«Rassendenken» in Singapur
In Singapur spielt die Einteilung der verschiedenen ethnischen Gruppen in "Rassen" eine wichtige Rolle. Dieses Prinzip steht in einem krassen Gegensatz zum friedlichen Multikulti-Image, das Singapur nach aussen vertritt.
Das erste Mal begegnete ich dieser Kategorisierung bei der Anmeldung im Internet an der Singapore Management University vor gut einem halben Jahr. Nebst diversen Informationen zur Person und zum Studium, musste ich in einem Feld meine «Rasse» angeben. Zur Auswahl standen etwa Chinesisch, malaiisch, indisch, afrikanisch, um nur einige zu nennen.
Etwas verwirrt von den vielen Kategorien wählte ich irrtümlicherweise eurasisch, was bei meiner Immatrikulation in Singapur von einer lächelnden Dame korrigiert wurde: «Sie sind wahrscheinlich kaukasisch, nicht?»
Ich hätte antworten können, was man mir im Biologieunterricht beigebracht hatte, dass es nur eine «Rasse» gebe, nämlich «homo sapiens». Aber anstatt mich auf eine Diskussion über Rassentheorien einzulassen, akzeptierte ich meine Einteilung als «Caucasian», ein im angelsächsischen Raum gebräuchlicher Begriff, der typischerweise Europäer und weisse Nordamerikaner bezeichnet.
Vom Staat kategorisiert
Obwohl die Einteilung ethnischer Gruppen in verschiedene menschliche «Rassen» biologisch und soziologisch wohl eher umstritten ist, scheint es in Singapur zentral zu sein. Auf der Identitätskarte von Singapur ist das Feld «Rasse» so normal wie die Angabe der Körpergrösse.
Selbst die hiesige Siedlungspolitik wird von diesem Prinzip getragen. In staatlichen Wohnblöcken, die den grössten Teil des Wohnungsmarktes ausmachen, müssen die ethnischen Gruppen (drei Viertel Chinesen, 14% Malaysier und 8% Inder), proportional vertreten sein.
Diese Bemühung zur Verhinderung von Ghettobildungen ist sicher sinnvoll. Die Politik wird aber von privaten Wohnungen etwas untergraben, so dass es trotzdem noch eine Chinatown, ein Little India und ein Malay Village gibt. Das ist auch gut so, nicht zuletzt für den Tourismus.
Frühe Einteilung
Offenbar wird auch in der Schule die Rasseineinteilung betont, wie die Anekdote eines einheimischen Mitstudenten über seine Erlebnisse im Kindergarten zeigt: Er habe im Kindergarten ein Plakat gestaltet mit den verschiedenen «Rassen» in Singapur, daran könne er sich noch gut erinnern. Er musste drei Abbildungen von traditionell gekleideten Singapurern aufkleben, um diese dann als chinesisch, malaiisch oder indisch zu beschriften.
Nebst Englisch müssen die Kinder in der Schule die Sprache ihrer ethnischen Gruppe lernen: Malaysisch, Mandarin oder Tamil. Es ist also wichtig, dass sich die Kinder mit ihrer «Rasse» identifizieren können.
Alltäglich
Nebst einer offiziellen Einteilung durch den Staat ist dieses Phänomen auch im Alltag ziemlich präsent. Die Frage «was bist du?» – will heissen: zu welcher «Rasse» gehörst du? – ist eine nicht abnormale Frage, so wie wenn man nach der Muttersprache oder dem Herkunftsland gefragt wird.
Eine Mitstudentin erklärt den Grund für diese Frage so: «Von dir wird dann ein Verhalten erwartet, das deiner Ethnie entspricht. Bist du malaysisch, wird von dir erwartet, dass du kein Schweinefleisch isst. Als Chinese solltest du Mandarin sprechen können. Man wird hier relativ schnell stereotypisiert!»
Auch an der Universität ist die Gruppenbildung ziemlich offensichtlich. Meistens halten die chinesischen Singapurerinnen zusammen einen Vortrag, und die indischen Singapurer essen zusammen zu Mittag. Ethnisch gemischte Paare gibt es an der Uni nicht viele, und bei Diskussionen über dieses Thema in einem Politologie-Seminar wird klar, dass in Singapur selten zwischen den «Rassen» geheiratet wird.
«Uniquely Singapore»
Der Werbeslogan des Tourismusbüros, der mit «einzigartiges Singapur» übersetzt werden könnte, versucht den Stadtstaat in der Welt als dynamisch, modern und farbenprächtig anzupreisen; als harmonischen Schmelztiegel zwischen den verschiedenen asiatischen Kulturen und zwischen Ost und West.
Dieses Image beschreibt das Singapur, das ich als Besucher während der ersten paar Wochen sah. Nach einer gewissen Zeit, und vor allem durch den Kontakt mit den Einheimischen, habe ich jedoch gemerkt, dass die Harmonie etwas bröckelt. Die Inderinnen und die Malaysier fühlen sich zum Teil von der chinesischen Mehrheit dominiert. Für die meisten Jobs wird Zweisprachigkeit verlangt, wobei Englisch mit Mandarin die vorteilhafteste Kombination ist.
Die Art, wie das Problem von der Regierung angegangen wird, ist wohl «einzigartig Singapur»: Wie bei den meisten heiklen Themen wird der Deckel mit fester Hand auf dem Kochtopf gehalten, um ein Aufschäumen zu unterdrücken.
swissinfo, Christian Zingg, Singapur
Immer häufiger reisen auch Jugendliche für längere Zeit ins Ausland.
Studenten profitieren von Austauschprogrammen.
Zu ihnen gehört Christian Zingg, der ein Semester in Singapur absolviert.
Von dort berichtet er für swissinfo über seine Erlebnisse. Dies ist seine letzte Postkarte.
Ab Januar 2009 wird Thomas Buser, Schweizer Student in Amsterdam, regelmässig Postkarten für swissinfo schreiben.
Geboren am 2. Oktober 1986 in Bern.
Die Schulen absolvierte er mehrheitlich in Bern. Von August 2003 – Juni 2004 machte er ein Austauschjahr an der Highschool in Portage, Indiana, USA.
Er studiert in Bern Volkswirtschaftslehre und als Nebenfächer Politikwissenschaft und Philosophie.
Neben seiner Muttersprache Deutsch spricht er Englisch und Französisch.
Zu seinen Hobbys zählen Saxophon spielen, Badminton und Lesen.
Sein 5. Semester (August 08 bis Januar 09) verbringt er an der Singapore Management University (SMU).
Es handelt sich nicht um ein Erasmus-Programm, sondern um ein bilaterales Abkommen zwischen der Uni Bern und der SMU. Pro Jahr stehen vier Studienplätze für Studenten von Bern zur Verfügung.
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