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Polizisten fehlen nicht nur in Bern

Eine Spezialeinheit der Polizei bei einem Einsatz während einer der zahlreichen Demonstrationen in Bern. Keystone

Wegen massiver Überbelastung drohen Berner Polizisten mit Kampfmassnahmen. Und sie sind mit ihren Problemen nicht allein: Die Lage ist gesamtschweizerisch offenbar akut.

Polizistenvertreter sehen die Hauptursache dafür in den andauernden Spar-Anstrengungen von Bund, Kantonen und Gemeinden.

Rund 80’000 Überstunden können bei der Stadtpolizei Bern nicht kompensiert werden. Eine vom Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) geforderte personelle Aufstockung kommt offenbar nicht in Frage.

Die betroffenen Beamten schliessen inzwischen Kampfmassnahmen nicht aus.

Auch das internationale Genf hat Probleme. Nicht zuletzt zeigten sich diese 2003 am G8-Gipfel von Evian. Damals war die Genfer Polizei von Globalisierungsgegnern regelrecht überrumpelt worden.

Eine Auswertung deckte Koordinations-Schwierigkeiten auf zwischen den Genfer und den anderen kantonalen Polizei-Einheiten sowie den eingesetzten deutschen Beamten.

Zudem wird die Genfer Polizei schon seit Jahren mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert.

Gesamtschweizerisches Problem

Die Probleme der Berner und Genfer Ordnungshüter sind auch den meisten anderen Schweizer Polizeikorps nicht fremd, weiss Jean-Pierre Monti, Generalsekretär des VSPB.

«Mit der Sparhysterie liess man den Personalbestand stagnieren oder man ist sogar zurückgefahren, da man aufgrund der Sparübungen Polizeischulen gar nicht mehr geführt hat», sagt er gegenüber swissinfo.

Laut Montis Verband haben sich in den Polizeikorps der Schweiz über eine Million Überstunden angehäuft. «Die 80’000 Überstunden in der Stadt Bern sind lediglich die Spitze des Eisbergs.»

Zudem können die Überstunden oft nicht einmal kompensiert werden, da sonst die polizeiliche Ordnung nicht mehr garantiert wäre.

Demotivation und Krankheit seien eine Folge der ungeheuren Überstundenmasse, klagt Monti. «Es ist frustrierend: Wir machen eine Unmenge Überstunden im Bewusstsein, dass wir diese wahrscheinlich nicht werden abbauen können.»

Trügerischer Spareffekt

«Das Problem sind die Sparanstrengungen, die bei den Gemeinden, den Kantonen und beim Bund quasi ein Dauerprogramm sind», sagt auch Urs Geissbühler, Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPS).

So soll auch bei der Kantonspolizei Luzern erneut um eine Aufstockung ersucht werden. «Die 30’000 Überstunden, die geschoben wurden, müssen ausbezahlt werden – mit Zuschlag», erklärt Geissbühler weiter. Das sei teurer, als wenn man zusätzlich Polizisten anstelle.

Mehr Aufgaben

Die Polizeiaufgaben werden immer umfassender, obwohl nicht mehr Mittel bereit stehen. Ändern will die Polizei ihre Prioritäten bezüglich Strassenverkehr, Gewalt und Betäubungsmittel-Vergehen allerdings nicht.

«Das wäre das Letzte», sagt Polizeigewerkschafter Monti. «Bis jetzt mussten wir das noch nicht tun, respektive aus diesem Grund machen wir so viel Überzeit.»

Zudem sei der Bedarf nach Polizeieinsätzen gestiegen, «seit die häusliche Gewalt ein Offizialdelikt ist», erklärt Monti. Vorher wurde ein solches Delikt nur auf Antrag verfolgt.

Immer mehr Gemeinden übertragen Polizeiaufgaben an private Wachdienste. Monti spricht sich vehement dagegen aus: «Die privaten Sicherheitsdienste haben nicht mehr Rechte als du und ich. Denn das Gewaltmonopol liegt ausschliesslich beim Staat – und das ist richtig so!»

Walter Kälin, Professor für Statsrecht an der Universität Bern, hält in einer vom Polizeibeamtenverband in Auftrag gegebenen Studie fest, dass die Auslagerung von Polizeiaufgaben an private Sicherheitsfirmen nur in klar definierten Grenzen möglich sei.

Kälin sieht es als besonders heikel an, wenn die Aufgabe mit der Anwendung von Zwang verbunden oder wenn nach Ermessen entschieden werden kann. Hier brauche es eine gesetzliche Grundlage, die noch nicht überall vorhanden sei.

Schwierige Lösung

Aber auch mehr Geld könne die aktuellen Personalprobleme bei den schweizerischen Polizeikorps nicht von heute auf morgen lösen. Jean-Pierre Monti: «Im Moment gibt es gar nicht genug ausgebildete Polizisten, welche die rund 1600 in der Schweiz fehlenden Stellen besetzen könnten.»

Man müsste über Jahre mehr Polizisten ausbilden als durch natürliche Abgänge wegfallen, so Monti.

Problem Euro 08?

Mit den heutigen Polizei-Personalbeständen könne auch die Fussball-Europa-Meisterschaft Euro 08 nicht bewältigt werden, betont Monti. Deshalb bringt er die Forderung des Polizeibeamten-Verbandes aufs Tapet: «Man muss vorübergehend Kollegen aus Deutschland oder Frankreich anstellen.»

Martin Jäggi, Chef Sicherheit der Euro 08, ist jedoch überzeugt, die sicherheitspolitischen Massnahmen mit den eigenen Polizeikräften gewährleisten zu können.

Wenn die Situation es jedoch erfordere, könnten durchaus auch ausländische Polizeikräfte hinzugezogen werden.

swissinfo, Etienne Strebel

In der Schweiz liegen Polizeihoheit und Gerichtsbarkeit in den Händen der 26 Kantone.

In über 100 Städten und grösseren Gemeinden gibt es auch kommunale Polizeikorps.

Kantonale und kommunale Polizeikräfte sind für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zuständig.

Auf Bundesebene teilen sich das Bundesamt für Polizei, die Bundeskriminalpolizei, der Dienst für Analyse und Prävention und der Bundessicherheitsdienst die polizeilichen Aufgaben.

Die Armee unterstützt die zivilen Behörden in ausserordentlichen Lagen (G8-Treffen, WEF Davos).

Weiter übernehmen Bahnpolizei, Grenzwachtkorps und private Sicherheitsdienste polizeiliche Aufgaben.

In der Schweiz stagniert die kleine und mittlere Kriminalität auf hohem Niveau. Die Gewaltdelikte haben jedoch stark zugenommen.

Der Zunahme der Kriminalität in der Schweiz stehen die Sparmassnahmen vieler Kantone gegenüber. Der Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) wirft der Politik vor, damit die Leistungsdichte im Bereich der inneren Sicherheit zu gefährden.

Vor diesem Hintergrund verlangt der VSPB seit 2005 eine Aufstockung des gesamtschweizerischen Polizistenbestands um 1600 Stellen.

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