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Schweizer Asylpolitik im Visier der Kritik

Europarat-Kommissar Alvaro Gil-Robles (links) wird von Innenminister Pascal Couchepin begrüsst. Keystone

Der Europarats-Vertreter Alvaro Gil-Robles kritisiert die Schweiz. Sie sollte die abgewiesenen Asylbewerber besser behandeln.

Im Gespräch mit swissinfo äusserte sich Menschenrechts-Kommissar Alvaro Gil-Robles sehr besorgt.

Auf seinem fünftägigen Besuch besichtigte der Spanier Gil-Robles neben Gefängnissen und Frauenhäusern auch Asylunterkünfte in den Kantonen Zürich, Waadt, Genf und Tessin.

Gil-Robles unterhielt sich ferner mit drei Schweizer Regierungsmitgliedern sowie Vertretern von Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die im Menschenrechts-Bereich tätig sind.

Der Besuch des Kommissars in der Schweiz dauert noch bis Freitag-Mittag. Er wird dem Europarat einen Bericht zur Situation in der Schweiz abliefern. Dieser soll voraussichtlich im Februar 2005 zur Einsicht bereit stehen.

swissinfo: Wie sieht Ihre Bilanz des Schweizer Besuchs aus?

Alvaro Gil-Robles: Die Schweiz muss das Problem lösen, wie sie mit illegalen Einwanderern umgehen will. Dabei dürfen die individuellen Menschenrechte nicht ignoriert werden. Das Asylprozedere in der Schweiz ist derart strikt und streng, dass die Rechte der echten Asylbewerber in Frage gestellt werden.

swissinfo: Die Schweizer Regierung hat ab 1. April dieses Jahres die Sozialhilfe für abgewiesene Asylbewerber gestrichen. Was sagen Sie dazu?

A.G-R.: Ich habe grosse Bedenken. Das geltende System bezweckt, dass so viele Leute wie möglich das Asylprozedere nicht durchhalten.

Wenn jemand in seiner Heimat verfolgt worden ist und deshalb ohne Papiere in die Schweiz geflüchtet ist, heisst das noch lange nicht, dass er ein illegaler Asylbewerber ist. Natürlich gibt es Missbräuche, aber ebenso echte Fälle.

Die Folge ist ein Abtauchen zahlreicher abgewiesener Asylbewerber in den Untergrund, weil sie Angst haben.

swissinfo: Justizminister Christoph Blocher sagt, die Streichung der Sozialhilfegelder habe bereits zu einer geringeren Anzahl Asylsuchender in der Schweiz geführt. Haben Sie mit ihm darüber diskutiert?

A.G-R.: Ja, und er sagte mir genau dasselbe. Dazu möchte ich bemerken, dass die Zahl der Asylbewerber heute in ganz Europa zurückgegangen ist, und das aus verschiedenen Gründen. Zum Beispiel gibt es heute weniger Konflikte in den Herkunftsländern der Asylsuchenden als in früheren Jahren.

Wenn die Schweiz diese neue Regelung einführt, frage ich mich, ob das Land nicht eine Situation schafft, die nicht sehr wünschbar und wenig durchdacht ist. Ich bin zu diesem Schluss gekommen, weil ich denke, dass die Schweiz nicht absichtlich Leute in Not bringen will.

Dann gibt es noch andere Probleme in diesem Zusammenhang, am auffälligsten im Volksgesundheits-Bereich: Was passiert, wenn die abgewiesenen Asylbewerber erkranken und keine medizinische Hilfe erhalten?

Weiter frage ich mich: Wie kann man verhindern, dass diese Leute im Drogenhandel aktiv werden und kriminell werden? Ist es das, wenn wir von Sicherheit sprechen?

swissinfo: Wie reagierte Bundesrat Blocher auf ihre Bedenken?

A.G-R.: Sagen wir es so: Er hörte mir sehr aufmerksam zu. Aber es ist klar, dass seine Meinungen im Vergleich zu meinen sehr unterschiedlich sind.

swissinfo: Sie besuchten einige Schweizer Gefängnisse. Was sahen Sie dort?

A.G-R.: Ich besichtigte Champ-Dollon im Kanton Genf. Das Problem dort ist nicht das Gefängnispersonal, das sehr gute Arbeit macht. Das Problem ist die Überbelegung: Für 200 Insassen geplant, gibt es in Champ-Dollon heute über 470 Häftlinge. Ich sah solche, die auf dem Boden schliefen. Ich sah für zwei Personen geplante Zellen, in denen vier bis fünf Häftlinge zusammengepfercht waren.

Diese Situation führt zu Spannungen im Gefängnis. Sogar 15-jährige Häftlinge leben unter solchen Bedingungen. Da muss so bald als möglich eine Lösung gefunden werden.

swissinfo: Letzte Woche hat die Schweizer Regierung vorgeschlagen, dass die Polizei von Hand- und Fusss-Schellen sowie Elektroschocks Gebrauch machen darf, wenn Ausländer sich gegen ihre Zwangsausweisung wehren. Beunruhigt Sie das?

A.G-R.: Ja, sehr. Natürlich muss man bei sehr gewalttätigen Personen manchmal Zwangsmassnahmen anwenden. Polizisten, die oft einen sehr schwierigen und unangenehmen Job habe, müssen geschützt werden.

Aber es muss auch Grenzen geben. Wenn jemandem Hand- und Fuss-Schellen verpasst werden und er von drei Polizisten abgeführt wird, ist es nicht nötig, dass diese Person noch zusätzlich mit einem Schlagstock traktiert oder mit Elektroschocks überwältigt wird.

Was passiert, wenn die Person Herzprobleme hat? Kurz, ich bin sehr beunruhigt. Derartige Gewalt braucht es einfach nicht.

Die Polizei handelt professionell, aber Verbesserungen sind sicher möglich. Wenn wir so weiter machen, braucht es eine unabhängige Überwachungsinstanz, sei dies das Rote Kreuz oder eine andere Organisation. Ärzte müssten als Beobachter zugelassen werden.

swissinfo-Interview: Ramsey Zarifeh
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

Der Europarat wurde 1949 gegründet und umfasst 46 Länder, darunter die Schweiz.

Gil-Robles hat in seiner Funktion als Menschenrechts-Kommissar bereits 27 Mitgliedstaaten besucht.

Er wird dem Rat einen Bericht zur Situation in der Schweiz abliefern, der 2005 veröffentlicht werden soll.

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