Schweizer Fussballer mit Fehlstart ins Euro-08-Jahr
Bei der 1:2-Niederlage gegen Grossbritannien hat die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft vor allem im Angriff nicht überzeugt. Torhüter Diego Benaglio zeigte eine hervorragende Leistung.
Hielten die Spieler Köbi Kuhns in der ersten Halbzeit noch gut mit, waren sie dem Druck der keineswegs überragenden Briten in den zweiten 45 Minuten nicht mehr gewachsen.
Verteidigung gut, Mittelfeld mangelhaft, Sturm mangelhaft: Dies ist das Fazit aus dem ersten Spiel der Schweizer Nati im Jahr der Europameisterschaft im eigenen Land.
Überstrahlt wird der durchzogene Auftritt durch die Leistung Diego Benaglios im Schweizer Tor. Die neue Nummer 1 zwischen den Pfosten hielt seine Vorderleute mit mehreren Glanzparaden lange Zeit im Spiel und verhinderte eine höhere Niederlage. Bei der 1:0-Führung und beim Siegestreffer war er machtlos.
Bescheidener Benaglio
«Es war ein schönes und spezielles Spiel. Natürlich hätte ich lieber ein positives Resultat gehabt», sagte der 24-Jährige, der nicht nur die Schweizer Fans, sondern auch die britische Fachpresse überzeugte.
Im Wembley zu spielen, sei ein besonderes Erlebnis. «Über meine eigene Leistung spreche ich nicht gern, die sollen andere beurteilen», sagte Benaglio bescheiden. England sei nicht irgendwer, man habe im Schweizer Team sehr viel Positives sehen können.
Trotz der mässigen Darbietung äusserte sich Nati-Coach Köbi Kuhn aber positiv: «Mit unserer Leistung bin ich sehr zufrieden, ich hätte mir natürlich ein besseres Resultat gewünscht», sagte Kuhn, der nach der EM abtritt. «Ich darf aber der ganzen Mannschaft ein Kompliment machen.»
1:5 oder 1:6 verhindert
Beeindruckt von der Leistung Benaglios zeigte sich Thierry Barnerat, der im Schweizerischen Fussball-Verband (SFV) für die Ausbildung der Torhüter-Trainer verantwortlich ist. «Er spielte sehr gut, sogar hervorragend», so Barnerat in der Westschweizer Zeitung «Le Matin».
Er notierte sich sechs entscheidende Interventionen des Keepers. Ohne diese hätte die Schweiz fünf oder gar sechs Tore kassieren können. «Ich gebe ihm 8 von 10 Punkten, denn bei den Toren war er absolut machtlos.»
Bewunderung auch vom Gegner
Den Unterschied zu seinen Konkurrenten Pascal Zuberbühler und Fabio Coltorti sieht Barnerat in Benaglios stoischer Ruhe. «Er zeigt nie Nervosität, ist äusserst agil und technisch besser als ‹Zubi'». Sollte die Schweiz an der Euro 08 Probleme haben, lägen diese sicher nicht auf dem Torhüterposten, glaubt der Verbands-Experte.
Der Auftritt der neuen Nummer 1 wurde auch beim Gegner registriert. «Big save» – grosse Parade, lobte der ehemalige englische Stürmerstar Alan Shearer am Fernsehen BBC. «Ein sehr guter Goalie», lobte auch Gary Lineker, auch er ehemaliges britisches Stürmer-Ass.
Unbekümmerter Debütant
Weiterer Lichtblick neben Benaglio war der Stürmer Eren Derdiyok. Der in der zweiten Halbzeit eingewechselte 19-jährige Debütant schoss in der 58. Minute mit viel Coolness den Ausgleich, der zu diesem Zeitpunkt völlig überraschend kam.
Der Spieler des FC Basel erhielt für seine Leistung Lob von seinem Chef Kuhn: «Ich bin sehr zufrieden mit ihm, das Tor ist natürlich phantastisch», sagte der Trainer. Er bedauerte, dass es nicht zumindest das Tor zum Unentschieden gewesen sei.
Handlungsbedarf im Sturm
Das fulminante Derdiyok-Debüt eröffnet Kuhn im Hinblick auf die Euro 08 im Juni neuen Spielraum. Umso mehr, als Angreifer Blaise Nkufo in der ersten Halbzeit einmal mehr ohne jegliche Wirkung blieb.
Topskorer Alex Frei, der nach langer Verletzungspause jüngst in Dortmund sein Comeback gab, fehlte an allen Ecken- und Enden. Ebenso die Schlitzohrigkeit eines Marco Streller, der ebenfalls verletzungshalber nicht mittun konnte.
Problem Tempowechsel
Ins Auge stach, dass die Schweizer vor allem bei den Tempoverschärfungen überfordert waren. Kennzeichnend dafür war der Siegestreffer, den die Engländer nur knapp 240 Sekunden nach dem Schweizer Ausgleich erzielten – mit einem präzise ausgeführten Tempogegenstoss.
Will die Schweiz an der Euro die Gruppenphase überstehen, muss sich das Kuhn-Team vor allem in diesem Punkt noch gewaltig steigern. Dazu bleiben Coach und Spielern noch genau 121 Tage.
swissinfo, Renat Künzi
Resultat: England-Schweiz 2:1 (0-1)
Tore: Jermaine Jenas (40.), Eren Derdiyok (59.), Sean Wright-Phillips (62.)
Zuschauer: 86’857 im Wembley-Stadion, London
Die Endrunde der Fussball-Europameisterschaft findet vom 7. bis 29. Juni in der Schweiz und in Österreich statt.
In der Schweiz werden 15 Spiele ausgetragen, in Österreich 16. Der Final findet in Wien statt.
Für die 31 Spiele des Turniers hat die UEFA 8,7 Millionen Anfragen für Billette erhalten. Nur eine Million Tickets sind verfügbar.
Die Euro 2008 ist das grösste Sportereignis, das je in der Schweiz organisiert wurde.
Schweiz: Benaglio; Lichtsteiner (46. Behrami), Eggimann, Senderos (55. Grichting), Spycher; Fernandes (84. Huggel), Inler; Gygax (46. Vonlanthen), Yakin (64. Margairaz), Barnetta; Nkufo (46. Derdiyok).
England: James; Brown, Ferdinand, Upson, Ashley Cole (74. Bridge); Jenas (57. Wright-Phillips), Barry (74. Hargreaves), Gerrard; Bentley, Joe Cole (57. Crouch); Rooney (86. Ashley Young).
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