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Schweizer mischen NHL-Eis von hinten nach vorn auf

Keystone

In der Ära Krueger hat sich die Schweiz unter den acht stärksten Eishockey-Nationen etabliert. Die Schweiz kann sich nur verbessern, wenn sich mehr Spieler in der NHL durchsetzen, sagt Eishockey-Experte Klaus Zaugg.

«Enn-Eitsch-Ell»: Die Abkürzung mit magischem Klang steht für National Hockey League, laut unbescheiden-amerikanischer Wahrnehmung die beste Liga der Welt.

NHL steht auch für den Traum aller Eishockeyspieler auf der nördlichen Erdhalbkugel, deren Namen die ausschwärmenden nordamerikanischen Späher in ihre Notizblöcke schreiben.

Nur ganz wenigen Schweizern gelang es bisher, sich diesen Traum zu verwirklichen. Aber viele Spieler schuften tagtäglich daran, dass er für sie eines Tages in Erfüllung geht.

Ralph Krueger hat in seinen zwölf Jahren als Coach die Schweizer Nationalmannschaft in den Top-Acht etabliert. Vor ihnen liegen nur Kanada, Russland, Schweden, Finnland, Tschechien und USA, die ganz Grossen des Eishockeys. Und die Slowaken.

Unschätzbare NHL-Erfahrung

Krueger wäre nicht Krueger, wollte er vor dem voraussichtlichen Ende seiner Ära 2010 nicht noch einmal hoch hinaus: Nach dem «Abonnement» auf das WM-Viertelfinale muss das Ziel jetzt Halbfinal heissen.

Allen Motivationskünsten des Deutsch-Kanadiers zum Trotz ist dieser Schritt aber enorm schwierig. «Die Schweiz müsste mehr Spieler in der NHL haben, denn diese sind von entscheidender Bedeutung», ortet Eishockey-Experte Klaus Zaugg gegenüber swissinfo das Defizit in der Krueger-Auswahl.

Jeder Spieler, der sich in Nordamerika durchgesetzt habe, verändere mit seinem Können und Charisma die Chemie einer Mannschaft im positiven Sinne, erklärt der Berner Sportjournalist. «Hätten wir vier oder fünf davon, stünde die Schweiz regelmässig im Halbfinale.»

Die Stürmer zuletzt

Zaugg ist kein Phantast. Das bewies er im letzten November mit seiner Prognose zur Champions Hockey League. Beide Schweizer Teams, der SC Bern wie der Zürcher Schlittschuh-Club, könnten den Bewerb gewinnen, so Zaugg zum verdutzten Journalisten. Im Falle der Berner lag er glatt daneben, beim ZSC dagegen landete er einen Volltreffer!

Gefragt seien aber nicht einfach Spieler, sondern vor allem Stürmer, die sich in der NHL durchsetzen. «Bisher ist dies nur Torhütern und Verteidiger Mark Streit gelungen», sagt Zaugg.

Eine Verstärkung für jedes Team

Wobei Streit weit mehr ist als ein klassischer Defensivspieler. Seine Cleverness, sein Punch und vor allem sein hervorragendes Auge für den letzten Pass sind so wertvoll, dass er bei den New York Islanders – wie schon zuvor in Montreal – regelmässig bei Überzahl auf dem Eis steht. Und sich Assists oder gar Tore gutschreiben lässt.

«Mit ihm ist die Nati ein anderes Team. Drei oder vier Mark Streits, das ist das, was die Schweiz in Zukunft braucht», ist Zauggs überzeugt.

Die Schweizer Eishockeyaner haben erst vor rund zehn Jahren begonnen, das NHL-Eis sozusagen von hinten nach vorne zu erobern. Der Pionier, der sich als erster Spieler «Made in Switzerland» einen Stammplatz sicherte, war Goalie David Aebischer. Ihm folgte mit Martin Gerber ein weiterer Hüter.

Ganz oben – schnell unten

Die Beiden waren ihren Teams derart sichere Rückhalte, dass sie sich 2001 (Aebischer mit Colorado) resp. 2006 (Gerber mit Carolina) als Gewinner des Stanley Cups in die Geschichtsbücher eintragen konnten.

«Das hat seine Logik, denn unsere Eishockey-Kultur hat schon immer sehr gute Torhüter hervorgebracht. Schweizer Goalies spielten vor den Feldspielern auf Weltklasse-Niveau», sagt Klaus Zaugg.

Inzwischen mussten zwar die beiden Goalie-Pioniere erfahren, wie schnell es in der NHL gehen kann, um runter vom Eis zu sein. Aebischer spielt wieder in die Schweiz (Lugano), während sich Martin Gerber nach seiner eiskalten Abservierung in Ottawa mit den Montreal Maple Leafs immerhin in der NHL halten konnte.

Wer der Nächste?

Im Sog der Beiden holten die NHL-Manager gleich ein Trio talentierter Schweizer Goalies nach Übersee: Jonas Hiller, Tobias Stephan und Daniel Manzato. Sie alle müssen sich aber erst mühsam in ihren Teams zur Nummer 1 im Tor hocharbeiten.

Jetzt sind es die Verteidiger, die nach der Schweizer Goalie-«Armada» am Drücker sind. Als erster Schweizer Feldspieler hatte Streit im letzten Winter den NHL-Durchbruch geschafft. Und das im untypischen Alter von 29 Jahren.

Mit 30 Jahren steht Spätzünder Streit im Zenit seiner Laufbahn: Die New York Islanders vergolden ihm seine herausragenden Qualitäten in den nächsten fünf Jahren mit 20 Mio. Dollar.

Glück am Schopf gepackt

Eben erst aufgegangen ist der Stern des 18-jährigen Hockey-Teenagers Luca Sbisa. Der gebürtige Zuger musste sich wie ein kleiner Märchenprinz vorkommen, denn plötzlich hatte er vor Saisonbeginn zur Stammformation der Philadelphia Flyers gehört.

Zwar hatte der Youngster auch das Glück auf seiner Seite, resp. das Pech anderer. Erst Verletzungen mehrerer Verteidiger-Kollegen machten sein Aufrücken ins Stammteam möglich.

Doch Sbisa nutzte diese Situation resolut. «Als das Glück an seine Tür klopfte, war er da, um sie zu öffnen», sagte Zaugg. «Das ist das entscheidende im Sport in Nordamerika: Wenn man eine Chance erhält, muss man sie packen.»

Nach 39 Partien wurde Sbisa in die Juniorenliga relegiert, damit er mehr Spielpraxis erhält. Mit der bisher gezeigten Coolness ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er diese Chance packt – und möglicherweise bald wieder NHL-Eis betritt.

Next, please!

Mittelfristig sieht Zaugg drei bis fünf Schweizer fix in der NHL. Einen Durchbruch traut er etwa Yannick Weber zu. Der 20-jährige Verteidiger debütierte im Januar für die Montreal Canadiens.

Nach NHL-Anwärtern aus der Schweizerischen Liga befragt, nennt Zaugg Roman Wick von Kloten und den Freiburger Julien Sprunger. Beide hätten Potenzial und würden wahrscheinlich ihre Chance erhalten.

Aber es ist das Schöne am Sport, dass es ebenso gut ein anderer Name sein kann. Den weder Klaus Zaugg noch Ralph Krueger auf ihren Listen haben.

swissinfo, Renat Künzi

NHL

Martin Gerber (34, Goalie, neu: Toronto Maple Leafs).

Jonas Hiller (25, Goalie, Anaheim Ducks): Klare Nummer 2 hinter Jean-Sébastien Giguère.

Tobias Stephan (24, Goalie, Dallas Stars), ebenfalls Nummer 2.

Mark Streit (30, Verteidiger, New York Islanders): Schweizer Topstar und –verdiener in der NHL.

Luca Sbisa (18, Verteidiger): hielt sich zwei Monate im Kader der Philadelöphia Flyers, jetzt in der AHL.

AHL (American Hockey League, zweithöchste Liga)

Daniel Manzato (24, Goalie, Albany River Rats): kämpft um Aufstieg in NHL.

Tim Ramholt (23, Verteidiger, Philadelphia Phantoms): hat erst für 45 Sekunden NHL-Luft geschnuppert.

Juraj Simek (21, Stürmer, Manitoba Moose): Hat wenig Aussichten, erster Schweizer Stürmer in der NHL zu werden.

Yannick Weber (20, Verteidiger, Hamilton Bulldogs): Immerhin ein Einsatz mit den Montreal Canadiens.

Die Wege der beiden in die NHL unterscheiden sich völlig:

Mark Streit wechselte als «fertiger» Spieler von der heimischen Liga in die NHL. Der Durchbruch gelang ihm mit knapp 30 Jahren.

Montreal hatte sein Talent erkannt und ihn zum Verteidiger mit grossen Offensiv-Qualitäten umfunktioniert.

Luca Sbisa verliess die Schweiz als nameloser Hockey-Teenager, der hierzulande noch keine dicken Stricke zerrissen hatte, nicht mal in der Junioren-Nati.

Als bei Philadelphia mehrere Verteidigerkollegen ausfielen, packte der Youngster seine Chance aber resolut und vermochte sich für 39 NHL-Partien im Team zu halten.

Wie die Beispiele der Torhüter David Aebischer und Martin Gerber zeigen, kann der NHL-Traum aber sehr schnell ausgeträumt sein.

Bisher genoss die NHL den unbestrittenen Status als beste Eishockey-Liga der Welt.

Das zeigt sich auch daran, dass die Entscheidung um den Stanley Cup während der Weltmeisterschaft weitergeht. Die WM-Teams Kanadas und der USA müssen also ohne die Spieler der besten NHL-Teams auskommen.

Neuerdings sorgen aber schwerreiche russische Oligarchen dafür, dass der NHL seitens der russischen Kontinental-Liga KHL starke Konkurrenz erwächst.

So gibt es bereits Top-Spieler, welche der NHL ein Engagement in Russland vorziehen. Sportliches wie lohnmässiges Niveau sind dort ebenfalls sehr hoch.

Noch spielt kein Schweizer bei einem russischen Klub.

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