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Schweizer Hilfe für notleidende Bevölkerung in Gaza

Unermessliches Leid in Gaza. Keystone

Schweizer Organisationen bezeichnen die humanitäre Lage im Gazastreifen als "katastrophal" und bemühen sich um Nothilfe für die dortige Bevölkerung. Ihre Partnerorganisationen vor Ort sind jedoch kaum noch handlungsfähig.

«Ich weiss nicht, was draussen passiert, denn ich kann das Haus nicht verlassen. Da wir keinen Strom haben, kann ich auch nicht Radio hören oder das Internet nutzen», sagt Enas Jiouda. Sie lebt in Gaza-Stadt und arbeitet für eine der wichtigsten Organisationen in Gaza, das von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und Schweizer Nichtregierungs-Organisationen (NGO) unterstützte «Gaza Community Mental Health Program».

Doch an Arbeit ist derzeit nicht zu denken – und dies nicht nur, weil ein Gebäude der Organisation beschädigt wurde. «Die Lage ist katastrophal», sagt Jiouda. «Wir haben grosse Angst, besonders nachts, wenn die Bomben fallen. Die Kinder schlafen kaum noch.»

«Grosse humanitäre Krise»

Die Hilfe für die Bevölkerung gestaltet sich schwierig, selbst für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Der Vertreter der DEZA in Jerusalem, Mario Carera, spricht von einer «grossen humanitären Krise». Die Versorgungslage sei prekär.

«Die Menschen sind verzweifelt und ratlos», sagt Carera. Dazu mische sich Wut. «Die israelische Offensive konzentriert sich nicht auf militärische Einrichtungen. Auch Brücken, Moscheen und Schulen werden angegriffen.» Bereits 15 Moscheen seien bombardiert worden, und bei einem nächtlichen Bombardement sei die grösste Privatschule zerstört worden. «Das sind nicht Kollateralschäden», sagt Carera.

Die DEZA prüft derzeit die Entsendung von Logistik-Spezialisten zuhanden des Welternährungsprogramms. Sie arbeitet im Gaza-Streifen auch mit der UNO-Organisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) zusammen.

Psychologische erste Hilfe

Von den Schweizer NGOs kooperieren nur wenige mit Partnern im Gazastreifen, unter ihnen der Christliche Friedensdienst (cfd) und Medico
International Schweiz. Beide unterstützen Projekte im Rahmen des «Gaza Community Mental Health Program».

Die Organisation mit verschiedenen Zweigstellen und rund 150 Mitarbeitenden widmet sich der Behandlung psychischer Krankheiten und der psychosozialen Unterstützung der Bevölkerung. Im Zentrum steht die langfristige Hilfe. Medico International Schweiz hat jedoch beschlossen, der Organisation Soforthilfe zukommen zu lassen.

Neben Erstehilfe-Koffern soll damit psychologische erste Hilfe finanziert werden. «Im Moment kann es nur um Krisenintervention gehen», sagt Maja Hess, Psychiaterin und Präsidentin von Medico International Schweiz.

Konkret sollen Mitarbeitende des Programms Familien aufsuchen, die Opfer zu beklagen haben. Wie diese Hilfe organisiert werden soll, ist noch unklar. In solchen Krisenzeiten sei es schwierig, nur schon den Kontakt zu den Partnerorganisationen aufrecht zu erhalten, gibt Esther Stebler vom cfd zu bedenken.

Traumatisierte Kinder

Das Hilfswerk Terre des hommes – Kinderhilfe prüft zur Zeit mit seiner Partnerorganisation Ard El Insan eine Verstärkung des Mutter-Kind-Hilfsprojektes in Gaza. Im übrigen fordert das Kinderhilfswerk die Schweiz auf, sich im Konflikt Gehör zu verschaffen. Sie müsse ihre Pflichten als Depositärstaat der Genfer Konvention wahrnehmen und die Konfliktparteien daran erinnern, dass sie die Zivilbevölkerung schützen und humanitäre Hilfe zulassen müssten.

Die Hilfswerke sorgen sich aber nicht nur um die kurzfristige Entwicklung. Die israelische Offensive werde in der palästinensischen Bevölkerung zu einer Radikalisierung führen, befürchten sie.

Ausserdem würden im Gazastreifen immer mehr Menschen traumatisiert. Gefährdet seien insbesondere Kinder. «Sie werden nicht nur Zeugen von Tod und Gewalt, sondern spüren auch die Machtlosigkeit ihrer Eltern», erklärt die Psychiaterin Maja Hess. Dies könne das Grundvertrauen zerstören und zu posttraumatischen Stress-Symptomen wie chronischer Angst und Schlafstörungen führen.

swissinfo und Charlotte Walser, InfoSüd

Das von der Schweiz unterstützte Programm organisiert zum Beispiel Sommerlager für Kinder. Diese seien eine Alternative zu den Lagern der Hamas, erklärt Maja Hess, die Präsidentin von Medico International Schweiz. «Den Kindern sollen andere Perspektiven aufgezeigt werden als der Märtyrertod.»

Die Organisation führt auch Weiterbildungsprogramme für das medizinische Personal durch. Dabei steht eine Frage im Zentrum: «Wie kann man mit den Betroffenen über das reden, was passiert ist?»

Das der Organisation angegliederte «Woman’s Empowerment Project» bietet Frauen die Möglichkeit, über ihre Probleme zu sprechen. Ziel sei es, das sie etwas davon in die Familie zurückbringen würden, sagt Esther Stebler vom Christlichen Friedensdienst (cfd).

swissinfo.ch

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