«Schweiz hat in Kroatien das Miteinander gefördert»
Nach dem Krieg in Kroatien (1991-1995) hat die Schweiz Aufbau-Projekte in dem gezeichneten Land mit mehr als 50 Mio. Franken unterstützt. Was ist aus der Schweizer Hilfe geworden? Eine Reportage aus der Region um die Stadt Knin.
Im Hinterland von Dalmatien, knapp 100 Kilometer nordwestlich von Split und damit von der Küste entfernt, liegt die Stadt Knin.
Eingebettet in einem Talkessel, liegt sie am Fusse des karstigen Dinara-Gebirges, einer Bergkette, die sich parallel zur Küste nach Süden zieht.
Die Folgen des Krieges führten hier zu einer drastischen Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung. Waren in Knin und seiner Umgebung mehr als 90% der Einwohner Serben, sind es heute nur noch etwa 25%. Die Kroaten, vor allem Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina, bilden heute die Mehrheit.
Die Schweiz hat diese Region während mehrere Jahre unterstützt. Die Hilfe endete im Jahr 2006. «Kein anderes Land hat hier mehr an humanitärer Hilfe geleistet als die Schweiz», sagt Dragan Jerkovic, der stellvertretende Bürgermeister von Knin.
«Dank Schweizer Hilfe konnten Wohnungen und Häuser wieder aufgebaut werden oder öffentliche Infrastruktur wie Strassen oder Brücken in Stand gesetzt werden», sagt er.
Bei diesen Projekten hat die Schweiz nicht nur mit den Behörden, sondern auch mit den direkt Betroffenen zusammengearbeitet. Dabei bestand sie darauf, dass Kroaten und Serben gemeinsam mitbestimmen, welche Hilfe für sie am nötigsten war.
Genossenschaft als Partnerin der Schweiz
In Golubic, ein auf mehrere Weiler verteiltes Dorf, das zur Gemeinde von Knin gehört und nahe der Grenze zu Bosnien liegt, waren die Bedingungen für ein Landwirtschaftsprojekt geeignet. Das Land ist fruchtbar und dank vielen kleinen Flüssen gut bewässert.
Im Dorf mit 1200 Einwohnern leben Kroaten, neu zugezogene kroatische Flüchtlinge, aber auch Serben, die nach dem Kriegsende zurückgekehrt sind.
Als Partner für die Zusammenarbeit bot sich die Genossenschaft von Golubic an, die schon seit den 1950-er-Jahren existiert.
Neben dem Haupteingang steht auf einer bronzenen Plakette: «Dieses Gebäude wurde mit Hilfe der Schweizer Regierung wieder aufgebaut.»
«Die Schweiz bestand darauf, dass im Vorstand sowohl Serben als auch Kroaten vertreten sind. Am Anfang war das gar nicht so einfach. Die Menschen misstrauten einander», sagt Bosko Dzepina, der Präsident der Genossenschaft.
Dzepina ist ein einheimischer Serbe, der nach seiner Flucht 1995 bald wieder zurückgekehrt ist in seinen Geburtsort.
«Durch das Projekt ist eine Annäherung gelungen, denn wichtiger als der materielle Fortschritt ist der Umgang miteinander», sagt er. «Auch heute noch sind beide Parteien, Serben und Kroaten, im Vorstand vertreten.»
Nicht alle Probleme gelöst
«Dank der Schweizer Hilfe konnte die Genossenschaft einen Traktor und Geräte für die Bewirtschaftung der Felder erwerben und einen 5 km langen Bewässerungskanal für die Felder finanzieren. Unterstützt wurden die Bauern auch beim Frucht- und Gemüsebau», sagt Dzepina.
«Die Schweiz hat uns auch einige Milchkühe finanziert und im Genossenschaftshaus einen Kühlraum für die Weiterverarbeitung der Milch eingerichtet», sagt Dzepina. «So können wir alle zwei Tage 500-600 Liter Milch in eine nahe gelegene Molkerei bringen.»
Aber nicht alles verlief nach Plan im Projekt: «Zuerst wurden falsche Kühe geliefert, d.h. keine Milchkühe. Der Knoblauch, der angebaut werden sollte, wurde aus China anstatt aus der Umgebung importiert und war deshalb ungeeignet für die Erde hier.» Aber die Fehler wurden damals schnell behoben.
«Wir sind noch heute dankbar für die Hilfe aus der Schweiz. Das Projekt war ein guter Anstoss zur Selbsthilfe, doch hat es die wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst», sagt Dzepina. «Die abgelieferte Milch bringt jedem der 20 beteiligten Bauern ein kleines, meist zu einer Rente oder Sozialhilfe, zusätzliches Einkommen. Keiner der Bauern kann von der Milch oder dem Gemüseanbau leben.»
Ein weiteres Problem sind die Wildschweine: «Regelmässig fallen sie aus den nahe gelegenen Wäldern über die Felder her und zerstören ganze Ernten. Das entmutigt die Bauern», sagt der Genossenschaftspräsident.
«Auch gibt es keine Markthalle in Golubic, wo man die Ware verkaufen könnte», sagt er. «Und schliesslich ist Grossanbau nicht möglich. Die Felder der Bauern sind oft kleine Landparzellen. Viele Felder liegen brach, weil die Besitzer geflüchtet oder gestorben sind. Deshalb ist es fast unmöglich, Gemüse en gros anzubauen.»
Arbeitslosigkeit als grösstes Problem
Heute, fast fünfzehn Jahre nach Kriegsende, scheint es, als ob Serben und Kroaten in dieser Region nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander lebten. «Die Schweiz hat mit ihren Projekten das Miteinander gefördert und sich dafür eingesetzt», sagt Dragan Jerkovic, «das hat seine Spuren hinterlassen».
«Vor einigen Jahren wäre es nicht vorstellbar gewesen, dass der stellvertretende Bürgermeister von Knin ein Serbe ist, so wie ich», sagt er. Heute sei das fast schon selbstverständlich. Das dominierende Problem sei aber nun die grosse Arbeitslosigkeit.
«Wir haben eine Arbeitslosigkeit von 33%. Schon 500 Arbeitsplätze würden einen grossen Unterschied für die Stadt ausmachen, doch die Stadt allein kann diese Probleme nicht lösen. Dazu brauchen wir den Staat.»
Sandra Grizelj, Knin, swissinfo.ch
Kroatien war zwar nie ein Schwerpunktland der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), welche die Projekte durchführte. Dass sie sich dennoch für die Region Knin engagierte, lag daran, dass in dieser Gegend die Folgen des Krieges besonders problematisch sind.
Die Schweiz hat mehrere Projekte in der Region Knin unterstützt.
Ein Projekt hatte zum Ziel, die Eigentümerverhältnisse bei Wohnungen und Häusern zu klären. Nach dem Krieg sind viele Flüchtlinge in Wohnungen und Häuser eingezogen, die nicht ihnen gehörten.
Dank Schweizer Hilfe konnten 285 Häuser und Wohnungen restauriert werden. Damit konnte 425 Familien geholfen und 119 Häuser konnten an die rechtmässigen Eigentümer zurückgegeben werden.
Ein weiteres Projekt betraf den Wiederaufbau von öffentlicher Infrastruktur wie Strassen, Brücken, oder den Bau eines Wasserreservoirs und eines Ambulatoriums.
Mit dem Projekt im Dorf Golubic wollte die Schweiz den Bauern zu einem grösseren Einkommen verhelfen.
Knin war früher wegen seiner geographischen Lage eine der stärksten Festungen in Dalmatien. Die noch gut erhaltene Festung aus dem 9. Jh. auf dem Hügel Spas über der Stadt gebaut, zeugt bis heute noch von der glorreichen Zeit.
In ihrer Geschichte erlebte Knin viele Kriege und Machtwechsel: kroatische Adlige, kroatisch-ungarische Könige, die Venezianer, die Osmanen, Österreicher und die Franzosen kämpften um die Stadt.
Während dem Krieg war Knin die Hauptstadt der sogenannten Serbischen Republik Krajina und damit unter serbischer Kontrolle. Am 5. August 1995, in der letzten grossen Militäraktion «Sturm», eroberten die Kroaten die Stadt Knin und die Krajina zurück.
Die Bevölkerungszahl hat um mehr als 50% abgenommen. Heute leben etwa 16’000 Menschen in Knin.
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