerspielen

Virtuelles Blut: Ein Computerspieler schiesst sich seinen Weg frei. Keystone

Je gewalttätiger, desto beliebter: Computerspiele sind für viele Kinder und Jugendliche virtueller Alltag. In einer Petition fordert Pro Juventute die Durchsetzung von Altersbeschränkungen.

Zentrale Punkte: Eine nationale Zertifizierungsstelle soll Alterslimiten festsetzen, die Kantone sollen deren Einhaltung nach einheitlichen Richtlinien kontrollieren.

Prügeleien auf dem Pausenhof, Mobbing auf dem Schulweg, sexuelle Gewalt gegen Minderjährige: Gewalt von Jugendlichen und Kindern beschäftigt nicht nur Gerichte und Lehrer, sondern auch Eltern und Experten. Und grosse Teile der Gesellschaft.

Eine wichtige Rolle dabei spielen Computerspiele. Namentlich jene, bei denen Gewinnchancen durch virtuelle physische und sexualisierte Gewalthandlungen gesteigert werden können, findet die Organisation Pro Juventute.

Sie hat deshalb eine Petition lanciert. «Wir fordern in der Bittschrift die Schaffung einer nationalen Zertifizierungsstelle», sagt Jolanda Bertozzi von der Geschäftsleitung der Jugendschutz-Organisation gegenüber swissinfo. Im Auge ist dabei das Wohl von Kindern und Jugendlichen von drei bis 18 Jahren.

Repression und Prävention

«Die Behörde legt gesamtschweizerisch fest, welche Gremien die Inhalte prüfen und die Altersbeschränkung bestimmen», sagt die Sozialpädagogin und Präventionsfachfrau. Darin seien sowohl die Unterhaltungsindustrie wie der Bund vertreten.

Gewalttätige Spiele lösen laut Pro Juventute aggressives Handeln nicht direkt aus. Doch sie förderten die Tendenz zu aggressivem Denken und Handeln sowie Konflikte eher gewaltorientiert zu lösen, statt konstruktiv und konsensorientiert.

Neben der Repression setzt die Organisation auf Prävention. Bund und Kantone müssten mehr Anstrengungen unternehmen, die Kompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Umgang mit Unterhaltungsmedien zu fördern, lautet eine Forderung der Bittschrift.

Untaugliche Selbstregulierung

Die heutige Praxis kritisiert Bertozzi in mehrfacher Hinsicht als untauglich. Das Selbstregulierungssystem der Unterhaltungsindustrie verhindere einerseits nicht, dass Kinder sehr leichten Zugang zu alters-unangemessenen Spielinhalten hätten.

«Für ein achtjähriges Kind ist es kein Problem, ein Spiel mit gewalttätigen Inhalten zu erhalten, das erst ab zwölf Jahren freigegeben ist», so Bertozzi.

Andererseits hätten alle Kantone verschiedene Regelungen, die jeweils vom Medium wie Kino etc. abhängig seien. «Wir möchten, dass die Altersbeschränkung eingehalten wird, unabhängig vom Medium, welches das Kind benutzt», sagt Bertozzi.

Knacknuss Internet

Die grösste Herausforderung bieten gewalttätige Spiele und Angebote aus dem Internet. «Tatsächlich dürfte die Kontrolle im Internet am schwierigsten sein», bestätigt die Präventionsexpertin. Eine solche sei heute nicht oder erst ansatzweise vorhanden.

Dennoch gibt es Ansatzpunkte. Dazu zählt Bertozzi einzelne Anbieter, die sich glaubwürdig um Schutzmassnahmen kümmerten. Und dann vor allem die Praxis in Deutschland, wo das Angebot von jenen Inhalten bestraft wird, die nicht für Kinder unter 18 Jahren freigegeben sind. «In der Folge sind diese Angebote massiv zurückgegangen», betont sie.

Neben der staatlichen Regulierung will Pro Juventute dem Problem auch mit einem griffigeren Kinder- und Jugendschutz begegnen. Das Strafgesetzbuch bietet zwar mit Artikel 135 schon jetzt eine Handhabe gegen besonders krasse Gewaltdarstellungen. Dennoch genügt es laut Bertozzi, wenn im Verwaltungsrecht festgelegt wird, wie der Jugendschutz auszusehen hat, wer die Kontrolle übernimmt, und dass die Kantone sich gesamtschweizerisch an diese Regeln halten müssen.

Im Sommer im Parlament

Bis jetzt haben 36’000 Personen die Petition unterzeichnet. Ziel von Pro Juventute ist es, im Mai mit 50’000 Unterschriften an den Bundesrat zu gelangen.

Im Bundeshaus hat die Zürcher Nationalratin Chantal Galladé das Terrain bereits vorgespurt. In ihrem Postulat fordert die Sozialdemokratin die Regierung auf, zusammen mit den Kantonen eine einheitliche Gesetzgebung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Unterhaltungsmedien zu prüfen. So, wie es auch die Organisation anregt.

Die Überweisung des Postulats durch die Regierung interpretiert Jolanda Bertozzi als gutes Zeichen. Der Nationalrat wird in der Sommersession darüber beraten.

swissinfo, Renat Künzi

Pro Juventute ist eine private, politisch unabhängige, konfessionsneutrale und schweizweit tätige Stiftung.

Sie setzt sich für die Erfüllung der Bedürfnisse und die Umsetzung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz ein.

Sie hilft in Notfällen, bietet soziale Dienstleistungen an und fördert Kinder und Jugendliche in ihrer persönlichen Entwicklung.

Pro Juventute orientiert sich an den Grundsätzen der UNO-Kinderrechts-Konvention.

Im Jahr 2012 feiert Pro Juventute ihr 100-jähriges Bestehen.

In jüngster Zeit haben mehrere Fälle von brutaler Gewalt durch Jugendliche die Öffentlichkeit bewegt.

1./2. Februar: Drei junge Männer zwischen 19 und 21 Jahren prügeln am Karneval von Locarno einen 21-jährigen Tessiner zu Tode.

Ende November 2007 erschoss ein 21-jähriger Rekrut in Zürich eine ihm unbekannte 16-Jährige. Die Waffe: ein Armee-Sturmgewehr.

November 2006: eine Gruppe Jugendlicher wird beschuldigt, in Zürich-Seebach ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigt zu haben. Zwei von ihnen stehen im kommenden März vor Gericht.

Ebenfalls im November 2006 wird publik, dass in Steffisburg (Kanton Bern) mehrere Jugendliche eine damals 14-Jährige sexuell missbraucht hatten. Drei nun Erwachsenen wird mehrfache Vergewaltigung vorgeworfen.

Zwei Jugendliche erhielten wegen «versuchter Vergewaltigung und Gehilfenschaft dazu» bedingte Freiheitsstrafen zwischen fünfeinhalb und sechs Monaten.

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