Recht auf Asyl auch bei nichtstaatlicher Verfolgung
Künftig kann die Schweiz auch Flüchtlingen Asyl gewähren, die in ihrem Land von privaten Personen oder Organisationen misshandelt worden sind.
Damit ändert die Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) ihre bisherige Praxis und gleicht sich der Asylrechtsgewährung anderer Länder an.
Als Flüchtlinge können neu auch Personen gelten, die von privater Seite verfolgt worden sind. Entscheidend soll laut der Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK) in Zukunft einzig sein, ob der Heimatstaat Betroffenen Schutz bieten kann, wie die Kommission am Donnerstag mitteilte.
Gemäss bisheriger Praxis der Behörde wurden Personen von der Schweiz grundsätzlich nur als Flüchtlinge anerkannt, wenn ihre Verfolgung vom Staat ausging oder diesem zumindest indirekt zuzurechnen war. Die Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention spreche aber eindeutig für einen Praxiswechsel, hiess es.
Neu gilt Schutztheorie
Gemäss dem Grundsatzentscheid ist neu entscheidend, ob die gefährdete Person in ihrem Heimatstaat Schutz vor Verfolgung finden kann. Gemäss dieser Schutztheorie muss dort eine funktionierende und effiziente Schutzinfrastruktur zur Verfügung stehen, unabhängig von Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit der Betroffenen.
Der Schutz könne dabei vom Heimatstaat selber gewährt werden, aber auch von einem dauernden und stabilen Quasi-Staat. Nicht ausreichend sei indessen der Schutz durch einen Clan oder eine Grossfamilie. Ob auch internationale Organisationen Schutz bieten können, lässt die ARK bewusst offen.
Nur wenig Auswirkungen
Die asylpolitischen Konsequenzen des Systemwechsels dürften laut ARK gering sein. Betroffen seien in erster Linie Personen aus schutzunfähigen oder faktisch inexistenten Staaten. Gemäss Berechnungen des Bundesamtes für Migration (BFM) sei nur bei einem kleinen Teil der Asylsuchenden mit Auswirkungen zu rechnen.
Hinzu komme, dass diese Personen bisher zwar nicht als Flüchtlinge anerkannt, indessen vorläufig aufgenommen worden seien, da ihre Wegweisung unzulässig gewesen sei. Die Praxisänderung habe insofern einzig Auswirkungen auf ihren Aufenthaltsstatus.
Von Clan-Milizen verstümmelt
Die Behörde hat sich bei ihrem Entscheid massgeblich vom Zweck der Flüchtlingskonvention leiten lassen. Auch die übrigen Unterzeichnerstaaten würden einhellig die Schutztheorie anwenden. Der Gesetzgeber habe sich zudem bei der jüngsten Revision des Asylgesetzes nicht gegen die Praxisänderung ausgesprochen
Im konkreten Fall hat die ARK die Beschwerde eines Mannes aus Somalia gutgeheissen. Er war in seinem Heimatdorf von Milizen des verstorbenen Kriegsfürsten Mohammed Aidid festgenommen und zur Zwangsarbeit verpflichtet worden. Nach einem Fluchtversuch wurde er massiv gefoltert, seine Hände bleiben verkrüppelt.
SFH begrüsst Machtwort der ARK
Später gelang ihm dann die Flucht und er gelangte über Äthiopien in die Schweiz. Das BFM lehnte sein Asylgesuch im Juni 2005 ab. Wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) am Donnerstag mitteilte, beendet die ARK mit ihrem Machtwort ein jahrelanges Seilziehen um die korrekte Auslegung der Flüchtlingskonvention.
Bisher hätten von Genitalverstümmelung bedrohte Mädchen, von Kriegsfürsten Gefolterte oder von marodierenden Banden Vergewaltigte in der Schweiz keine Chance auf Asyl gehabt. Frauen seien besonders oft betroffen gewesen, viele hätten statt Asyl bloss eine vorläufige Aufnahme erhalten.
Obwohl es sich um eine blosse Auslegungsfrage ohne Notwendigkeit einer Gesetzesänderung handelte, habe Justizminister Christoph Blocher die bisherige Praxis bis zum Inkrafttreten des verschärften Asylgesetzes fortführen wollen. Mit dem Entscheid der ARK werde das Kräftemessen auf dem Rücken von Verfolgten nun endlich beendet, hiess es.
swissinfo und Agenturen
Der Entscheid der ARK fällt mitten in die Diskussion um die Verschärfung des Asylrechts und des neuen Ausländerrechts.
Weil gegen die zwei Vorlagen das Referendum eingereicht wurde, kommen sie am 24. September zur Abstimmung.
Das neue Asylrecht sieht vor, dass Asylsuchende keinen Anspruch auf Sozialhilfe mehr haben. Die maximale Dauer der Ausschaffungshaft wird auf zwei Jahre verdoppelt. Die Aufnahme aus humanitären Gründen fällt weg.
Im neuen Ausländerrecht sind Personen aus der Europäischen Union klar privilegiert. Menschen aus Nicht-EU-Staaten dürfen nur dann in der Schweiz arbeiten, wenn sie qualifizierte Fachkräfte sind. Der Familiennachzug und der Erhalt einer Arbeitsbewilligung werden erschwert.
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