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Prag: Integration über Kinder und Käse

Peter John: Der Walliser Hotelier lebt seit 13 Jahren mit seiner Familie in Prag. swissinfo.ch

Tschechen wären Schweizern ähnlich, wenn da nicht die schwierige Sprache wäre, meint Peter John, Prager Hotelier und Auslandschweizer. Am besten integriere man sich über Kinder, Schule – und Schweizer Käse, fügt Johns Frau Barbara Von der Mühll bei.

«Noch muss ich mir meine tschechisch geschriebene Korrespondenz von meinen Kindern korrigieren lassen», lacht Peter John. «Mündlich jedoch kann ich mich bereits sehr gut auf Tschechisch ausdrücken!»

Schon als frischgebackener Hotelier in den 1980er-Jahren hat der in Siders aufgewachsene Deutschwalliser John sehr schnell auf Französisch wechseln müssen. Später kamen ausser den Standardsprachen auch noch Spanisch und Portugiesisch dazu.

Zusammen mit seiner Frau Barbara Von der Mühll – die kürzlich den ersten Schweizer Käseladen in Tschechien eröffnet hat – ist Peter John vor 13 Jahren nach Prag gekommen. Ihre Kinder besuchen die tschechische Volksschule.

«Die Schulen hier finde ich sehr gut – so wie in der Schweiz vor 30 Jahren», sagt John. «Zum Beispiel ist die Klassenzimmertür um 8 Uhr 01 geschlossen – das zwingt die Schüler zur Pünktlichkeit.»

Prag – schön, aber nicht ganz einfach

Es habe ihm Eindruck gemacht, dass in der Klasse seiner Kinder sogar zwei Lehrer gleichzeitig unterrichteten: Eine Lehrkraft vor, die zweite, zur Unterstützung, hinten und zwischen den Schulbänken.

 Auch von der Lernmethodik her werde viel in Gruppen und Themen gearbeitet. Kinderhorte oder Tagesschulen, in der Schweiz teils immer noch umstritten, gälten im viel ärmeren Tschechien als selbstverständlich. Alles in allem sei Tschechien wohl um einiges kinderfreundlicher als die Schweiz.

Wenig Ausländer in Tschechien

Zwar wird Tschechiens Hauptstadt von Touristenmassen überflutet. Doch nur Ausländer wenige leben dort: «Vor allem wegen der Sprache respektive den Verständigungs-Schwierigkeiten integrieren sich die Ausländer nur schlecht», so John.

Auf 10 Millionen Tschechen kommen nur 250’000 Ausländer. «Aus Schweizer Sicht ist das ‹Peanuts›.» Besonders weil davon rund 100’000 Vietnamesen seien, noch aus der Zeit des Kommunismus, und weitere 100’000 aus der benachbarten und sprachlich verwandten Ukraine stammten. «Die restlichen 50’000 bestehen aus Deutschen, Amerikanern und 1200 Schweizern.»

Die Mentalität der Tschechen ist laut John trotz der geografischen Distanz jener der Schweizer viel näher als beispielsweise jene der Italiener. Nur die Verständigung sei ein Problem.

Süditalien, Berner Oberland, Madeira, Algarve, Prag

«Der Unterschied zu einem Hotel in der Schweiz, wo in einem Betrieb bis 30 Nationalitäten zusammen arbeiten, ist gross», sagt der General Manager des Don Giovanni Dorint Hotel Prag. In seinem 400-Zimmer-Hotel werde in erster Linie Tschechisch gesprochen.

«Zu Beginn meiner Arbeit im Hotel kam es deshalb vor, dass meine hier eingeschulten Kinder für mich übersetzen mussten. Ich kam mir vor wie ein Gastarbeiter in der Schweiz.»

An Gastländer gewöhnt ist John allerdings schon lange. Gearbeitet hat er in der Hotellerie in Deutschland, Süditalien, mit einem Abstecher zurück ins Interlakner Viktoria-Jungfrau, dann im Reeds auf Madeira und im Süden Portugals.

Nach Prag verschlug es ihn 1998 über die maltesische Hotelkette Corinthia. Sie kaufte in Tschechien bereits bestehende Betriebe auf, die John zu betreuen hatte. «In diesen Hotels bestand das alte sozialistisch geprägte Management noch aus 50- und 60jährigen Alt-Kadern ohne Sprachkenntnisse. Deshalb muss ich schnellstens Tschechisch lernen.»

Tschechen lieben (Schweizer) Käse

Johns Ehefrau Barbara Von der Mühll, ebenfalls lange in der Hotellerie tätig, sattelte aber um und eröffnete im Sommer 2010 in Prag ihren eigenen Schweizer Käseladen – den ersten in Tschechien: «Rechne ich meinen Lohn nicht ein, befände ich mich schon nach einem Jahr in den schwarzen Zahlen», kalkuliert die frischgebackene Detaillistin.

Ihre Hauptkunden sind die Leute im Quartier, Expats, die Schweizer Botschaft, Handelskammern, aber keine Hotels. «Besonders stolz bin ich aber auf einen französischen Küchenchef, der bei mir einkauft.»

Da die Schweiz nicht zur EU gehört, sei es einfacher, einen Teil des Schweizer Käses aus Deutschland zu importieren und in Euro zu bezahlen. Den Rest bezieht von der Mühll aber direkt von Schweizer Käsereien.

«Weil tschechischer Käse relativ mild sei, lieben die Tschechen als Alternative älteren, gelagerten und aromatischen. Am meisten verkaufe ich gelagerten Gruyère. Viel Käse wird schon zum Frühstück gegessen, zusammen mit Wurst», sagt Von der Mühll.

Lieber wenig bekannte Sorten als Mainstream

Ihre grössten Konkurrenten sind die Käseländer Niederlande und Slowakei. Auf die Promotionsanstrengungen der Schweiz, ihre Produkte zu exportieren, reagiert die Käse-Quereinsteigerin nur zögerlich. Vorläufig bleibe sie lieber in ihrer Nische von nicht promovierten Sorten.

«Ich offeriere in Prag über 50 teils wenig bekannte Käsesorten von Kleinproduzenten. Ich selbst habe weder die Möglichkeit noch die Lust, neue Märkte für Schweizer Mainstream-Exportkäse zu erarbeiten.»

Schon 1938 (Einmarsch der Wehrmacht) und 1948 (Machtübernahme durch Kommunisten) bot sich die Schweiz Tschechen und Slowaken als Exilland an.

1968 fielen während des «Prager Frühlings» die Russen mit Panzern in der Tschechoslowakei ein.

Damals fanden rund 15’000 Tschechen und Slowaken in der Schweiz eine neue Heimat.

Wegen dieser offenen Haltung stehen die Schweizer in Tschechien seither hoch im Kurs.

Was einige von ihnen am Ende des Kalten Krieges nicht daran hinderte, wieder zurückzukehren:

Rund die Hälfte der 1200 in Tschechien registrierten Schweizer sind Schweizer Tschechen.

Tschechien zählt 10,5 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 79’000 Quadratkilometern.

2009 betrug die Kaufkraft im Verhältnis zum EU-Durchschnitt 82%.

1992 trennten sich Tschechien und die Slowakei.

Während der Übergangsphase der 90er-Jahre war Tschechien ein Schwerpunktland der schweizerischen Osthilfe (50 Mio. Fr.)

Das Land gehört heute zu den bedeutendsten Handelspartnern der Schweiz unter den neuen EU-Mitgliedsstaaten.

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