Schweizer Fussball-National-Mannschaft «legt Last der Geschichte ab»
Die Schweiz hat mit ihrem ebenso sensationellen wie hochdramatischen Sieg gegen Frankreich zum ersten Mal seit 1954 das Viertelfinale eines grossen Turniers erreicht – und damit Historisches geschaffen.
Die Schweiz besiegte den amtierenden Weltmeister mit 5:4 im Elfmeterschiessen, nachdem beide Mannschaften in einem dramatischen Spiel über 120 Minuten jeweils drei Tore geschossen hatten.
Den letzten und entscheidenden Penalty parierte Yann Sommer ausgerechnet gegen Kylian Mbappé, den pfeilschnellen und wohl grössten Stürmerstar dieser Euro 2020.
Der Sieg im Achtelfinale des Turniers, das letztes Jahr wegen der Coronakrise verschoben werden musste, löste am Montagabend in der ganzen Schweiz eine riesige Welle des Jubelns aus.
«Gestern Abend haben wir in jeder Stadt der Schweiz eine Explosion der Freude erlebt», schreibt die Westschweizer Zeitung Le TempsExterner Link. »Der historische Sieg der Fussballnationalmannschaft hat eine ganze Nation vor Glück überwältigt.»
Mehr
Schweizer Nationalmannschaft: 12 Nationen, ein Team
In der nüchterneren Neuen Zürcher ZeitungExterner Link hiess es, die Mannschaft habe «die Last der Geschichte abgeworfen», nachdem sie sich 67 Jahre lang nicht für die Runde der letzten Acht an Europa- und Weltmeisterschaften qualifizieren konnte.
Obwohl die Schweiz in Bukarest klare Aussenseiterin war, ging sie durch einen Kopfball von Stürmer Haris Seferovic früh in Führung. Dann allerdings verschoss Ricardo Rodriguez einen Elfmeter. Sofort zog Frankreich das Momentum auf seine Seite und ging innert vier Minuten 2:1 in Führung. Als Superstar Paul Pogba einen Wundertreffer zum 3:1 erzielte, glaubte kaum jemand mehr an ein Comeback der Schweiz.
Doch angetrieben von Captain Granit Xhaka machte die Schweiz das Unmögliche möglich und zwang die etwas arroganten, weil zu siegessicheren «Bleus» mit zwei fantastischen Treffern zum 3:3-Ausgleich in die Verlängerung. Als dort keine Tore fielen, ging es ins Elfmeterschiessen. Und da galten die Schweizer nicht grad als die eiskalten Vollstrecker.
Mehr
Nationalheld auf Zeit
Doch gestern war alles anders: Die fünf Schweizer Schützen verwandelten ihre Versuche allesamt, bevor Goalie Yann Sommer – der einmal mehr eine herausragende Partie zeigte – die Schweiz mit seinem Save ins Viertelfinale gegen Ex-Weltmeister Spanien schickte. Dieses steigt am Freitag im russischen St. Petersburg.
«Gut trainiert, aber limitiert»
Die französischen Medien waren unversöhnlich mit ihrer Mannschaft – Le FigaroExterner Link betitelte ihr frühes Scheitern als «kollektiven Schiffbruch».
Die Schlagzeilen der internationalen Medien konzentrierten sich eher auf das Versagen des Weltmeisters als auf den sensationellen Erfolg der Schweizer Equipe von Trainer Vladimir Petkovic. Aber es gab auch Ausnahmen. «Die Schweiz, ein Sommer-Märchen», titelte der SpiegelExterner Link aus Deutschland. «Auge in Auge mit Kylian Mbappé behielt Yann Sommer die Nerven – und parierte die Schweiz sensationell ins Viertelfinale. Weltmeister Frankreich gelang neben zweieinhalb Traumtoren wenig.» Das deutsche Magazin sprach von einem «wahnwitzigen Drehbuch dieser so spektakulären Partie». Der Ausgang des Spiels sei «die erste echte Sensation» des Turniers.
Der britische Guardian Externer Linkschrieb: Die Schweiz «trotzte der Logik und der Form», um den Sieg aus der Niederlage zu reissen.
Die New York TimesExterner Link zeigte sich erstaunt, dass ein «gut trainiertes, aber begrenztes – und auch ziemlich uninspiriertes – Schweizer Team» ein solches Ergebnis erzielen konnte. Mit Verlaub stellt sich hier die Frage, welchen Match die Kollegen aus Übersee gesehen haben, war doch die Partie nichts für Personen mit Herzschwäche.
Aber alle sind sich einig, dass die Schweiz ihren Part zu einem dramatischen und fesselnden Fussballtag in der K.o.-Phase des Turniers beigetragen hat. Zuvor hatte Spanien in einer wahren Achterbahn-Partie Vizeweltmeister Kroatien besiegt. «Magic Monday – der beste Tag in der Geschichte der Europameisterschaften?», fragte BBC SportExterner Link.
Achtung, vielleicht kommt es ja noch besser!
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch