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Sans-Papiers -Eine Erfolgsgeschichte?

"Kein Mensch ist illegal" - dies ist die Losung der Unterstützungs-Komitees. Keystone

Vor einem halben Jahr sprach niemand von ihnen - nun sind sie Thema im Parlament. Die Sans-Papiers haben es auf die politische Agenda geschafft.

Es begann mit der Besetzung einer Kirche in Freiburg: Am 4. Juni machten rund 100 papierlose Ausländer und Ausländerinnen auf ihr Schicksal aufmerksam. Sie sind Saisoniers, ehemalige Gastarbeiter, die nun keine Bewilligung mehr haben, sich im Lande aufzuhalten. Es sind Frauen und Männer, geschieden von Schweizer Ehepartnern, aber auch Asylbewerber – legal eingewanderte Menschen, die ihren Status verloren haben. Etwa zwischen 150’000 bis 300’000 an der Zahl.

Gemeinsam ist die fehlende Aufenthaltsbewilligung

Gemeinsam ist ihnen einzig ihr Status: Sie haben keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Sie leben unauffällig, von Behörden unbemerkt, von der Fürsorge unabhängig und oft am Rande der Existenz, da sie als Schwarzarbeiterinnen und -arbeiter auf dem Bau, als Hausangestellte, im Service und Sexgewerbe schlecht bezahlt und ausgebeutet werden.

Vor einem halben Jahr lebten sie noch in der Klandestinität und Anonymität. Mit der Kirchenbesetzung und Aktionen in Lausanne, La Chaux-de-Fonds, Bern und Basel wagten sie den Schritt an die Öffentlichkeit. Schweizweit sind sie nun Gesprächsthema im Tram, am Stammtisch und nun auch im Bundeshaus.

60 Stunden Teller waschen für einen Hungerlohn

Gesprochen wird über die Ausbeutung. Zum Beispiel über den 19-jährigen Ecuadorianer, der 60 Stunden die Woche Teller wäscht. Lohn: 1500 Franken. Oder über die billigen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, die ohne soziales Netz wie Krankenkasse oder Arbeitslosenversicherung zu niedrigstem Lohn schuften. Oder aber darüber, dass sie raus müssen.

Gesprochen wird aber auch über Lösungsmöglichkeiten. Die Unterstützungs-Komitees verlangen eine kollektive Legalisierung, sekundiert von sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten. Diese verlangen, dass sich die Regierung gegenüber den Papierlosen grosszügiger zeigt. Vor allem bei der Ausbildung. «Illegale» Kinder werden nur zur obligatorischen Schule zugelassen. Für Mittelschule oder Lehre bräuchten sie zwingend eine Aufenthaltsbewilligung.

Einzelfall statt Eintopf

Der Bundesrat fährt bis heute eine harte Linie gegenüber den Papierlosen. Globallösungen lehnt er, wie auch die Mehrheit der Räte, ab und zieht Härtefall-Prüfungen vor. Demnach sollen Sans-Papiers je nach Aufenthaltsdauer (frühestens vier Jahre), Gesundheitszustand, familiärer Situation und nach dem Grad der sozialen und beruflichen Integration eventuell aufgenommen werden. Die Integration wurde von Justizministerin Ruth Metzler erst im Laufe der Diskussion um die Sans-Papiers als Kriterium eingeführt.

Der Erfolg der Sans-Papiers, Diskussionsthema zu werden (trotz 11. September, Swissair-Debakel, Amoklauf in Zug und Inferno im Gotthard) ist gepaart mit dem Misserfolg auf der politischen Bühne. Zwar haben sie es bis ins Bundeshaus geschafft, doch ihr Anliegen – die kollektive Aufnahme – hatte keine Chance.

Profitieren von den «Illegalen»

Von links wurde moniert, die Schweiz schaffe sich einen Teil ihres Reichtums auf dem Rücken der Ärmsten. Die Gesetzgebung gehe an der Realität vorbei und die Härtefallprüfungen würden der humanitären Situation nicht gerecht. Es wurde daran erinnert, dass mehrere europäische Länder eine Globallösung vorgenommen hätten.

Die Ratsrechte hielt dem entgegen, man dürfe nicht Täter und Opfer verwechseln. Bei den Sans-Papiers handle es sich um «Rechtsbrecher und Illegale». Wer illegal anwesend sei, müsse «raus, aber schnell», tönte es aus den Reihen der Schweizerischen Volkspartei.

Die Mittelposition nahmen der Freisinn und die Christlichdemokratische Volkspartei ein. Sie vertraten die Meinung, dass auf verschiedenartige Situationen unterschiedlich reagiert werden müsse.

Keine Globallösung und kein Ende der Diskussion

Bundesrätin Ruth Metzler bekräftigte, dass nur die Einzelprüfung von Härtefällen eine gerechte Lösung sei. Diese ständige humanitäre Praxis garantiere Nachhaltigkeit, Einzelfallgerechtigkeit und Rechtsgleichheit. «Rechtsgleichheit bedeutet nämlich, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist.»

Die Globallösung ist also vom Tisch – ist es auch die Bewegung der Sans-Papiers? Wohl kaum. Verlangt wird nun ein Ausschaffungsstopp für Papierlose. In der Deutschschweiz nimmt die Repression laut den Unterstützungs-Komitees zu. Jüngst wurden in Basel 13 und in Bern 6 Sans-Papiers verhaftet und zum Teil ausgeschafft – Öl ins Feuer der Sympathisanten, Wasser auf die Mühle derer, die das Thema auf der Agenda halten.

Denn, so Justizministerin Metzler: «Es gibt in der Frage der Papierlosen keine vollständige Lösung – das zu glauben, wäre eine Illusion. Papierlose wird es immer geben, auch darüber dürfen wir uns keine Illusion machen.»

Rebecca Vermot

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