Schweizer Grundwerte und der Kampf gegen die EU
"Schweizer wählen SVP": Mit diesem Slogan zieht die wählerstärkste Partei in die Wahlen 2011. Die Unabhängigkeit der Schweiz gegenüber der EU ist das dominante Thema der SVP.
Die Partei präsentiert sich geschlossen: Von der Basis bis zur Parteispitze besitzt die Bewahrung der Unabhängigkeit, Souveränität und Neutralität der Schweiz oberste Priorität. Zumindest haben dies alle SVP-Vertreter unterstrichen, mit denen swissinfo.ch an der Delegiertenversammlung vom 26.März in Lugano sprach.
Diese Unabhängigkeit und Souveränität sieht die Partei durch ein neues Paket an bilateralen Verträgen bedroht, das zwischen Bern und Brüssel geschnürt werden soll. Es geht neben sektoriellen Abkommen auch um institutionelle Fragen.
«Die EU verlangt von der Schweiz, dass diese in Zukunft mit neuen ‹institutionellen› Einrichtungen unbesehen das EU-Recht übernimmt», erzürnt sich alt SVP-Bundesrat Christoph Blocher. Dies entspreche «einem Kolonialvertrags-Verhältnis».
«Die Schweiz muss weiterhin bilateral mit der EU über bestimmte Dossiers verhandeln, aber nicht im Rahmen so genannter institutioneller Lösungen», meint SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Damit ginge man nämlich noch weiter als in den 1992 vom Schweizer Volk abgelehnten EWR-Verträgen (Europäischer Wirtschaftsraum).
«Wer damals die Abstimmung verloren hat, scheint diesen demokratischen Entscheid nicht schlucken zu wollen», meint Werner Furrer, Mitglied der internationalen SVP-Sektion. Einige Politiker verhandelten nun hinter dem Rücken der Stimmbürger.
Aus diesem Grund hat die Partei zu Handen der Regierung einstimmig eine Resolution beschlossen, in welcher gefordert wird, das eingefrorene EU-Beitrittsgesuch endlich zurückzuziehen und der EU mitzuteilen, dass die Schweiz «keine institutionelle Bindungen eingeht und auch keine fremden Richter anerkennt».
Schweizer Werte, christliche Werte
Die Sorge um die Souveränität und Unabhängigkeit der Schweiz sowie ein Bekenntnis zu Grundwerten wie Föderalismus und direkter Demokratie hat den ehemaligen Christlichdemokraten Livio Zanolari bewegt, zur SVP zu wechseln. «Es ist wichtig, dass die Schweiz ihre eigenen Strukturen und Institutionen beibehalten kann», meint er. Die SVP gebe diesbezüglich «die besten Antworten für die Zukunft der Schweiz».
Der Bündner Zanolari, der 10 Jahre lang Kommunikationschef für diverse Bundesräte war, ist nicht der einzige Überläufer. Drei bekannte Persönlichkeiten wechselten in jüngster Zeit von der CVP zur SVP.
Die SVP bekennt sich in ihrem Legislaturprogramm ausdrücklich zu den «christlichen Grundwerten unseres Staates». Ist das ein Trick, um Christlichdemokraten zum Parteiwechsel zu motivieren?
«Wir traten schon immer für die fundamentalen Werte unseres Landes ein, darunter auch die christlichen Werte, welche die Geschichte der Schweiz geschrieben haben – ausgehend von dem 1291 geschlossenen Pakt», sagt SVP-Vizepräsident Yvan Perrin.
Auch Christoph Blocher verneint, dass die SVP ihre Neuzugänge spezifisch bei der CVP rekrutiere. Gleichzeitig unterstreicht er mit gewisser Zufriedenheit, dass nach seinem «Rauswurf» aus dem Bundesrat 2007 einige Hundert Christlichdemokraten zur SVP übergetreten seien.
In ihrem Parteiprogramm betont die SVP einen weiteren Grundwert, der traditionell der CVP zugeschrieben wird: die Familie.
Die Partei wendet sich «gegen die zunehmende Verstaatlichung von Familien und Kindern». In einer Volksinitiative fordert sie Steuererleichterungen für alle Familien, nicht nur für solche, die ihre Kinder fremd betreuen lassen. Denn sonst würden Eltern, die ihre Kinder selbst erziehen, steuerlich benachteiligt.
Individuelle Verantwortung
Weniger Staat, weniger staatliche Ausgaben und mehr individuelle Verantwortung gehören ebenfalls zu den SVP-Kernforderungen. «Die Steuerbelastung muss in den nächsten Jahren unbedingt eingedämmt werden», sagt SVP-Generalsekretär Martin Baltisser. Es dürfe nicht sein, dass immer die gleichen Personen immer mehr Steuern bezahlten.
In der Sozialpolitik fordert die SVP daher, «dass die Sozialwerke so gestaltet werden, dass ihre langfristige Finanzierung gesichert ist», wie Baltisser sagt. Das Rentenalter von 65 Jahren soll für Männer und Frauen gelten; die Krankenkassen sollen ihren Leistungskatalog einschränken.
Volkswahl des Bundesrats
Ein weiterer Kampf der SVP betrifft die Volkswahl des Bundesrats. Eine entsprechende eidgenössische Volksinitiative ist lanciert worden. Die Sammelfrist läuft am 26.Juli 2011 aus.
Für Livio Zanolari ist dieses Anliegen berechtigt: «Die Zusammensetzung der jetzigen Regierung befindet sich nicht im Gleichgewicht.» Ein Bündnis der Mitte-Links-Parteien stelle sechs von sieben Regierungsmitgliedern, obwohl deren Wählerschaft zusammen nur 50 Prozent erreiche.
Durch eine Volkswahl des Bundesrats sollen diese «Spielchen» verhindert werden. Vorbild sind die direkten Exekutiv-Wahlen in Gemeinden und Kantonen.
Doch ist das Volk unfehlbar? «Natürlich nicht, aber wenn das Volk Fehler macht, bezahlt es dafür. Wenn Regierung und Parlament Fehler machen, bezahlen hingegen die Bürger», meint Werner Furrer.
Offiziell gilt als Gründungstag der Schweizerischen Volkspartei SVP der 22. September 1971. Damals schlossen sich die Schweizerische Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) und die Demokratischen Parteien der Kantone Glarus und Graubünden zusammen.
In den 1990er-Jahren wuchs die SVP stark und wurde zur Partei der relativen Mehrheit. Bei den Wahlen von 1999, 2003 und 2007 wurde sie jeweils stärkste Fraktion in der Bundesversammlung.
2003 erhielt die SVP einen zweiten Sitz im Bundesrat (Exekutive) zu Lasten der CVP. SVP-Stratege Christoph Blocher wurde in die Landesregierung gewählt.
Die SVP erreichte 2007 einen Wähleranteil von fast 29 Prozent. Die SP als zweitstärkste Partei erhielt nur 19,5 Prozent.
Im Dezember 2007 wurde Christoph Blocher nicht wieder gewählt. Stattdessen wurde – gegen den Willen der Partei – die Parteikollegin Eveline Widmer-Schlumpf gewählt. Sie akzeptierte die Wahl, genauso wie Samuel Schmid als weiterer SVP-Bundesrat.
Die Situation führte zu einem Schisma. Der moderate SVP-Flügel, der sich mit Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf identifizierte, gründete die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP).
Die Folge: Die SVP als wählerstärkste Partei hatte keinen Bundesrat mehr, während die kleine BDP mit nur fünf Abgeordneten gleich zwei Bundesräte (Regierungsmitglieder) stellte.
Erst seit Januar 2009 verfügt die SVP wieder über einen Bundesrat.
Ueli Maurer wurde zum Nachfolger von Samuel Schmid gewählt, der unter grossen Druck Ende 2008 das Handtuch geworfen hatte.
Die SVP hat sich zum Ziel gesteckt, bei den eidgenössischen Wahlen am 23.Oktober einen Stimmanteil von über 30 Prozent zu erreichen.
Das SVP-Parteiprogramm 2011-2015 unterstreicht die Wichtigkeit eines liberalen Staates, in dem das Privateigentum und die Privatsphäre geschützt sind.
Zudem wird Wert auf das Prinzip der Eigenverantwortung der Bürger gesetzt.
Die Partei fordert mehr Markt und weniger Bürokratie, einen ausgeglichenen Staatshaushalt, weniger Steuern und weniger Sozialleistungen.
In schulischen Fragen wird eine stärkere Durchsetzung des Leistungsprinzips verlangt. Im Bereich des Justiz- und Polizeiwesens fordert die SVP eine harte Bestrafung von Kriminellen.
In der Aussenpolitik spricht sich die Partei entschieden gegen einen Beitritt zur EU, zur Nato oder dem EWR aus.
Schliesslich wird eine rigorose Asyl- und Einwanderungspolitik gefordert, welche die Interessen der Schweizerinnen und Schweizer in den Vordergrund stellt.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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