Schon wird die «Nach-Federer»- Zeit geplant
Nach Federer die Sintflut? Das ist nicht nach dem Wunsch von Swiss Tennis. Der Verband wirbt um Nachwuchs. Mit einer beschränkten Auswahl will er sich vor allem für die Qualität der Betreuung und der Infrastruktur einsetzen.
Am vergangenen 16. Dezember legten René Stammbach, Präsident des Schweizerischen Tennisverbandes, und Hans Stöckli, Stadtpräsident von Biel, den Grundstein zur Erweiterung des Nationalen Tenniszentrums. In etwas mehr als einem Jahr soll ein neuer Gebäudekomplex mit Tennisplätzen, Zimmern und Unterrichtslokalen im Osten der Stadt Biel gebaut werden.
Die Arbeiten kosten 6 Millionen Franken, von denen 1,5 Millionen zu Lasten des Bundes gehen. Die neue Infrastruktur wird von den zehn Schweizer Hoffnungsträgern genutzt, die bereits in Biel trainieren, aber auch von den jungen ausländischen Athleten, die sich an der neuen «Swiss Tennis Academy» eingeschrieben haben. Die Kosten für Ausbildung und Logis belaufen sich auf 36’000 Franken pro Jahr. Der Verband will einen Teil der Kosten seines eigenen Nachwuchses finanzieren.
«Das ist ein neuer Anfang», fasst René Stammbach zusammen. «Die neuen Strukturen erlauben es den jungen Menschen, zu trainieren und unter dem gleichen Dach zu leben. Heute verlieren sie fast zwei Stunden pro Tag, um zwischen ihren Wohnorten, der Schule und den Trainingsorten hin- und her zu reisen.» Der Zuwachs der Mitglieder wird auch zur Folge haben, dass die «Sparring-Partner» zunehmen und somit das Niveau des Trainings.
Ein auserlesener Berater
Der Verband hat auch in Betreuung investiert, indem er sich die Dienste eines hochkarätigen Betreuers geleistet hat. Heinz Günthard, ehemaliger Profispieler und Erfolgstrainer, hat ein Mandat zur Supervision der Arbeit der sechs Verbandstrainer. «Jeder Trainer benötigt einen externen Blick auf seine Arbeit. Als ich Steffi Graf trainierte, habe ich regelmässig Kollegen gefragt, um sie um ihre Sicht der Dinge zu bitten», erklärt Günthardt, der soeben die Zusammenarbeit mit der serbischen Spielerin Ana Ivanovic beendet hat.
Mehr auf Qualität anstatt auf Quantität zu setzen, das ist das Credo der Führung des Schweizer Tennisverbandes. «Russland und Frankreich haben Konzepte entwickelt, die sich auf Hunderte von jungen Spielern beziehen. In der Schweiz bringt das nichts. Wir haben im Maximum drei bis vier Talente, die in der Lage sind, Teil der Tenniselite zu werden. Wir müssen ihren Weg aufmerksam verfolgen und ihnen die besten Entwicklungsmöglichkeiten bieten, ob das nun in Biel, in Zürich oder anderswo ist. Das Ziel ist, auf die besonderen Bedürfnisse jedes Spielers eingehen zu können», hält Günthardt fest.
Mittelfristig sollten diese Talente auf ihren eignen Flügeln in den internationalen Tenniszirkus fliegen können. Warum sollte man die Ausnahmespieler, die es geschafft haben, nicht nachahmen? Die Schweiz hat zwei Nummern eins im Tennis hervorgebracht, Martina Hingis und Roger Federer, aber auch andere Athleten, die sich international nicht verstecken müssen, wie Patty Schnyder oder Stanislas Wawrinka.
Athletisches Tennis
«Diese aussergewöhnliche und glückliche Konstellation hat sehr hohe Erwartungen in der Öffentlichkeit hervorgerufen.» Man müsse realistischer werden in Zukunft, warnt auch Severin Lüthi, der Captain der Schweizer Equipe im Davis Cup und Trainer von Roger Federer.
René Stammbach hofft, dass mit der Vergrösserung des Nationalen Tenniszentrums und der Einbettung der Trainer «Spieler in fünf bis sieben Jahren in der Lage sein werden, die Nationalfarben im Daviscup zu verteidigen». Er schätzt, dass Roger Federer «mindestens noch während fünf Jahren weiterspielt».
Severin Lüthi allerdings zeigt sich etwas skeptisch für die weitere Zeit: «Ich sehe zur Zeit keinen neuen Spieler, der das Potential hätte, der Nationalmannschaft beizutreten.»
Das beste Mitglied des A-Kaders von Swiss Tennis, das die neun besten Spielerinnen und Spieler unter 18 Jahren erfasst, ist in der Weltrangliste auf Platz 783. «Das Tennis wird immer athletischer. Der Übergang in die Top- 100 der Weltrangliste wird in Zukunft eher im Alter von 23 Jahren geschehen», relativiert Günthardt.
Die Jungen anziehen
Um Leute zu haben, die es weiterbringen können, ist es wichtig, eine solide Basis zu haben. Seit zehn Jahren hat die Anzahl der lizensierten Junioren leicht zugenommen, von 12’926 auf 14’613 Personen. Bei den Mädchen ging die Zahl zurück, von 4678 auf 3871. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Schweiz in dieser Periode ihre besten Tennisspieler aller Zeiten hervorgebracht hat.
Schwierig ist es auch für Severin Lüthi, dafür eine Erklärung zu finden. Das Phänomen sei allerdings nicht einzigartig, sagt er. «Viele Verbände kennen diese Art von Problemen. Mit der Vervielfachung von sportlichen Angeboten konzentrieren sich weniger Leute auf das Tennis.»
Bei Swiss Tennis ist man sich gewisser Schwächen in Bezug auf die Auswahl bewusst. Vom nächsten Jahr an will der Verband einen Nationalen Tennistag organisieren, der es den Clubs erlauben wird, neue Anhänger für den Sport zu finden. Die öffentliche Kampagne, die für den 27. August angekündigt ist, werde als Ikone einen gewissen Roger Federer benutzen.
Weltgruppe. Die Schweiz stieg im September von der Weltgruppe im Davis Cup in die untere Liga ab. Sie wird im Juni 2011 gegen Portugal oder die Slovakei spielen müssen. Im Falle, dass sie gewinnt, wird sie ein Barrage-Spiel austragen und gewinnen müssen, um wieder in die Weltgruppe aufzusteigen.
Spielt er, spielt er nicht? Die Resultate der Schweizer Equipe hängen stark von der Teilnahme Roger Federers ab. «Er hat versprochen, uns genug früh eine Antwort zu geben, damit wir diese Matchs aufs Beste planen können», sagt Severin Lüthi, Capitain des Teams.
Ein Datum sei aber nicht fixiert worden. Falls Federer nicht spielen will, wird das Kader verkleinert, und die Kosten gehen zu Lasten des Verbandes.
Sieg gewünscht. Im vergangenen Oktober hat eine Diskussion zwischen Roger Federer, Severin Lüthi und René Stammbach, dem Verbandspräsidenten, im Rahmen des Turniers von Stockholm stattgefunden. Federer soll dabei mehrmals ausgedrückt haben, dass er sich wünsche, dass die Schweiz den Davis Cup gewinne.
Kompliziert. Mit dem Abstieg der Schweiz «hat sich der Traum, den Wettbewerb eines Tages zu gewinnen, weit entfernt», sagt René Stammbach. Er fügt an: «Wenn ein Team gewinnen will, muss es dies vor 2015 tun.»
Eher ein Traum. Severin Lüthi hält es für sehr schwierig, einen solchen Sieg zu planen. «Spanien, Serbien oder Frankreich haben eine viel grössere Auwahl als wir. In diesem Stadium bleibt es mehr ein Traum als ein Ziel.»
(Übertragung aus dem Französischen: Eveline Kobler)
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