Schweizer Nordische im Höhenflug!
Das hat es noch nie gegeben: Mit Simon Ammann und Dario Cologna liegen zwei Schweizer in den Weltcupwertungen im Skispringen und Langlauf in Front. Während "Simi" dem Höhepunkt entgegenfliegt, haben die Langläufer die besten Jahre noch vor sich.
Das Ausschlafen am Montagmorgen hat kaum einer so verdient wie Adriano Iseppi. Im Weltcup-Tross der Nordischen gehört der Langlauf-Chef von Swiss Ski (Schweizerischer Skiverband) in diesen Tagen zu den glücklichsten Menschen. Neben Dario Cologna natürlich, dem neuen Star in seinem Team.
Nachdem der 22-Jährige am Samstag in Davos bei seinem Heimrennen über 15 Kilometer den achten Platz belegt hatte, wurde er am Sonntag im Sprint hervorragender Vierter.
Hätte er nicht einen kleinen taktischen Fehler begangen – der Youngster hat sich am letzten Aufstieg einschliessen lassen – wäre ihm gar ein Platz auf dem Podium sicher gewesen.
Mit den beiden Top-Platzierungen setzte sich der ehemalige U23-Weltmeister keck an die Spitze der Weltcup-Wertung. Damit schreibt Cologna, der aus Tschierv im Münstertal kommt, Sportgeschichte: Noch nie vor ihm war dies einem Schweizer gelungen.
Im Sog von Leader Cologna holten auch Eligius Tambornino (10. im Sprint), Martin Jäger (22.), Valerio Leccardi (27.) und Jöri Kindschi (28.) Weltcuppunkte. Noch nie waren die Schweizer im Sprint so stark wie ausgerechnet vor heimischem Publikum.
Talent und Team
Im Gespräch mit Iseppi geht aus jeder Silbe hervor, dass die Chemie im Team stimmt. «Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mit Dario Cologna nicht nur über ein Riesentalent und Zugpferd verfügen, sondern auch über ein starkes Team weiterer junger Athleten», freut sich der Bündner gegenüber swissinfo.
Die jungen Athleten seien als Gruppe miteinander gross geworden und hätten jetzt im Weltcup Fuss fassen können. Ein wesentlicher Baustein des überraschenden Aufschwungs sieht Coach Iseppi im Stützpunktkonzept, mit dem der Kanton Graubünden seit 15 Jahren systematische Nachwuchsförderung betreibt.
Im Zentrum des Konzepts steht Davos, das auf das Weltcup-Wochenende hin das Label als nationales Leistungszentrum im Langlauf erhielt.
«Damit haben wir Superstrukturen: Die Athleten leben dort zusammen, alle Wege sind viel kürzer, was ein viel effizienteres Training ermöglicht», erklärt Iseppi die Vorteile.
Mann der Zukunft
Das «Schweizer Langlauf-Wunder» hat also System. Talent allein reicht aber nicht aus. Auch wenn Iseppi im Zusammenhang mit Cologna unverholen von einem «begnadeten» Talent spricht.
«Er bringt alle anatomischen und genetischen Voraussetzungen zum Erfolg mit, insbesondere, was die Fähigekeiten zur maximalen Sauerstoffaufnahme und Erholung betrifft», erklärt der Coach.
Erst im Bündner Stützpunkt wurde Cologna zum Juwel geformt, das sich schon bald zum grossen Dominator der Loipen wandeln könnte. «Er hat sich bisher jedes Jahr steigern können. Zudem ist er körperlich sehr robust und wird kaum durch Krankheiten zurückgeworfen. Das ist auf dem Top-Niveau sehr wichtig», sagt Iseppi.
Dazu kommt die Stärke im Kopf. «Wir staunen über seine Reife, wie souverän er mit seinen erst 22 Jahren mit Druck umgehen kann, wie gerade in Davos.» Als wichtigen Baustein nennt Iseppi zudem das «super Umfeld» einer sportbegeisterten Familie Cologna, die in Tschierv unterhalb des Ofenpasses lebt.
WM als Saisonhöhepunkt
Ganz Chefcoach, will sich Iseppi aber nicht mit den jüngsten Erfolgen zufrieden geben. «Jetzt wollen wir im Weltcup konstanter auftreten», lautet seine generelle Zielsetzung.
Für seinen Modellathleten Cologna bedeutet dies vorerst ein Spitzenrang an der Tour de Ski. Im Weltcup-internen Mehretappenrennen über die Festtage lägen gerade für Allrounder wie sein Paradepferd viele Punkte im Schnee bereit.
«Colognas Voraussetzungen sind ausgezeichnet, da er sowohl im Sprint als auch auf den Distanzen stark ist, und das im Skating wie klassischen Stil», sagt Adriano Iseppi über seinen neuen Star.
Für Cologna sei deshalb alles möglich, auch wenn sich starke Athleten wie Vorjahressieger Lukas Bauer bisher noch zurückgehalten hätten.
Staffel mit viel Potenzial
Ein Mann, der im Team Iseppis ebenfalls eine zentrale Rolle einnimmt, ist Toni Livers. Der 25-Jährige hatte vor zwei Jahren in Davos einen Sensationssieg gelandet. Dass auch er für absolute Spitzenplätze im Weltcup gut ist, bewies Livers mit einem siebten Platz über 15 Kilometer klassisch beim Saisonauftakt in Schweden.
«Er verfügt über dasselbe Talent wie Cologna. Als Junior war er sogar stärker», so der Cheftrainer.
Parat sein müssen in Tschechien auch Remo Fischer und Curdin Perl. Sie werden an der WM das Schweizer Staffel-Quartett vervollständigen. «Obwohl in diesem Bewerb viel Erfahrung gefragt ist, liegt für unser junges Team ein Platz unter den ersten Fünf drin», ist Iseppi überzeugt. Wachsen alle über sich hinaus, und kommen noch schnelle Skis hinzu, könnte sogar eine Sensation drin liegen.
In den Einzelkonkurrenzen setzt er natürlich auf Allrounder Cologna. Aber auch die anderen könnten für den einen oder anderen Exploit sorgen. Wenn die jungen Wilden ihren «Geist von Davos» bis Februar am Leben halten.
swissinfo, Renat Künzi
Langlauf-Weltcup-Stand nach sechs von 33 Rennen:
1. Cologna (Sz) 208 Punkte. 2. Hattestad (No) 200. 3. Olsson (Swe) 186. Ferner: 36. Livers 36. 48. Tambornino 26.
Skisprung-Weltcup nach fünf von 28 Springen:
1. Ammann (Sz) 425 Punkte. 2. Schlierenzauer (Oe) 375. 3. Larinto (Fi) 205. Ferner: 11. Küttel 121.
Im Gegensatz zu den Männern kamen die Schweizer Langläuferinnen in diesem Winter bisher noch nicht auf Touren.
Seraina Mischol, die sich im letzten Winter klar die Position als Nummer 1 im Schweizer Team eroberte, weist nach einer Hüftverletzung im Herbst noch einen Trainingsrückstand auf.
Ebenso die U23-Weltmeisterin Silvana Bucher, die sich nach einer Viruserkrankung wieder auf dem Weg zurück befindet.
Mit Laurence Rochat war in Davos durch einen verschleppten Virus gehandicapt.
Auch Seraina Boner traut Iseppi bis Februar noch eine grosse Steigerung zu.
Weil die Spitze bei den Frauen nicht so dicht ist, liegt für Iseppi an der WM eine Schweizer Überraschung im Bereich des Möglichen.
Der Toggeburger hat bisher drei der fünf Konkurrenzen dieser Saison gewonnen. Er liegt deshalb als erster Schweizer Springer an der Spitze der Weltcup-Wertung.
Ammanns erklärte Saisonziele, die Siege des Gesamtweltcups und an der Vierschanzentournee, sind durchaus realistisch.
Der Doppel-Olympiasieger von 2002 in Salt Lake City gehört mit seinen 26 Jahren zu den absoluten Routiniers im Feld.
«Simi», der schon immer über ein sehr stabiles Flugsystem verfügt hatte, erreicht jetzt endlich auch eine höhere Geschwindigkeit beim Absprung. Dies dank verbesserter Anfahrtsposition.
Noch nicht ganz mit seinem Teamkollegen mithalten kann Andreas Küttel, der zweite Schweizer Spitzenspringer.
Trotz der Erfolge der Beiden klafft dahinter eine grosse Lücke, was den Nachwuchs betrifft.
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