Polizei setzt auf SIS
Polizei und Grenzwache kämpfen vehement für die Bilateralen II: Sie wollen dem Schengen-Raum beitreten und dessen Fahndungs-Computer SIS nutzen.
Versprochen wird dem Stimmvolk mehr Sicherheit durch eine Datenbank, die täglich Tausende neuer Einträge erhält.
«Sicherheit mit Schengen Dublin. Ja.» Aus den Anzeigen in der Schweizer Presse versucht ein gestrenger Herr im Uniformhemd zu lächeln: Heinz Buttauer, Präsident des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB).
Zusammen mit Polizei- und Justiz-Direktoren aus vielen Kantonen wirbt er im «Justiz- und Polizeiforum» für ein Ja des Stimmvolkes zu Schengen/Dublin am 5. Juni. Teil-Finanziert wird die Kampagne vom Wirtschaftsdachverband économiesuisse.
Europaweite Fahndung
Der Grund, warum sich Buttauer und sein Verband so ins Zeug legen, heisst SIS, oder Schengen Information System. In diesen Computer-Verbund, dessen Hauptserver in Strassburg steht, werden Personen und Dinge eingetragen, nach denen im Zusammenhang mit einem Verbrechen gefahndet wird. Eine Fahndung kann innert weniger Minuten an alle 14 Schengen-Staaten verschickt werden.
«In Norwegen ist kürzlich ein Polizist ermordet worden; neben der Fahndung im Land hat man das Signalement des Unbekannten gleichzeitig ins SIS eingespiesen», erklärt Jean-Pierre Monti, Generalsekretär des VSPB. «Innerhalb einiger Wochen konnte der mutmassliche Täter in Spanien verhaftet werden.»
Beispiele einer erfolgreichen Fahndung, ausgelöst in Norwegen, sind bei den Schengen-Befürwortern beliebt, denn das skandinavische Land hat zwar die Verträge von Schengen unterschrieben, ist aber wie die Schweiz nicht Mitglied der Europäischen Union (EU). So möchte auch die Schweiz mitmachen.
Schützenhilfe aus den Departementen
Das will auch der Bund: Das Bundesamt für Justiz (BJ) und das Integrationsbüro des Aussenministeriums (EDA) schreiben in einer vor kurzem veröffentlichten Broschüre: «Ohne intensive Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Inland und über die Landesgrenzen hinweg ist eine wirksame Verbrechensbekämpfung heute nicht mehr möglich.» Das SIS ermögliche die europaweite Verbreitung «per Knopfdruck» und erlaube es den Behörden, die Daten überall und jederzeit online abzufragen.
«Mit Schengen finden vermehrt gezielte mobile Kontrollen statt. Diese steigern die Effizienz, da sie zeitlich und örtlich nicht vorhersehbar sind», wird Jürg Roth zitiert, Chef der rund 2000 Grenzwächter und Grenzwächterinnen des Finanz-Departements (EFD).
Teil der Festung Europa
Während die Polizisten dank SIS Verbrecher fangen, würden die Grenzwächter damit vor allem abgewiesene Asylbewerber aufspüren. Das regelt das Dubliner Abkommen: Wer in einem Schengenstaat kein Asyl erhalten hat, wird es auch in keinem andern kriegen.
Die mit SIS gekoppelte Fingerabdruck-Datenbank Eurodac erlaubt es, solche Personen zu erkennen, auch wenn sie keine Papiere haben oder behaupten, erstmals ein Asylgesuch zu stellen. Die Schweiz erhielte zudem auch Zugriff auf die Datenbank VIS, in der alle Schengen-Visa verzeichnet werden.
Schon heute sind laut BJ und EDA ein Fünftel aller Asylgesuche so genannte Zweitgesuche, auf welche die Schweiz nicht mehr eintreten müsste, wenn sie beim Abkommen von Dublin mitmacht.
Fahndungsloch versus Datenschleuder
«Es ist ein Muss, dass man uns dieses zusätzliche, hoch technologisierte Mittel zur Verfügung stellt», bekräftigt Monti vom VSPB. «Umso mehr, als dass wir auch die Sicherheit der Touristen im Land garantieren müssen.» Denn: «Rings um die Schweiz würde dieses System greifen, einzig die Schweiz wäre ein weisser Fleck im Herzen Europas.» Das würde Kriminelle anziehen.
Das SIS wird täglich mit rund 11’000 neuen Daten gefüttert. Monti betont: «Das ist kein Spielzeug, es werden nur Verbrechen aufgenommen, keine Übertretungen wie Autobussen oder Ladendiebstähle.»
Der oberste Datenschützer der Schweiz hat seinen Segen zum Schengen-Beitritt gegeben, der politischen Linken genügt dies; der Fichenskandal scheint ausgestanden.
Unbehagen bei Polizisten
Eine Gruppe von Polizisten und Grenzwächtern macht allerdings Front gegen Schengen/Dublin und damit gegen die Parole ihrer Dachverbände. Die grosse Mehrheit der Polizisten werde am kommenden 5. Juni Nein Stimmen, da die Schweiz mit Schengen an Sicherheit verliere, legten sie in Bern dar.
Mit ihrem Auftritt wollten die Schengen-Gegner aus Polizei und Grenzwachtkorps in erster Linie das von den Dachverbänden vermittelte Bild korrigieren. Entgegen der Behauptungen der Spitzen von Polizeibeamten-Verband und Gewerkschaftsbund stünden bei weitem nicht alle Polizisten und Grenzwächter hinter den beiden Abkommen. Jeder Polizist wisse aus Gesprächen mit seinen Kollegen, dass eine Mehrheit die Schengen-Assoziation am 5. Juni ablehnen werde.
Die Spitze des Polizeibeamten-Verbandes sei zwar für Schengen, diese Parole sei aber ohne jede Konsultation oder Abstimmung in den Sektionen gefasst worden. Den Aussagen der Spitzenfunktionäre fehle die demokratische Legitimität, kritisierten die Gegner.
«Delinquenz wird steigen»
Ein Skeptiker ist Jacques Strahm. Der 58-Jährige steht vor seiner Pensionierung als Kommandant des Grenzwachtkommandos der Romandie. «Die Schweizer Verhandlungs-Ergebnisse zu Schengen – Beitritt zum SIS und Beibehaltung der Warenkontrollen an der Grenze – hätten besser nicht sein können», sagt er.
Doch erwartet er in den kommenden Jahren Druck der EU auf die Schweiz, diese Warenkontrollen an der Grenze ganz abzuschaffen. Er verweist auf Norwegen: Dort gibt es keine Kontrollen an den Grenzen zu den Nachbarländern.
Ob SIS spürbare Sicherheit bringt, stellt er in Frage: «Für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist es unverzichtbar, dass die Kleinkriminalität und Delinquenz im Inland aber nicht ansteigen wird, ist eine glatte Lüge. Die Leute sollen wissen, worüber sie abstimmen.»
swissinfo, Philippe Kropf
Die Schweizer Grenze ist 1881 Kilometer lang.
Täglich reisen 600’000 Menschen ein.
Rund 2000 Grenzwächter führen an der Grenze und im Hinterland Kontrollen durch.
(Quelle: GWK)
Die Anbindung der Schweiz ans SIS würde rund 22 Mio. Franken kosten.
Schengen Information System (SIS)
Schengen-Mitgliedsländer sind Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien sowie Island und Norwegen.
Die neuen EU-Länder sollen in den kommenden Jahren dazustossen (SIS II).
Das System umfasst mehr als 11 Mio. Daten, täglich kommen Tausende neuer Einträge dazu.
Ein Grossteil der eingetragenen Personen sind abgewiesene Asylbewerber.
1 Mio. Einträge betreffen Menschen, die als Sicherheitsrisiko für einen der Schengen-Staaten betrachtet werden.
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