Schweiz bangt um vermisstes Mädchen
Seit sechs Tagen beschäftigt das Schicksal der fünfeinhalbjährigen Ylenia Bevölkerung und Medien in der Schweiz. Trotz intensiver Suche fehlt von ihr seit Dienstag jede Spur.
DNA-Spuren belegen, dass ein 67-jähriger Auslandschweizer mit Ylenias Verschwinden zu tun hat. Er war am Mittwoch tot gefunden worden, nachdem er sich selbst gerichtet hatte.
Kein Thema beschäftigt die Schweizer Öffentlichkeit derzeit mehr als die Ungewissheit über das Schicksal der kleinen Ylenia. Zeitungen recherchieren und stellen Spekulationen über mögliche Hintergründe des Falles an.
Die bisherigen Erkenntnisse der St. Galler Kantonspolizei lassen aber noch viele Fragen offen.
Die Spur des Mädchens verliert sich am letzten Dienstag Vormittag in ihrem Wohnort Appenzell, als es im Hallenbad ein Schampoo abholte, das es vergessen hatte.
Mit dem Schlimmsten rechnen
Trotz minutiöser Suche und Aufrufe an die Bevölkerung hat die Ostschweizer Polizei bis heute keine Hinweise über den Verbleib Ylenias.
Anfang diese Woche wurde die Suche mit einem Grossaufgebot von rund 100 Polizisten und Feuerwehrleuten intensiviert. Am Mittwoch stehen zudem 110 Soldaten der Schweizer Armee im Einsatz.
Die Polizeikräfte werden unterstützt durch Korpsangehörige aus den Kantonen Schaffhausen, Thurgau, Glarus, Graubünden sowie der Stadtpolizei St. Gallen und dem Fürstentum Liechtenstein. Beteiligt an der Grossaktion sind ferner Hunde, Polizeitaucher sowie ein Armee-Helikopter.
Zusammenhang hergestellt
Die Bemühungen konzentrieren sich auf den Raum Oberbüren im Kanton St. Gallen. Dort war in einem Wald wenige Stunden nach dem Verschwinden des Mädchens ein 46-jähriger Mann angeschossen worden. Dieser konnte trotz seiner Verletzung die Polizei alarmieren.
Als Schütze wurde ein 67-jährige Schweizer identifiziert, der seit 1990 in Spanien lebt und offenbar in die Ostschweiz zurückkehren wollte. Am Mittwoch wurde im Wald der Kastenwagen des Täters gefunden, kurze Zeit später seine Leiche. Der Auslandschweizer hatte sich mit einer Pistole selbst gerichtet.
Kleider gefunden
In unmittelbarer Nähe des Toten fand die Polizei Rucksack, Velohelm und das Trottinet des Mädchens. Daran fanden sich DNA-Spuren des 67-jährigen Mannes, sagte Bruno Fehr, Chef der St. Galler Kriminalpolizei, am Montag.
Die Behörden gehen davon aus, dass das fünfeinhalbjährige Mädchen nackt ist; sämtliche Kleider wurden in ihrem Rucksack in ordentlichem Zustand gefunden. «Wir müssen das Schlimmste befürchten», sagte Fehr. Dennoch werde weiterhin fieberhaft nach einem lebenden Mädchen gesucht.
Interpol eingeschaltet
Nebst den gross angelegten Suchaktionen laufen im Hintergrund die Ermittlungen auf Hochtouren. Die Polizei geht den zahlreichen Hinweisen aus der Bevölkerung nach und wertet Spuren aus. Auch Interpol wurde benachrichtigt, ebenso die Behörden in Spanien, wo der Tote gelebt hatte.
Die Bevölkerung sei stark sensibilisiert, sagte Hans Eggenberger, Sprecher der St. Galler Kantonspolizei. «Die Leute kommen mit allem zu uns.» Gemäss solchen Hinweisen aus der Bevölkerung wurde das Auto des mutmasslichen Täters schon ein bis zwei Wochen vor dem Verschwinden von Ylenia mehrmals im Raum Appenzell gesehen. Dies sagte der St. Galler Kripo-Chef Bruno Fehr in einem Interview mit der SonntagsZeitung.
Sonderkommission involviert
Der Auslandschweizer hat sich laut Fehr mehrfach für Mietobjekte interessiert. Die Polizei gehe deshalb bei ihrer Arbeit weiter davon aus, dass Ylenia auch irgendwo untergebracht sein könnte.
Bei der Suche war letzte Woche auch die Sonderkommission (Soko) Rebecca eingeschaltet worden. Die von der Berner Kantonspolizei geleitete Zentralstelle setzt auf operativer Ebene einen Sachbearbeiter zur Informationsbeschaffung und -auswertung ein.
swissinfo und Agenturen
In der Schweiz werden jährlich über 1000 Kinder als vermisst gemeldet.
Laut Kriminalstatistik des Bundesamtes für Polizei (fedpol) waren es 1593 im letzten Jahr und 1109 im Jahr 2005.
Die meisten vermissten Kinder werden als «Ausreisser» schnell wieder gefunden.
Dagegen gelten nur wenige als dauervermisst.
Spezialisiert auf das Verschwinden von Kindern in der Schweiz ist die Sonderkommission (Soko) Rebecca.
So nennt sich eine Arbeitsgruppe zur interkantonalen Koordination von Ermittlungen und Datenabgleichungen.
Die Leitung der Soko Rebecca liegt bei der Kantonspolizei Bern.
Das Gremium besteht aktuell aus einem Kernteam vorwiegend kriminalpolizeilicher Sachbearbeiter aus zehn Kantonen.
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