Schweizer Olympionik:innen bleiben auch nach Rücktritt in der Erfolgsspur
Spitzensport, Ausbildung und berufliche Karriere unter einen Hut zu bringen gilt als anspruchsvoll. Schweizer Ex-Sportler:innen aber haben höhere Bildungsabschlüsse und bessere berufliche Positionen als der Schweizer Durchschnitt.
Marcel Fischer, 43, gewann bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen die Goldmedaille im Degen-Einzel der Männer. Während seiner Sportkarriere studierte er Medizin an der Universität Basel. Nach dem Ende seiner Profikarriere wurde er Orthopäde.
Der Montag hat der Schweiz die ersten beiden Medaillen der Olympischen Winterspiele 2022 gebracht.
Der Berner Beat Feuz schloss die letzte Lücke in seinem einmaligen Palmares und holte sich in der Abfahrt sein erstes Olympiagold. Marco Odermatt, der Dominator des Weltcups, fuhr auf den siebten Platz.
Im Riesenslalom der Frauengewann Lara Gut-Behrami die Bronzemedaille. Dies dank eines fulminanten zweiten Laufs.
Sergei Aschwanden, 46-jähriger Judoka holte 2008 Bronze. Er hat einen Master in Sportmanagement der Universität Lausanne und ist heute Mitglied des Waadtländer KantonsratsExterner Link in der Westschweiz.
Eine Studie des Instituts für SportwissenschaftExterner Link der Universität Bern zeigt, dass solche Karrieren nicht die Ausnahme darstellen. Von den 341 Schweizer Spitzensportlerinnen und -Sportlern, die zwischen 1988 und 2012 an den Olympischen Spielen teilgenommen haben, hat fast die Hälfte (45.9%) ein Studium an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften oder einer Universität absolviert. Das ist mehr als die Gesamtbevölkerung, wo diese Rate bei 29.6% liegt.
Von den 694 Schweizer Athletinnen und Athleten, die zwischen den Olympischen Spielen 1988 in Calgary und den Olympischen Spielen 2012 in London teilgenommen haben (33.7% weiblich, 66.3% männlich), nahmen 341 Athletinnen und Athleten an der Umfrage teil. Die Forscher fragten nach derzeitigem Beruf und danach, wie sich ihr Engagement im Spitzensport auf ihre Zweitkarriere ausgewirkt hat.
32.8% der Befragten waren Frauen und 67.2% waren Männer. Das Durchschnittsalter lag bei 47.1 Jahren. Das durchschnittliche Rücktrittsalter vom Spitzensport lag bei 31.3 Jahren.
15% gewannen mindestens eine Medaille und 32% das olympische Diplom, das an die acht Erstplatzierten verliehen wird. Laut Prof. Achim Conzelmann, dem Leiter der Studie, ist dies die erste Studie, welche sich mit dem Einfluss eines langjährigen Engagements im Spitzensport auf die nachsportliche Karriere ehemaliger Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmer aus der Schweiz befasst.
Die Ergebnisse der Studie wurden im Dezember 2021 im International Review for the Sociology of SportExterner Link veröffentlicht.
Die Studie zeigt auch, dass ehemalige Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmer höhere Schulabschlüsse und ein höheres berufliches Prestige erreicht haben als ihre Geschwister.
Michael Schmid, der die Studie im Rahmen seiner Promotion federführend durchgeführt hat, sagt zu swissinfo.ch, dass mehrere Faktoren zu diesen Ergebnissen beitragen. «Die Flexibilität des Schweizer Bildungssystems und die Persönlichkeit der Athletinnen und Athleten gehören sicherlich dazu.»
Kein negativer Einfluss auf die berufliche Laufbahn
Bezüglich des Einflusses auf die berufliche Laufbahn gaben 52.1% der Teilnehmenden an, dass sich ihr Einstieg ins Berufsleben aufgrund ihres sportlichen Engagements verzögert hat. 45.6% stellten jedoch fest, dass der Spitzensport-Hintergrund die Position zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn verbessert hat,während 35.4% keinen Einfluss sehen.
Nur 19% gaben an, dass sich das Engagement im Spitzensport negativ auf ihre zweite Karriere ausgewirkt hat.
62% gaben außerdem an, dass ihr berufliches Netzwerk von ihrem Engagement im Spitzensport profitiert hat, während etwa 30% keinen Einfluss feststellen konnten und nur 5.9% negative Auswirkungen spürten.
Dieser Trend ist auch in anderen Ländern zu beobachten. Eine frühere StudieExterner Link über ehemalige olympische Athleten in Deutschland zeigte, dass sie ein höheres Bildungsniveau, prestigeträchtigere Berufspositionen und eine tiefere Arbeitslosenquote als die Allgemeinbevölkerung hatten. Eine andere StudieExterner Link in Spanien ergab, dass ehemalige Spitzensportlerinnen und -sportler in diesem Land ebenfalls eine niedrigere Arbeitslosenquote haben.
Daraus schliessen die Forscher, dass die Berufs- und Bildungskarrieren der Schweizer Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmer trotz langjährigem Engagement im Spitzensport intakt blieben. Für die meisten habe es sich positiv auf ihre berufliche Laufbahn ausgewirkt.
Mit der zunehmenden Professionalisierung und Kommerzialisierung des Spitzensports sei es jedoch schwierig abzuschätzen, ob sich dieser Trend fortsetzen werde, sagt Schmid. Die durchschnittliche Karriere eines Sportlers in der Schweiz hat sich in den letzten 30 Jahren verlängert, auch weil «der Spitzensport als Beruf anerkannter ist und mehr Geld einbringt». Dies könnte längerfristig dazu führen, dass Spitzensportlerinnen und –Sportler parallel zum Sport weniger in ihre schulische und berufliche Ausbildung investieren werden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch