Schnellverfahren gegen randalierende Fussballfans
Die Schweizer Fussballmeisterschaft beginnt an diesem Wochenende mit einer grossen Neuerung: In St. Gallen sitzt erstmals ein Untersuchungsrichter im Stadion, um allenfalls randalierende Hooligans im Schnellverfahren aburteilen zu können.
In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren das Hooligan-Phänomen drastisch verschärft. Vor allem in der Endphase der letzten Meisterschaft häuften sich Ausschreitungen gewaltbereite «Fans».
Tatsächlich verging kaum mehr ein Wochenende, an dem es nicht zu Ausschreitungen in oder neben den Fussballstadien kam. Die Gewaltexzesse beunruhigen nicht nur die grosse Mehrheit der friedlichen Fans und Bürger, sondern auch die Behörden.
Auf die neue Spielzeit tritt der Kanton St.Gallen im Kampf gegen die Gewalt aufs Gaspedal. Ab dem Auftaktsspiel des FC St. Gallen gegen Basel vom Sonntag sitzt für die Meisterschaft 2009/10 auch ein Untersuchungsrichter auf der Tribüne. Sollte es zu Ausschreitungen kommen, kann er Randalierer im Schnellverfahren aburteilen.
Stadion kein Gericht
«Wir wollen Gewalttäter so schnell wie möglich verurteilen», sagt Simon Burger, Untersuchungsrichter bei der Staatsanwaltschaft St. Gallen, gegenüber swissinfo.
Wenn es eindeutige Beweise gibt, dass eine Tat begangen wurde, soll der Richter die Person noch am gleichen Tag befragen und verurteilen können. Dies gilt laut Burger beispielsweise für Personen, die nachweislich Feuerwerkskörper zünden. Solche sind besonders gefährlich, weil dabei Temperaturen bis 2000 Grad entstehen.
In St. Gallen wird der Einzelrichter zwar während des Spiels im Stadion sein, um sich ein persönliches Bild von der Situation zu machen. Die eigentliche Arbeit wird er aber in seinem Büro verrichten, rund zwei Kilometer von der Arena entfernt.
Der Richter kann sich in seinem Schnellverfahren auf Aufnahmen von Überwachungskameras stützen. Aber auch auf die Aussagen von Polizisten sowie der tatverdächtigen Person.
Der Strafrahmen beträgt bei einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätze. Ist nach einer schweren Tat eine Freiheitsstrafe angezeigt, kann der Gewalltäter für bis zu sechs Monate hinter Gitter wandern. Dies entspricht dem Rahmen der Schnellverfahren im Bereich der Drogenkriminalität.
«Wir können nur in Einzelfällen intervenieren, wenn der Tatverdächtige eindeutig identifiziert werden kann. Wenn grosse Gruppen mit Dutzenden von Beteiligten aufeinander losgehen sollten, hätten wir ein Organisations- und Personalproblem.»
Burger betont den Versuchscharakter der Neuerung und beschwichtigt gleichzeitig mögliche Kritiker: «Das Stadion wird sich nicht in einen grossen Gerichtshof verwandeln.»
Eindeutige Beweise nötig
Für Claudius Schäffer, den Hausjuristen des Schweizerischen Fussballverbandes, zielt die Massnahme der St. Galler in die richtige Richtung. «Wir hoffen, dass andere Kantone nachziehen», so Schäffer.
Doch das Vorgehen der St.Galler Staatsanwaltschaft findet nicht nur Applaus. «Die von den Polizisten gelieferten Beweismittel könnten nicht objektiv sein. Wir wissen, dass einige Fans auf der schwarzen Liste der Polizei stehen, obwohl sie keine Kriminellen sind», wendet Roman Wäspi vom St. Galler Fan-Club 11 ein.
«Ein Tatverdächtiger kann auch keinen Anwalt zu Rate ziehen, was fragwürdig ist. Es geht ja niemand in Begleitung eines Anwalts ins Stadion.»
Untersuchungsrichter Simon Burger lässt Wäspis Einwände nicht gelten. «Eine Person kann nur auf Grundlage eineindeutiger Beweise verurteilt werden. Und einem Angeklagter steht es frei, einen Anwalt zu verlangen. Wir können auch ein oder zwei Stunden mit der Verurteilung warten.»
Rezepte gegen Hooligans
Das Vorgehen der St. Galler Staatsanwaltschaft stellt nur eine Möglichkeit in einem ganzen Strauss von Massnahmen gegen Hooligans dar. Im Jahr 2006 verabschiedete das Schweizer Parlament in Hinblick auf die Fussball-Europameisterschaft 2008 das so genannte Anti-Hooligan-Gesetz.
Dieses beinhaltet eine zentrale Hooligan-Datenbank, Stadionverbote oder Reisebeschränkungen, Meldepflicht auf einem Polizeiposten oder, als letzte Möglichkeit, Präventivhaft von maximal 24 Stunden für gewaltbereite Matchbesucher.
Strafen und/oder Erziehen?
Diese Massnahmen sind Teil des revidierten Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit. Ab Januar 2010 werden sie auch Teil der kantonalen Gesetzgebungen. Sie wurden von der Mehrheit der 26 Kantone ratifiziert.
Sportminister Ueli Maurer (SVP) hat zudem vor kurzem vorgeschlagen, die Bussen zu erhöhen und die Namen von Gewalttätern zu veröffentlichen, beispielsweise im Internet.
Diese Massnahmen lenken laut Raffaele Poli vom Institut für Sportwissenschaften an der Universität Lausanne aber nur vom eigentlichen Problem ab. Laut Poli müsste man den jungen Leuten durch einen konstruktiven Dialog helfen, sich anständig zu benehmen.
Nur noch Sitzplätze
Der Schweizer Präsident des Weltfussball-Verbandes (Fifa), Sepp Blatter, ist der dezidierten Meinung, dass es in den Stadien keine Stehplätze mehr geben sollte. Wer ein Match im Sessel verfolge, wie in Spanien oder England üblich, bleibe emotional ruhiger.
Anders sieht es Roman Wäspi vom St. Galler Club 11. «Die beste Lösung ist ein Stadionverbot für Randalierer und Sanktionen in Form von Spielen unter Ausschluss des Publikums (sog. Geisterspiele, die Red.): Wenn die Fans wissen, dass sie vielleicht den nächsten Match nicht sehen können, werden sie alles tun, gewalttätige Randalierer auszugrenzen.»
Luigi Jorio, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Gewalt in Schweizer Sportstadien ist seit Anfang der 1980er Jahre ein Thema.
Das Phänomen betrifft vor allem Fussball und Eishockey. Es sind die beiden beliebtesten Sportarten in der Schweiz mit den meisten Zuschauern.
Gemäss einem Rapport des Bundesamtes für Polizei aus dem letzten Jahr gibt es in der Schweiz rund 1500 gewaltbereite Personen.
In der Hooligan-Datenbank sind aktuell rund 500 Personen gespeichert, das sind doppelt so viele wie vor einem Jahr. Die meisten sind mit einem Stadionverbot belegt.
Stadionverbote wurden in der Schweiz bisher nicht konsequent durchgesetzt. Die Klubs, die dafür verantwortlich sind, delegieren den Ordnungsdienst meist an private Sicherheitsfirmen.
Favorit in der Schweizer Fussballmeisterschaft (Super-League) 2009/2010, die am Wochenende beginnt, ist Titelverteidiger FC Zürich. Diese Mannschaft gewann in vier Jahren drei Titel.
Historischer Hauptrivale der Zürcher ist der FC Basel. Die Mannschaft aus der Rheinstadt geht nach zehn Jahren unter Christian Gross neu mit dem Deutschen Thorsten Fink als Trainer in die Meisterschaft.
Auch die Young Boys aus der Hauptstadt Bern wollen im Titelkampf mitmischen. Seit 20 Jahren wartet YB nun schon auf einen grossen Titel.
Die weitere Mannschaften in der Super League 2009/2010: Grasshoppers Zürich, Luzern, Sion, St. Gallen, Bellinzona, Neuchâtel Xamax und Aarau.
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