Braucht die Schweiz eine kontrollierte Kokain-Abgabe?
Die Suchtkommission des Bundes fordert ein Hilfsangebot für Crack-Süchtige und denkt an die kontrollierte Kokain-Abgabe. Doch kann auch bei Kokain gelingen, was bei Heroin funktioniert?
Warnende Stimmen gab es hie und da in den letzten zwei Jahren, seit in Genf der Crack-Konsum deutlich zugenommen hat: Die Schweiz müsse ihre Drogenpolitik überdenken und anpassen. Nun hat die Eidgenössische Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) nachgelegt.
«Personen, die mehrmals täglich Crack konsumieren, kommen in einen Teufelskreis aus Beschaffung und Konsum», schildert Vizepräsident Christian Schneider die Beobachtungen des letzten Sommers.
Für den strategischen Analytiker bei der Kantonspolizei Zürich braucht es nun zusätzliche und gut zugängliche Orte – Kontaktstellen und Rückzugsorte – für diese Süchtigen, die kaum noch schlafen, essen, trinken – oder dann erschöpft 24 Stunden durchschlafen. Sie verwahrlosen.
Genf war zuerst von der Crack-Welle betroffen, inzwischen sind es weitere Städte wie Lausanne, Basel, Zürich und Chur. Einige haben bereits reagiert und zusätzliche Angebote aufgebaut oder planen es noch. Auch das Bundesamt für Gesundheit hat zu Runden Tischen mit Kantonen und Städten gerufen.
Schneider geht davon aus, dass die Schweiz noch länger von dieser Situation betroffen sein wird. Die Kommission plädiert deshalb dafür, dass abgeklärt wird, wie die oft schwerst betroffenen Personen optimal versorgt werden können, damit sich nicht noch grössere Szenen bilden.
«Wir stellen zumindest in den Raum, wie man schwerst süchtigen Crack-Konsumierenden Kokain abgeben könnte, damit sie den Teufelskreis durchbrechen und sich wieder auffangen können», sagt Schneider.
Er denkt an Teams, die Suchtkranke aufsuchen und sie medizinisch oder psychotherapeutisch versorgen könnten. Angeknüpft an die erfolgreiche Abgabe von Heroin oder Methadon der letzten Jahrzehnte soll also Kokain kontrolliert abgegeben werden.
Experten warnen vor Kokain
Doch dazu gibt es kaum Forschung, und die Fachwelt ist gespalten: «Viel zu gefährlich», bestätigt André Seidenberg, Zürcher Arzt und Drogenpionier in einem NZZ-Interview vom Mai.
Suchtmediziner Marc Vogel von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel ist Teil einer Arbeitsgruppe, die für den Bund Therapieansätze bei Crack- und Kokainsucht zusammengetragen hat. Er sagt es so: «Die Hauptfrage ist, ob wir damit eine Sättigung erreichen, sodass die Menschen befriedigt sind. Ob das mit einer Kokain-Abgabe klappt, ist zumindest sehr fraglich.»
Er gibt zu bedenken, dass Kokain deutlich schädlicher ist als Opioide, da es sich stark auf Herz und Gefässe auswirkt und Psychosen auslösen kann: «Es stellen sich viele Fragen. Die grossen Erfolge bei der Opioid-Abhängigkeit mit dem Ersatz lassen sich nicht auf Kokain übertragen.»
Für Schneider sind die kritischen Stimmen nachvollziehbar: «Auch wir würden nicht vorschlagen, Kokain mit vollen Händen einfach abzugeben.» Ohne ein konkretes Modell vorzuschlagen, sei es aber wichtig, Erfahrungen zusammen.
Schneider und Vogel sind sich einig: Es ginge um einen kleinen Kreis von Schwerstsüchtigen, und eine kontrollierte Abgabe von Kokain oder einem Ersatzmittel liesse sich nicht rasch realisieren. Gerade darum will die Kommission früh diskutieren: «Je länger man wartet, desto später gibt es Lösungen für Probleme, welche die Städte bereits in den nächsten Wochen wieder betreffen könnten», sagt Schneider.
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