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Schweizer Ärzte gehen auf die Barrikaden

Am 24. März protestierten über 1000 Ärzte in Lausanne gegen die neuen Tarife. Keystone

Die von Gesundheitsminister Pascal Couchepin verordnete Senkung der Labortarife bringt für die Ärzte das Fass zum Überlaufen. Vor allem die Allgemeinpraktiker sind verärgert – und gehen landesweit auf die Strasse.

Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Innenminister Pascal Couchepin haben die Ärzte und Ärztinnen in den Kantonen Waadt und Genf am 24. März gestreikt.

«Im Departement von Pascal Couchepin herrscht Inkompetenz», «Die Schweizer Ärztevereinigung schlägt dem Innenminister vor, zurückzutreten», «Couchepin ist die falsche Person zur falschen Zeit am falschen Ort» – so etwa tönte es im Vorfeld der Demonstration von Seiten der Ärzte. Diese Slogans zeigen: Zwischen den Ärzten und Innenminister Pascal Couchpin «geht nichts mehr».

Es herrscht landesweit Unzufriedenheit über die aktuelle Situation: Die Deutschschweizer Mediziner wollen am 1. April demonstrieren.

Hauptstreitpunkt ist die vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) auf Anfang Juli 2009 beschlossene Senkung der Tarife für Laboranalysen.

Durch die Revision könnten gemäss dem Bundesamt für Gesundheit 200 Millionen Franken eingespart werden.

Missbräuche vermeiden

Mit dem neuen Massnahmen-Katalog will der Bund vor allem unnötige Analysen verhindern.

Die Hausärzte mit eigenem Labor – das sind rund zwei von drei –, die weniger als vier Analysen pro Patient und Konsultation durchführen, sollten demnach ihr Einkommen steigern können. Macht jedoch ein Arzt mehr als vier Analysen pro Patient könnte hingegen sein Honorar sinken.

Zahlreiche Hausärzte mit eigenen Praxislabors befürchten, dass sie wegen der tieferen Abgeltung künftig selbst keine Analysen mehr anbieten können und ihre Labors schliessen müssen. Besonders Sorgen machen sich die Hausärzte in Randregionen, deren Zugang zu zentralen Labors im Vergleich zu den Arztpraxen in den Städten eingeschränkt ist, sowie Hausärzte mit vielen chronisch kranken Patienten, die auf verschiedene Analysen angewiesen sind.

Qualitätseinbussen

«Wegen dieser Massnahme besteht die Gefahr, dass rund 7500 Labors geschlossen werden», sagt Franco Denti, Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Tessin.

Die Senkung der Labortarife habe Qualitätseinbussen bei den Hausärzten zur Folge. Weiter würde es zu Verzögerungen bei den Diagnosen und den Therapien sowie zu einer Zunahme unnötiger Spitaleinweisungen aufgrund fehlender diagnostischer Gewissheit kommen. Gemäss Denti würden zudem die Gesundheitskosten steigen.

Diese Kritik weist Gesundheitsminister Pascal Couchepin kategorisch zurück. Gemäss Couchpin können die Ärzte in ihren Praxen weiterhin die nötigen Analysen für Diagnosen und Therapien durchführen. Die entsprechenden Kosten würden auch in Zukunft gedeckt. Es sei jedoch nicht mehr möglich, mehr Analysen durchzuführen als nötig, betont der Gesundheitsminister.

Die Sorgen der Allgemeinpraktiker

Bei der aktuellen Kontroverse geht es jedoch um mehr als um die Senkung der Labortarife. «Die Senkung der Labortarife hat das Fass zum Überlaufen gebracht», sagt Jacques de Haller, Präsident der Schweizer Ärztevereinigung (FMH). Die Allgemeinpraktiker, an denen es immer mehr mangelt, haben zunehmend das Gefühl, kaum berücksichtigt zu werden.

«Vor drei Jahren gingen wir auf die Strasse, um gegen die Gesundheitspolitik des Bundesamtes für Gesundheit zu protestieren. Seither hat sich nichts geändert», sagt Franco Denti und fügt an: «Wir versinken in der Bürokratie. Die Ärzte verbringen mehr Zeit mit dem Ausstellen von Formularen für die Krankenkassen als mit der Behandlung der Patienten.»

Claude Ruey, Präsident des Verbands der Schweizer Krankenversicherer santésuisse, ist sich des Missbehagens der Hausärzte bewusst. Für Ruey geht es dabei in erster Linie um «Orientierungslosigkeit», die auf den grossen Veränderungen im Ärzte-Beruf gründet, wie er gegenüber dem Westschweizer Radio sagte.

Die Tendenz gehe in Richtung «medizinischer Netzwerke», in denen Allgemeinpraktiker und Spezialisten Seite an Seite arbeiten. «Vielleicht fühlen sich die Hausärzte, die im nationalen Durchschnitt 58-jährig sind, durch diese Veränderungen etwas orientierungslos».

«Hausärzte verschwinden»

Für Franco Denti geht das Problem noch weiter. «Wir kämpfen heute nicht für mehr Lohn, sondern um die Rettung eines Gesundheitssystems, das gut funktioniert und Qualität für alle garantiert.»

Man wolle das, was beispielsweise mit der Post passiert sei, verhindern. Wegen des übertriebenen Liberalismus, der den sozialen Aspekt ausser Acht lasse, gebe es heute in vielen Orten keine Post mehr. «Mit der aktuellen Gesundheitspolitik läuft man Gefahr, dass die Hausärzte auf dem Land verschwinden», sagt Franco Denti.

swissinfo, Daniele Mariani
(Übertragung aus dem Italienischen: Corinne Buchser)

Der aktuelle Tarif basiert auf Kriterien aus den 90er-Jahren. Gemäss dem Eidgenössischen Departement des Inneren haben die in der Zwischenzeit erzielten technischen Fortschritte eine Anpassung nötig gemacht.

So werden die Preise von rund einem Viertel der 1600 registrierten Analysen nach unten revidiert. Für die verbleibenden drei Viertel (in der Regel sind die Prüfungen nicht aktuell) bleiben die Preise gleich oder steigen.

Die Tarifänderungen erfolgen in zwei Phasen: am 1. Juli 2009 und am 31. Dezember 2011. Ein weiteres neues Feature: Alle drei Dienstleistungs-Kategorien (Externe Labore, Spitallabore und medizinische Labore) werden in einem einzigen Tarif zusammengefasst.

Nach den Daten des Bundesamts für Gesundheit darf derzeit ein Labor eines allgemein praktizierenden Arztes einen Umsatz von 72’000 Fr. und einen Gewinn von 24’000 Fr. pro Jahr aufweisen.

Mit dem Inkrafttreten des neuen umfassenden Tarifs (am 1. Jan. 2012) muss der Umsatz im Durchschnitt auf 58’000 Fr. und der Gewinn auf max. 10’000 Fr. heruntergefahren werden.

Im Jahr 2005 haben selbständig tätige Ärzte real weniger verdient als in den frühen Siebziger-Jahren, wie eine Anfang März von den Schweizer Ärzten veröffentlichte Statistik zeigt.

Von 1971 bis 2005 hat das durchschnittliche Ärzteeinkommen nominal um 63,9% zugenommen. Unter der Berücksichtigung der Inflation sind die Einkünfte jedoch um 37,1% zurück gegangen.

2005 betrug das Durchschnittseinkommen 205’886 Fr., d.h. 2,82% weniger als im Vorjahr. Der Medianlohn (der Wert, bei dem eine Hälfte der Erwerbstätigen mit dem Lohn über und die andere Hälfte unter dem berechneten Wert liegt) verringerte sich im gleichen Zeitraum von 177’900 auf 173’900 Fr.

Die Durchschnitts-Einkommen variierten von 163’133 Fr. im Kanton Jura bis zu 265’389 Fr. im Kanton Glarus.

Im Jahr 2005 verdiente ein Generalist im Durchschnitt 196’869 Fr., während ein Spezialist auf 291’347 Fr. kam.

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