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Rückkehr zum Geist von Srebrenica

Eine bosnische Muslimin betet auf dem Gedenk-Friedhof von Potocari. Keystone

50 Überlebende des Massakers von Srebrenica, die in der Schweiz Zuflucht fanden, nahmen am Montag an den Gedenk-Veranstaltungen zum 10. Jahrestag teil.

Gegen 8000 muslimische Männer und Jungen wurden von bosnisch-serbischen Truppen in der UNO-Schutzzone abgeschlachtet.

Ungefähr 50’000 Überlebende und Angehörige der Toten haben am Montag beim Potocari-Erinnerungs-Zentrum nahe Srebrenica der Opfer der Massaker gedacht.

Nach der Gedenkveranstaltung wurden 610 identifizierte Srebrenica-Opfer beigesetzt, deren Leichen in Massengräbern in den umliegenden Hügeln gefunden worden waren. Schon früher waren an der Erinnerungsstätte mehr als 1300 dieser Opfer bestattet worden.

Der Genozid von Srebrenica war das blutigste Kapitel des von 1992 bis 1995 tobenden Bosnien-Krieges. Der damalige politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und sein ehemaliger Armeekommandant, Ratko Mladic, sind vom internationalen Kriegsverbrechtribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) angeklagt worden. Sie haben sich bislang aber der Verhaftung entzogen.

Fahrudin Salihovic, Präsident der Vereinigung der Überlebenden von Drina-Srebrenica und früherer Bügermeister der Stadt, sagte gegenüber swissinfo, dass kein Tag vergehe, an dem er nicht an die Gräuel der Ereignisse vom 12. Juli 1995 zurückdenken müsse.

«Ich kann nicht vergessen, dass während 5 Tagen Jungen und alte Männer auf die barbarischste Weise abgeschlachtet wurden», sagt Sahilovic, der heute in Genf lebt.

Sahilovic, der an den Gedenkveranstaltungen nicht teilnehmen kann, da ihm sein Aufenthaltsstatus in der Schweiz eine Reise nach Bosnien-Herzegowina verbietet, sagt, er sei tief enttäuscht, nicht in Srebrenica an der Seite mit den anderen Überlebenden sein zu dürfen.

Trauerarbeit

Marc Walther, Psychiater in Lausanne, hat in Srebrenica mit Überlebenden gearbeitet. Er ist überzeugt, dass die Gedenkzeremonie ein wichtiger Schritt für deren Trauerarbeit sein wird.

Er sagt, dies sei für viele die erste Rückkehr seit dem Massaker, an deren Erinnerung sie immer noch schwer trügen.

«Viele von ihnen möchten sich der Vergangenheit stellen und vor aller Welt Zeugnis ablegen, was geschah. Andere werden dort – symbolisch oder effektiv – die Menschen begraben, die sie verloren haben», erklärt Walther gegenüber swissinfo.

Die Schweizerin Carla Del Ponte, die ICTY-Chefanklägerin, wird bei der Zeremonie nicht anwesend sein.

Letzte Woche bestätigte ihr Sprecher, dass sie nicht kommen werde, «solange Karadzic und Mladic in Freiheit sind». Die Chefanklägerin hat wiederholt ihrer Frustration Ausdruck verliehen, dass die verantwortlichen Behörden die beiden noch nicht vor Gericht gebracht haben.

Schande

«Frau Del Ponte kann den Opfern nicht ins Gesicht schauen, wenn Karadzic und Mladic 10 Jahre, nachdem sie zum ersten Mal vom ICTY angeklagt wurden, immer noch Straffreiheit geniessen», sagt Sprecherin Florence Hartmann.

«Es ist eine Schande, dass die beiden Personen, die für den Genozid in Srebrenica verantwortlich sind, noch nicht vor Gericht stehen.»

Salihovic ist derselben Ansicht. Er hofft, dass Mladic, Karadzic und «andere Kriegsverbrecher» sich eines Tages vor dem Gerichthof in Den Haag verantworten müssen.

Vor der Gedenkveranstaltung hat auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) nach erneuten Bemühungen verlangt, das Schicksal von über 14’500 seit dem Konflikt vermissten Menschen zu klären.

Die Zahl schliesst mehr als 5500 Menschen ein, die nach den Ereignissen in Srebrenica und dem umliegenden Gebiet noch immer vermisst werden.

«Das Recht der Familien, das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen zu kennen – wie es durch internationales humanitäres Recht vorgesehen ist – muss unterstützt und respektiert werden», sagt das IKRK in einem Statement.

swissinfo, Adam Beaumont
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

11. Juli 1995: Bosnische Serben überrennen eine kleine Gruppe von holländischen Blauhelmen und übernehmen die Kontrolle über Srebrenica, wo Zehntausende von Zivilisten Schutz gesucht hatten.
12. Juli: Die Serben beginnen mit der Trennung der zwischen 12 und 65 Jahre alten Männer vom Rest der Bevölkerung.
Einige Tausend Männer, Kämpfer und Zivilisten, fliehen in eine Enklave an der so genannten «Strasse des Todes».
13. Juli: Die ersten Tötungen von unbewaffneten Muslimen beginnen. Viele der Opfer werden in Massengräbern beigesetzt.

Von 1992 bis 1995 war Bosnien-Herzegowina die Bühne eines ethnischen Krieges zwischen Serben Kroaten und Muslimen. Schätzungsweise 25’000 Menschen starben.

Rund 2 Mio. Menschen wurden durch den Konflikt vertrieben. Davon flohen rund 10’000 in die Schweiz.

Einige Parlamentarierinnen haben die Schweiz ersucht, die Zwangsrückschaffungen abgewiesener Asylsuchenden nach Bosnien-Herzegegowina zu unterbrechen.

Das südosteuropäische Land ist wegen seiner Nachkriegsprobleme ein Schwepunkt der Schweizerischen Entwicklungs-Zusammenarbeit.

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