Schweiz im Menschenrechts-Rat am Pranger
Wenige Tage vor der Abstimmung über Asyl- und Ausländergesetz kritisiert der UNO-Sonderberichterstatter gegen Rassismus die Schweiz vor dem Menschenrechts-Rat in Genf.
Am Dienstag hat Doudou Diène fremdenfeindliche Tendenzen in der Schweiz erwähnt, die er im Januar besucht hatte. Bern hat auf die Vorwürfe geantwortet, will aber erst auf den Schlussbericht reagieren.
Rassismus werde in der Schweiz politisch instrumentalisiert. Dies erklärte Doudou Diène am Dienstag während der zweiten Session des UNO-Menschenrechts-Rates in Genf. Fragen der Einwanderung und des Asyls würden einseitig unter dem Sicherheitsaspekt betrachtet.
«Ich habe festgestellt, dass die Verteidigung der nationalen Identität im politischen Diskurs und in den Medien immer grösseres Gewicht erhält», sagte der Senegalese.
Enthüllende Rhetorik
«Diese Rhetorik ist enthüllend und belegt, dass es in der Schweizer Gesellschaft fremdenfeindliche Tendenzen gibt,» betonte der UNO-Sonderberichterstatter.
Diène war im Januar während fünf Tagen auf Erkundungsbesuch in der Schweiz und wurde dabei auch von den Bundesbehörden in Bern empfangen.
«Rassistisch untermalte Polizeigewalt»
Am Dienstag bedauerte er die «Schwäche der politischen Strategie und der Justiz» im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung in der Schweiz. Dies zeige sich besonders, wenn Ausländer und Flüchtlinge kriminalisiert würden.
Zu den anstehenden Schweizer Volksabstimmungen über das Ausländer- und das Asylgesetz äusserte sich Diène nicht. Er kritisierte die «bedeutende Zahl von Vorfällen, in denen Polizeigewalt rassistisch gefärbt» sei.
«Demokratische Traditionen können helfen»
Die Vielfalt der heutigen Schweizer Gesellschaft führt laut dem UNO-Sonderberichterstatter zu einem Identitätskonflikt. Die daraus resultierende Spannung müsse durch politische, juristische und kulturelle Massnahmen gelindert werden.
«Die reichen demokratischen Traditionen des Landes können beim Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft helfen», heisst es in dem Bericht. Die abschliessende Fassung will Diène an der vierten Session des UNO-Menschenrechtsrates, im April 2007, vorlegen.
Vorläufig keine Stellungnahme zu Vorwürfen
Blaise Godet, Vertreter der Schweiz im Menschenrechts-Rat, erklärt gegenüber swissinfo, die Schweiz werde erst diesen Schlussbericht kommentieren.
Der Schweizer UNO-Botschafter erinnert an die Eigenheiten des Föderalismus, die sich «zentralistischen Lösungen» entgegenstellten. Die Schweiz begrüsse es, dass der UNO-Sonderberichterstatter den Nutzen der Anti-Rassismus-Programme des Eidgenössischen Departement des Inneren bestätige.
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) und das Bundesamt für Migration hätten in den vergangenen Jahren ihre Zusammenarbeit mit den Kantonen in Sachen Integration und Kampf gegen Diskriminierung verstärkt.
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EKR
Amnesty International
Laut Godet würde mit dem Integrations-Artikel im neuen Ausländergesetz, über das am 24. September abgestimmt wird, die legale Basis dieser Integrationspolitik noch verstärkt.
Nicht dieser Meinung ist Daniel Bolomey, Generalsekretär Amnesty International Schweiz: «Vor dem Menschenrechts-Rat tut die Schweiz so, als ob sie alles unternehme, um ihre Integrations- und Antirassismus-Politik zu verbessern.»
Doch beunruhigen laut Bolomey die Vorschläge von Justizminister Christoph Blocher während seiner Kampagne für das neue Asyl- und das Ausländergesetz und auch für diese neuen Gesetze selber in höchstem Grad.
swissinfo und Agenturen
2005: 89 bisher gemeldete rassistische Vorfälle in der Schweiz.
Darunter 32 Fälle von verbalem Rassismus, Holocaust-Leugnung, Graffiti oder Vandalismus, gewaltsame Angriffe, Brandlegung und Ablehnung von Einbürgerungsgesuchen.
2004: 105 gemeldete grössere rassistische Vorfälle (2003: 116, 2002: 128). Quelle: Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus.
Der UNO-Sonderberichterstatter gegen Rassismus, Didier Diène, hat sich in den Mitgliedstaaten über allfällige Diskriminierungs-Probleme und deren Mass ins Bild gesetzt.
Diène hat im September einen ersten provisorischen Bericht über die Schweiz erstellt. Der Schlussbericht wird für 2007 erwartet.
Die Schweiz hat 2002 eine Einladung für alle UNO-Sonderberichterstatter verfasst. Gemäss dieser Einladung konnte sich Diène im Januar während fünf Tagen in der ganzen Schweiz mit Vertretern von Behörden, Institutionen und betroffenen Menschen treffen.
Die zweite dreiwöchige Session des Menschenrechts-Rats in Genf hat am 17. September 2006 begonnen.
Dem Rat gehören 47 Länder an, darunter die Schweiz.
Er wurde am 15. März 2006 durch die UNO-Generalversammlung geschaffen und ersetzt die Kommission für Menschenrechte, die häufig kritisiert worden war.
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