Rechtschreibreform: Noch nicht definitiv
Eigentlich sollte am 1. August 2005 die neue Rechtschreibung in den Schulen und der Verwaltung in Kraft treten. Doch so einfach geht das nicht.
Die Erziehungsdirektoren erklären sie für verbindlich – abgesehen von drei Bereichen –, die Verwaltung verlängert die Übergangsfrist.
Grundsätzlich kann jeder schreiben, wie er will. Ob alles klein, in Mundart oder nach den Regeln der alten oder neuen Rechtschreibung. Nicht so frei sind die Schulen sowie die öffentlichen Verwaltungen. Dort sollen einheitliche Regeln gelten. Mit der Umsetzung der Neuregelung der Rechtschreibung hapert es allerdings, und der Widerstand hält an, nicht nur in der Schweiz.
An die «Gämse» oder den «Stängel» haben wir uns längst gewöhnt, keiner regt sich mehr über diese Neuschreibung auf. Problematischer sind zusammengesetzte Wörter, denn ein frischgebackener Ehemann (frisch gebackener nach Neuregelung) ist nun mal nicht dasselbe wie ein frisch gebackenes Brötchen, doch davon später.
Neuregelung tritt in Kraft
Die Rechtschreibereform wurde 1996 in einer Erklärung der Regierungen deutschsprachiger Länder präsentiert. Zwei Jahre später, am 1. August 1998, begann die Umsetzungsphase. Nun ist die 7-jährige Übergangsfrist eigentlich zu Ende, die neuen Regeln sollen gelten, auch wenn viele Verlage, Zeitungen und Schriftsteller schreiben wie bisher.
Die Schweizer Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hält sich an die getroffenen Abmachungen und setzt die Reform in Kraft. «Wir bleiben bei unserem Entscheid», sagt Claudia Meier, stellvertretende Kommunikations-Beauftragte der EDK, gegenüber swissinfo. «Auch Österreich und Deutschland, trotz dem dortigen Rückzug von zwei Bundesländern, bleiben dabei.»
Ausgenommen von der Inkraftsetzung sind die umstrittenen Bereiche der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Worttrennung und Interpunktion. Bei diesen heftig kritisierten Teilen des neuen Regelwerks werden noch Änderungen vom zwischenstaatlichen Rat für deutsche Rechtschreibung erwartet.
Bei allen anderen Gebieten werden die Fehler ab dem 1. August nicht mehr nur rot angestrichen, sondern wirken sich auch auf die Noten aus. «Für die Schülerinnen und Schüler gibt es keine Änderungen», so Claudia Meier. «Sie lernen bereits seit Jahren nach der neuen Ordnung.»
Die lange Zeit des Übergangs
Im Gegensatz zur EDK und den Behörden in Deutschland und Österreich werden die Schweizer Bundes- und Kantonalverwaltungen die neuen Regeln ihren Mitarbeitenden noch nicht zur Pflicht machen, sondern die Übergangsfrist verlängern, bis der Rat für deutsche Rechtschreibung definitiv entschieden hat.
Werner Hauck, Leiter der Zentralen Sprachdienste bei der Bundeskanzlei und Vertreter der Schweiz im Rat für deutsche Rechtschreibung, bezeichnet denn auch den Entscheid der EDK als «unglücklich». Er hätte es begrüsst, wenn die bisherige Toleranz beibehalten worden wäre, bis eine klare Regelung steht.
«Man setzt nicht einen unabhängigen Rat ein, der in einer zerstrittenen Situation den längst fälligen Konsens erzielen soll, um ihm schon nach kurzer Zeit die Hälfte seines Wirkungsfeldes zu entziehen», erklärt Werner Hauck.
Nicht etwa, dass er für Regellosigkeit wäre. «Rechtschreiberegeln sind wie Asphalt, der für Radfahrer einen steinigen Feldweg zur raschen und sicheren Bahn machen», betont Hauck im Gespräch mit swissinfo. «Aber wir dürfen nicht vergessen: Regeln sind statisch, die Sprache hingegen ist in einem ständigen Prozess!»
Ende in Sicht
Hauck ist optimistisch, dass im nächsten Jahr über die strittigen Punkte unter den verschiedenen Rats-Mitgliedern eine Einigung zustande kommt. Dann wird der Unterschied zwischen einem frischgebackenen Ehemann und einem frisch gebackenen Brötchen wohl wieder sichtbar sein. «Die Stimmung ist gut, und bei der Getrennt- und Zusammenschreibung – eine grosse Krux – konnte bereits ein Konsens gefunden werden.»
Für die Verwaltungen von Bund und Kantonen gilt also weiterhin die bisherige Toleranz, bis der Rat seine Arbeit abgeschlossen hat. Chaos herrscht deswegen noch lange nicht. Probleme sieht Sprachdienst-Leiter Hauck eher in einer Überreaktion auf die Reform: «Viele meinen, getrennt sei generell richtig und schreiben: ‹ein Verhaltens auffälliges Kind› oder ‹Spitzensport freundliche Bestimmungen›.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein
1996: Absichtserklärung über Einführung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wird in Wien unterzeichnet.
1998: Am 1. August tritt in der Schweiz, Deutschland und Österreich die neue Rechtschreibung in den Schulen und Behörden in Kraft.
2005: Am 31. Juli endet die 7-jährige Übergangsfrist.
In den Schweizer Verwaltungen wird die Übergangsfrist verlängert, bis die strittigen Punkte bereinigt sind.
In den Schulen gilt die Reform, ausgenommen der strittigen Gebiete.
In Deutschland setzen 14 der 16 Bundesländer die Neuregelung teilweise in Kraft, in Österreich ebenfalls.
Im Herbst 2004 wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung gegründet. Er hat die Aufgabe, die anhaltenden Differenzen zu schlichten.
Dem Rat gehören 39 Mitglieder aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und dem Südtirol an.
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