Schweiz setzt auf neue Schengen-Datenbank
Die neue Schengen-Polizeidatenbank SIS II lässt auf sich warten. Trotzdem will Bundesrat Christoph Blocher auf eine Zwischenlösung verzichten.
Erst bei grösserer Verzögerung soll eine solche geprüft werden, sagte der Schweizer Justizminister in Brüssel.
Seit zwei Jahren wird Bundesrat Christoph Blocher regelmässig an den gemischten Ausschuss der Schengen-Staaten eingeladen. Doch erst am Dienstag erschien er erstmals in Brüssel. Zuvor hatte er ein einziges Mal teilgenommen, als die Sitzung in Luxemburg stattfand.
Blocher kam einerseits, um sich einzuleben. Denn im zweiten Halbjahr 2007 fällt ihm «die Ehre beziehungsweise die Last zu, den gemischten Ausschuss zu präsidieren», wie er sagte.
Andererseits stand mit dem Schengener Informationssystem (SIS) ein «für die Schweiz wesentliches Thema auf der Tagesordnung». In der Tat ist diese Fahndungs-Datenbank ein Hauptmotiv für den Schengenbeitritt der Schweiz. Eigentlich war geplant, dass die Schweiz und die zehn neuen EU-Staaten direkt an die komplett neue Version SIS II andocken sollten.
Kaum vor 2009
Doch der Aufbau von SIS II harzt. Zwar konnten sich das EU-Parlament und der EU-Innenministerrat in der ersten Lesung auf die Rechtsgrundlagen für SIS II einigen. Aber die technischen Probleme sind grösser als erwartet, und die EU-Kommission hat das Projektmanagement nur schlecht im Griff: Vor 2009 wird SIS II kaum betriebsbereit sein.
Dies sehr zum Ärger der neuen EU-Staaten, die Schengen möglichst rasch beitreten wollen. Ihnen und auch der Schweiz wurde deshalb am Dienstag in Brüssel eine Zwischenlösung angeboten: Neue Schengen-Staaten können an die bereits vorhandene alte Datenbank SIS andocken. Die Grenzkontrollen könnten so im besten Fall zwischen Ende 2007 und März 2008 aufgehoben werden.
Die Schweiz jedoch ist an dieser Zwischenlösung kaum interessiert. «SIS II ist das wesentlich bessere System», sagte Blocher nach dem Treffen. Falls SIS II wirklich bis 2009 komme, werde man auf einen provisorischen Anschluss an das alte SIS verzichten, erklärte er: «Sollten sich aber weitere Verzögerungen abzeichnen, müssten wir die Lage neu prüfen». Konkret werde der Bundesrat im Frühling entscheiden, ob die Schweiz doch auf die Zwischenlösung einsteigen wolle.
Euro 2008: Lösung mit Österreich möglich
Auch mit Provisorium würde die Schweiz aber laut Blocher den Schengen-Anschluss erst nach der Fussball-Europameisterschaft Euro 2008 vollziehen, die im Sommer 2008 in der Schweiz und in Österreich stattfindet. «Es macht wenig Sinn, zuerst wegen Schengen die Grenzkontrollen aufzuheben und sie dann für die Fussballmeisterschaft wieder einzuführen», begründete er.
Die österreichische Innenministerin Liese Prokop sagte, man könne auch bilateral zwischen der Schweiz und Österreich eine Lösung zur Sicherung der Grenzen finden.
Blocher begrüsste es weiter, dass nur jene Schengen-Staaten für die Zwischenlösung bezahlen müssen, die auch tatsächlich mitmachen. Gemäss ersten Schätzungen würde ein provisorischer Anschluss an das alte SIS vier bis fünf Millionen Franken kosten.
Schengen III
Obwohl bereits der Aufbau von SIS II nur schleppend vorankommt, beschlossen am Dienstag elf EU-Staaten mit dem «Vertrag von Prüm» einen viel weiter gehenden Datenaustausch: Fingerabdrücke, DNA-Daten und Autoregistrierungen werden die Polizeikorps dieser elf Staaten künftig im Internet austauschen.
Obwohl der Vertrag von Prüm gelegentlich auch «Schengen III» genannt wird, ist noch nicht klar, ob er je in den Rechtsbestand von Schengen integriert wird. «Falls es so weit kommt, werden wir die Sache prüfen», sagte Arnold Bolliger, Vizedirektor im Bundesamt für Polizei.
swissinfo, Simon Thönen, Brüssel
Sie Schweiz konnte bei der Ausarbeitung SIS II mitreden, aber nicht mitbestimmen.
Umstritten war die Zuverlässigkeit von Fingerabdrücken und digitalen Fotos, die in SIS II neu erfasst werden. Erst wenn die Technologie gut funktioniert, sollen Identifikationen einzig aufgrund dieser Daten erfolgen.
Verwechslungen müssen verhindert werden, denn im SIS II werden unterschiedliche Personen erfasst: Mutmassliche Verbrecher, Vermisste, Zeugen, Personen, denen der Pass gestohlen wurde sowie unerwünschte Ausländer.
Das Schengener Abkommen regelt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Justiz und Polizei vor allem bei Bekämpfung des Organisierten Verbrechens wie Waffen- und Drogenhandel und vereinheitlicht die Visa-Politik der EU-Länder.
Starke Kontrollen finden nur noch an den Aussengrenzen der EU statt, nicht mehr an den Binnengrenzen.
Am 5. Juni 2005 hiess das Stimmvolk den Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum gut.
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