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Raser-Unfälle: «Wir trommeln die Justiz aus dem Schlaf»

Das zerstörte Fahrzeug des Rasers in Schönenwerd. Keystone

Nach dem tödlichen Raserunfall in Schönenwerd wird einmal mehr eine härtere Gangart gegen Raser gefordert. Das Beste wäre gemeinnützige Arbeit in Spitälern, sagt Roland Wiederkehr, Geschäftsführer von Roadcross, im Gespräch mit swissinfo.

Die Strassenopfervereinigung Roadcross organisierte am Montagabend in Bern eine Kundgebung, «um die Justiz aus dem Schlaf zu trommeln», wie Roland Wiederkehr sagte.

swissinfo sprach mit ihm über mögliche Massnahmen gegen Raser und den Einfluss der Automobil-Werbung.

swissinfo: Am letzten Wochenende sind erneut vier Raser festgenommen worden. Wie ist es möglich, dass diese Leute nicht durch die schrecklichen Unfälle der Vergangenheit abgeschreckt werden?
Roland Wiederkehr: Sie sind wahrscheinlich zu unreif. Die Bilder dieser jungen Raser zeigen, dass sie kaum dem Bubenalter entlassen sind.

Sie haben aber unheimlich viel PS unter dem Hintern, kennen das Risiko nicht und können sich auch empathisch nicht in die Unfallopfer hineinversetzen.

Man müsste eigentlich sagen, 18-Jährige sind offensichtlich noch zu jung zum Autofahren. Das ist jedoch schwierig durchzusetzen. Wir verlangen deshalb schon längst eine PS-Beschränkung für Autofahrer bis 25 Jahre.

Der Bundesrat verweist diesbezüglich auf die Handels- und Gewerbefreiheit. Das ist zumindest, wenn man die Motorräder-Restriktionen betrachtet, äusserst inkonsequent. Leistungsstarke Motorräder dürfen erst ab 25 Jahren gefahren werden.

swissinfo: Immer wieder sind es junge Ausländer, die Raserunfälle verursachen. Wie will Roadcross diese erreichen?

R.W.: Wir haben hier eine seltsame Situation. Die Diaspora der Serben, Albaner und Kosovo-Albaner in der Schweiz ist sehr gross. Diese hat die Nase voll, dass ihre jungen Leute den guten Ruf derjenigen, die sich integriert haben, immer wieder zerstören.

Man kann noch so gute Integrationsprogramme haben, wenn es dann am Stammtisch einfach heisst: «Raus mit diesen Sauausländern».

Wir führen seit drei Jahren sehr erfolgreiche Präventionsveranstaltungen durch, vor allem in Berufsschulen und in grossen Firmen. Wir zeigen auf, dass durch einen solchen Unfall nicht nur das Leben der Opfer, sondern auch jenes der Raser vollkommen zerstört wird. Sie müssen ein ganzes Leben lang dafür bezahlen.

Wir werden aber nie erreichen können, dass alle ihr Fahrverhalten anpassen. Das Testosteron bei diesen jungen Männern, die meist schlecht gebildet sind, wenig Chancen haben und sich über das Auto artikulieren müssen, wird immer wieder spielen. Jene, die nicht lernen wollen, die muss man einfach viel härter anpacken.

Es gilt auch an die jungen Frauen zu appellieren, die als Beifahrerinnen häufig Opfer von Raserunfällen sind, den Testosteronschub ihrer Machos in Grenzen zu halten. Das heisst, einem Freund zu sagen, wenn du nicht anständig fährst, komm ich mit dir nicht mehr mit, oder lass mich aussteigen.

swissinfo: Im Moment sind verschiedene Massnahmen gegen Raser im Gespräch. Der Bund will Autos von Rasern verschrotten und Black Boxes einführen. Es werden auch härtere Strafen gefordert. Gehen diese Massnahmen in die richtige Richtung?

R.W.: Ich bin nicht ein Anhänger von langen Gefängnisstrafen, aber es muss Sühne geleistet werden.

Bedingte Gefängnis- oder bedingte Geldstrafen, die nützen überhaupt nichts. Was Rasern am meisten weh tut, ist der Fahrausweisentzug oder der Einzug des Autos.

Das Beste wäre, wenn diese Leute gemeinnützige Arbeit leisten müssten. Es ist an und für sich im Gesetz vorgesehen, wird aber kaum gemacht.

Sie sollten zum Beispiel in einem Spital oder in einer Reha-Klinik mit den Verkehrsunfallopfern konfrontiert werden.

swissinfo: Sie haben vor rund 20 Jahren die Strassenopfervereinigung Roadcross gegründet. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie trotz all Ihrem Engagement immer wieder von tragischen Raser-Unfällen erfahren?

R.W.: Das Problem ist, dass Autofahren so hochemotional besetzt ist und dass eigentlich jeder denkt, das geht nur die anderen etwas an, ich kann ja Auto fahren, mir passiert das nicht. Und sonst bin ich ja versichert.

Aber dem ist nicht so. Ich hätte nicht gedacht, dass wir in einer solchen Bananenrepublik leben, bekomme ich oftmals zu hören. Die Opfer gehen vollkommen vergessen, wohingegen für die Täter eigentlich alles gemacht wird.

In letzter Zeit wurde Rasern, die Mädchen getötet haben, zum wiederholten Mal der Führerschein nicht entzogen und sie wurden gerade mal zu zwei Jahren bedingt verurteilt.

swissinfo: Einerseits wirbt die Autoindustrie für PS-starke Autos und Geschwindigkeitsrausch. So zeigte etwa Audi Deutschland auf ihrer Website einen Spot mit einem Rennen. Andererseits kämpft der Bund gegen Raser. Ist das nicht scheinheilig?

R.W.: Es ist absolut scheinheilig. Besonders weil man dann immer sagt, wir sind kein Produktionsland von Autos. Doch die Schweiz ist ein Auto-Importland. Und wir haben die Möglichkeit, mit dem Produktehaftpflichtrecht gefährliche Produkte aus dem Verkehr zu ziehen.

Zwar sind die Karrosserien von Offroader heute abgerundeter als früher, aber die Aufrüstung auf den Strassen findet trotzdem statt, in der Kraft und der Wucht der Autos. Da müssten eigentliche die Regierungen in Europa zusammenstehen und sagen, dass wollen wir nicht mehr – aber das Gegenteil ist der Fall.

Es gibt Werbungen, die sagen: Wenn du dieses Auto hast, dann bist du intelligent, selbständig, ein wirklicher Mann. So lange die Gesellschaft generell so viel auf Äusserlichkeiten Wert legt, wird sich das kaum ändern.

Es wird die Illusion vermittelt, das alles beherrschbar ist. Und dort müssen wir ansetzen. Der Bundesrat muss dazu gezwungen werden. Das Verkehrsdepartement muss mehr Mut zeigen und eine Leistungsbeschränkung angehen.

swissinfo-Interview: Corinne Buchser

Mit dem Programm «Via sicura» (sichere Strasse) will der Bundesrat mit rund 60 Massnahmen eine weitere markante Verbesserung der Sicherheit auf den Strassen erreichen.

Das Paket steht derzeit noch im Konsultations-Verfahren.

Zu den Massnahmen gegen Raser gehört, dass Autos von unbelehrbaren Rasern eingezogen und verschrottet werden sollen.

Wer den Fahrausweis für längere Zeit verliert, soll nur noch auf die Strasse gelassen werden, wenn der Fahrer oder die Fahrerin eine Black Box im Auto einbauen lässt.

Und: Autofahrer sollen alle zehn Jahre obligatorisch einen eintägigen Wiederholungskurs absolvieren müssen.

An einer Kundgebung in Bern hat Roadcross am Montag auf dem Bundesplatz in Bern härtere Strafen für Raser gefordert. Die Empörung über milde Richter und ungenügende Gesetze sei zu Recht gross.

In mehreren Referaten wurde das zu zaghafte Vorgehen gegenüber Rasern kritisiert.

Wenn die Richter sagen, die Gesetze seien faul, und die Staatsanwälte sagen, die Richter seien faul, dann sei etwas faul im Staate Schweiz, sagte Roland Wiederkehr gegenüber swissinfo.

Roadcross wurde 1989 gegründet. Ziel war es mitzuhelfen, die Zahl der damals jährlich fast 1000 Toten und 12’000 Schwerverletzten auf den Schweizer Strassen bis zum Jahr 2000 zu halbieren.

2007 waren noch 384 Tote und fast 5235 Schwerverletzte zu beklagen.

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