Scherbenhaufen nach dem Ärztestopp?
Der im Jahr 2002 gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen eingeführte Ärztestopp läuft 2009 definitiv aus. Eine alternative, mehrheitsfähige Lösung zur Begrenzung der Arztpraxen ist nicht in Sicht.
Am 18. Dezember befasst sich der Ständerat mit dem Problem. Bereits zweimal hat das Parlament den Ärztestopp verlängert. Damit ist jetzt definitiv Schluss: Die Verordnung kann nicht ein drittes Mal verlängert werden.
In den vergangenen Monaten haben die Gesundheitspolitiker des Ständerats nach einem Ersatz für den Ärztestopp gesucht und ihn schlussendlich nicht gefunden.
Zur Diskussion stand ein sogenanntes duales Versicherungs-Modell, das den Versicherten die Wahl zwischen einer wettbewerbsorientierten Krankenkassen-Police oder einer staatlich gelenkten Police gelassen hätte.
Staatlich gelenkt, das hätte bedeutet: keine freie Arztwahl. Mit einer um 20% höheren Krankenkassenprämie jedoch wäre die freie Arztwahl weiterhin möglich gewesen. Gesundheits-Ökonomen und -Politiker erhofften sich von diesem Kompromiss eine regulierende Wirkung auf die Anzahl der Arztpraxen.
Hinter dem Modell stand die Mehrheit der Krankenkassen, die sich eine Lösung ohne allzu direkte staatliche Interventionen in der seit Jahren umstrittenen Frage des Vertragszwanges mit den Ärzten erhofft hatten.
Widerstand von allen Seiten
Um den mit der Einführung der Personenfreizügigkeit befürchteten Zustrom von Ärzten aus den EU-Ländern einzudämmen, führte das Parlament im Jahr 2002 als befristete Massnahem den Ärztestopp ein.
Seit 2004 will die Regierung mit einer Revision des Krankenkassen-Gesetzes den Vertragszwang zwischen Krankenkassen und Ärzten abschaffen und so den Wettbewerb unter den Ärzten stärken und eine Überversorgung verhindern. Der Widerstand dagegen ist gross und kommt von der Ärzteschaft und von den Kantonen.
Das duale Versicherungsmodell war als Kompromiss erarbeitet worden, scheiterte nun aber an der konkreten Umsetzung. Die Beratungen im Parlament werden nächstes Jahr wieder bei Null beginnen.
Mehr Deutsche Ärzte?
Das Risiko, dass das Parlament sich nicht wird einigen können und darum der Ärztestopp Ende 2009 ersatzlos ausläuft, halten verschiedene Gesundheitspolitiker für gross. «Wir nehmen also in Kauf, dass die Situation auf dem Ärztemarkt aus dem Ruder läuft», warnt die Freisinnige Ständerätin Erika Forster.
Er rechne mit einer «erheblichen Zunahme» von Ärzten insbesondere aus Deutschland, sagt der Gesundheitsökonom Willy Oggier, der an der Ausarbeitung des dualen Modells massgeblich beteiligt war.
Eine ersatzlose Streichung des Ärztestopps liegt nicht im Interesse des Krankenkassen-Dachverbandes Santésuisse. Es sei schwierig abschätzbar, ob in diesem Fall vor allem deutsche Ärzte neue Praxen eröffnen werden, sagt Felix Schneuwly, Leiter der Abteilung Kommunikation und Politik, gegenüber swissinfo.
«Klar ist jedoch, dass die Kosten steigen, je höher die Ärztedichte ist. Das zeigen die hohen Gesundheitskosten in den Kantonen mit hoher Ärztedichte.»
Kantone wollen zuständig sein
Die Krankenkassen möchten sich seit Jahren vom Vertragszwang befreien. «Leistungen der Ärzte sind vergleichbar. Jetzt müssen die Kassen mit allen Ärzten Verträge abschliessen, auch mit den teuersten Spezial-Ärzten», so Schneuwly.
Die Standesorganisationen der Ärzte hingegen wehren sich gegen die Abschaffung des Vertragszwanges. Am 1. Juni 2008 lehnten zudem die Stimmenden den neuen Gesundheitsartikel in der Verfassung mit fast 70% Nein-Stimmen ab. Ein Ja zum Gesundheitsartikel hätte die freie Arztwahl abgeschafft.
Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren befürwortet ein Modell, bei dem die Kantone zuständig wären für die Ärztedichte. Sie sollten je nach Bedarf die Anzahl Ärzte einschränken oder – in Regionen mit Ärztemangel – fördern können.
Santésuisse bezweifelt, dass dieses Modell den Anstieg der Gesundheitskosten eindämmen würde und verweist auf die Spitalplanungen, die seit jeher in der Kompetenz der Kantone liegt: «Der Spitalbereich mit dem stärksten Kostenwachstum ohne entsprechenden Mehrnutzen für die Bevölkerung legt die Schwächen kantonaler Planungen offen», kritisiert Felix Schneuwly.
swissinfo, Andreas Keiser
Der im Jahr 2002 eingeführte Ärztestopp läuft 2009 definitiv aus. Eine alternative, mehrheitsfähige Lösung zur Begrenzung der Arztpraxen ist nicht in Sicht.
Im Juli 2002 zog die damalige Innenministerin Ruth Dreifuss bei der Kostenexplosion im Gesundheitswesen die Notbremse und führte einen Zulassungstopp für neue Arztpraxen ein.
Der Stopp war insbesondere gegen die befürchtete Ärzteschwemme aus der Europäischen Union (EU) gerichtet.
Durch die Personenfreizügigkeit im Rahmen der Bilateralen Verträge hätten EU-Ärzte leicht zahlreiche Praxen eröffnen können.
2005 wurde der Ärztestopp mangels Alternativen zur Kostensenkung um drei weitere Jahre verlängert.
Im Sommer 2008 verlängerte das Parlament den Ärztestopp zum zweiten Mal. Ende 2009 läuft er aus.
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