Roche stellt Pandemie-Vorsorge in Frage
Der schweizerische Pharmakonzern Roche kritisiert die Regierungen weltweit, weil sie nicht genügend Anti-Viren-Mittel Tamiflu vorrätig hätten um eine Grippe-Pandemie zu bekämpfen.
Die Weltgesundheits-Organisation WHO hatte die Menge von Tamiflu, die auf den Markt kommen sollte, nicht genannt, jedoch erklärt, mit den Vorbereitungen der Mitgliedstaaten zufrieden zu sein.
Die in Genf ansässige WHO warnte erneut davor, dass ein Ausbruch einer neuen Grippevariante «überfällig» sei, sollte das Vogelgrippevirus zum Beispiel mutieren oder auf den Menschen übergreifen. Tamiflu sei ein wichtiger Teil ihrer Pläne, um der Bedrohung entgegenzuwirken.
William Burns, Pharmachef von Roche, hatte an einer Konferenz vergangener Woche in Basel erklärt, dass die Bestellungen von Regierungen für Tamiflu im ersten Quartal dieses Jahres zurückgegangen seien, obwohl der Konzern die Kapazitäten zur Produktion erhöht habe.
«Über die letzten zwei Jahre hinweg sind die meisten Regierungen einen weiten Weg gegangen. Wir glauben aber, dass der Weg noch weit ist in Sachen Vorbereitung für Behandlungen. Damit könnte die Zahl der Todesfälle im Fall einer Pandemie drastisch gesenkt werden», sagte Burns.
«Kapazitätsengpässe sind kein Thema mehr. Heute geht es darum, wie sich die Regierungen vorbereitet sein wollen. Wir können unsere Lagerbestände aber nicht stetig ausbauen, wenn wir keine Kunden mehr haben.»
Roche ist in der Lage, pro Jahr 400 Millionen Packungen herzustellen, will die Produktion aber den Bestellungen anpassen. Gegenwärtig liegen Bestellungen von 80 Regierungen für über 215 Millionen Behandlungen vor.
«Bei einer Bevölkerung von sechs Milliarden auf diesem Planeten ist das eher bescheiden», so Burns.
WHO: Zufrieden mit Antwort
Roche hatte Ende des vergangenen Jahres seine Kapazitäten erhöht, nachdem der Pharma-Multi unter internationalen Druck geraten war. Zudem hatte der Basler Konzern Lizenzen an Firmen in China, Indien und Südafrika erteilt um das Medikament für den lokalen Bedarf herzustellen.
Die WHO, die drei Millionen Packungen Tamiflu an Lager hat, ist der Ansicht, eine neue Grippe-Pandemie sei unausweichlich.
Sie rechnet im Pandemiefall mit gegen einer Milliarde Grippekranken und mit zwischen zwei und 7,4 Millionen Toten weltweit.
Laut Experten könnte das Vogelgrippe-Virus H5N1 mutieren und dann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden oder sich mit einem neuen Grippevirus verbinden.
Wie WHO-Sprecher Gregory Hartl gegenüber swissinfo erklärte, haben über 170 der 193 WHO-Mitgliedstaaten eine Art Plan, um eine allfällige Grippe-Pandemie zu bekämpfen.
«Das ist wirklich ein grosser Indikator für die Ernsthaftigkeit, mit der die Welt mit der Möglichkeit einer neuen Pandemie umgeht», sagte er.
Länder müssen entscheiden
Es sei jedoch Sache der einzelnen Staaten zu entscheiden, wie sie sich vorbereiten wollten.
«Wir können keine umfassende Empfehlung für jedes einzelne Mitglied abgeben, weil sie unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich verfügbarer Finanzen oder anderer Prioritäten im Gesundheitssektor haben. Wir können den Regierungen nicht sagen, was sie tun müssen», betonte der WHO-Sprecher.
Die Bereitstellung von Anti-Viren-Mitteln wie Tamiflu ist nur eine von vielen Möglichkeiten, welche die Weltgesundheits-Organisation empfiehlt.
Die WHO hatte am Donnerstag in Genf angekündigt, sie werde ihre Aufmerksamkeit künftig vor allem auf die Produktion und Verteilung von Grippe-Impfungen richten. Die Schweiz plant, im Fall eines Grippeausbruchs die gesamte Bevölkerung zu impfen.
swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
Herstellung von Tamiflu
1999-2002: 5,5 Mio. Packungen
2003: 18 Mio.
2004: 27 Mio.
2005: 55 Mio.
2006: 190 Mio.
Kapazität für 400 Mio.
Tamilfu wurde von der US-amerikanischen Firma Gilead Sciences erfunden.
Zur Produktion von Tamiflu ging 1996 eine exklusive Lizenz an Roche.
Das Patent ist bis 2016 geschützt.
Bekannt unter dem Namen Oseltamivir gilt das Medikament als wirksam gegen Grippe beim Menschen, die vom Vogelgrippe-Virus stammen könnte.
Die Vogelgrippe grassiert insbesondere in Asien, aber auch in Europa.
Erstmals wurde das Vogelgrippe-Virus H5N1 1996 in der chinesischen Provinz Guangdong isoliert und entdeckt.
Die ersten Fälle von Vogelgrippe-Erkrankungen beim Menschen wurden ein Jahr später in Hongkong registriert, 18 Personen erkrankten, 6 von ihnen starben.
Bisher sind bei der WHO 291 Fälle von Vogelgrippe beim Menschen bestätigt, mit 172 Todesfällen (April 2007).
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