Schweizer Schafe blöken in Berlin

Am Pfingstwochenende findet in Berlin der Karneval der Kulturen statt. Über 80 Nationen machen bei dem Spektakel mit - dieses Jahr zum ersten Mal auch die Schweiz.
Bunter kann ein Schaf nicht sein. Pascale Meyer reisst Papierservietten, die mit orangen und rosa Blumen bedruckt sind, in tellergrosse Stücke, bestreicht sie mit Lackleim und klebt sie auf ihr Holzschaf. «Die Schweiz ist schliesslich auch bunt und vielfältig», sagt die 39-Jährige.
Sie greift nach einem Pinsel und tupft dem Schafskopf noch ein wenig orange Farbe auf. Mit Farbe und Pinsel hat die gebürtige Zürcherin, die seit neun Jahren in Berlin lebt, sonst wenig zu tun. Meyer ist von Haus aus Juristin und arbeitet als selbständige Organisationsberaterin.
Doch am Pfingstwochenende findet in Berlin der traditionelle Karneval der Kulturen statt, und heuer mit dabei ist das erste Mal auch die Schweiz – genauer die «Schwiizli», ein Zusammenschluss von in Berlin lebenden Schweizerinnen und Schweizern.
Das viertägige Spektakel mit Strassenumzug soll die kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt der deutschen Hauptstadt präsentieren: Weit über 4000 Akteure aus über 80 Nationen machen mit, von Sambatänzerinnen aus Brasilien über westafrikanische Perkussionsbands bis hin zum Blasorchester aus dem Balkan.
Alpaufzug
Die «Schwiizli» reihen sich unter dem Motto «Chumm Sässässä» ein: Als Schäferinnen und Schäfer werden sie mit einer farbenfrohen Schafherde durch die Stadt ziehen, angetrieben von Alphörnern, Glocken und Gejauchze. Rund 30 Schweizerinnen und Schweizer haben ihre Teilnahme zugesagt.
Jetzt, wenige Tage vor dem Karneval, sind die «Hirten» damit beschäftigt, ihre schlichten Holzvorlagen in möglichst phantasievolle Schafe zu verwandeln. Im Atelier der Berner Künstlerin Lis Blunier in Berlin-Wedding wird gehämmert, gestrichen und geklebt, was Farben und Lacke hergeben.
In einer Ecke stehen gut 20 gusseiserne Putzeimer, die umgedreht und mit eingebautem Schwengel, wunderbar scheppernde Kuhglocken ergeben. Die Lautstärke beim «Probeschwingen» ist jedenfalls beeindruckend. «Das ist ja fast wie an der Fasnacht», freut sich eine Frau mit Luzerner Akzent.
Gegen Schafplakate
Den Berlin-Schweizern geht es indes um mehr als kurzfristiges Karnevalsspektakel. Die bunte Schafherde soll das Abbild sein für eine vielfältige Schweiz – so, wie sich die «Schwiizli» ihre Heimat wünschen.
Die Schafe beziehen sich dabei auf die Wahlkampagne der Schweizerischen Volkspartei (SVP) vom vergangenen Herbst, wo auf den Abstimmungsplakaten weisse Schafe ein schwarzes Schaf aus der Schweiz kickten.
«Mit der Aktion wollen wir ein Zeichen setzen gegen die populistische und ausgrenzende Politik der SVP», erklärt Hans Spoerri. «Gerade wir Auslandschweizer sollten unsere Stimme erheben, wenn es um Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geht», meint der Grafikdesigner.
Spoerri ist in Zürich geboren und lebt schon seit über 30 Jahren in der Stadt an der Spree. Wie für die meisten «Schwiizli» ist Berlin für ihn zur zweiten Heimat geworden. Doch das Schweizer Politikgeschehen verfolgt der 66-Jährige nach wie vor mit Interesse.
«Deutsche Zeitungen berichten – mal abgesehen von Blocher – leider selten über die Schweiz. Und wenn, dann mit einem belächelnden Unterton», bedauert er. Es sei wichtig, dem Ausland ein differenziertes Bild der Schweiz zu vermitteln, fern jeglicher Klischees.
Medieninteresse
Auf den feuerroten Postkarten mit dem Schweizerkreuz, welche die «Schwiizli» am Umzug verteilen wollen, heisst es denn auch: Die Schweiz definiert sich über mehr als dreieckige Schokolade, sichere Banktresore und hohe Berge.
Die Neugierde der Berliner scheinen die «Schwiizli» mit ihrer Aktion jedenfalls geweckt zu haben. So hat bereits ein Berliner Lokalradio über die bunten Schafe berichtet. Nur mir der Aussprache von «Chumm Sässässä» hatte die deutsche Moderatorin ein bisschen Mühe.
swissinfo, Paola Carega, Berlin
Seit 1996 findet in Berlin alljährlich an Pfingsten der Karneval der Kulturen statt.
Das viertägige multikulturelle Spektakel mit Musik-, Tanz- und Theaterveranstaltungen bietet der internationalen Kulturszene Berlins sowie den Ausländer-Organisationen und Migrantenvereinen eine Plattform, sich der Bevölkerung vorzustellen.
Darüber hinaus soll der Karneval, den die Institution Werkstatt der Kulturen veranstaltet, dazu beitragen, Fremdenängste abzubauen und Berlin als weltoffene, internationale Stadt präsentieren.
Höhepunkt ist der fast neunstündige Strassenumzug, an dem rund 4500 Akteure aus über 80 Nationen mit Masken, Kostümen und kunstvoll dekorierten Wagen durch die Stadt ziehen. Diesmal erwarten die Veranstalter rund 1,3 Millionen Zuschauer.
Auch ein Kinderkarneval ist mittlerweile fester Bestandteil des Programms.
Längst ist der Karneval der Kulturen, der sich an den traditionellen Notting Hill Carnival in London und den Rotterdamer Zomercarnaval anlehnt, zu einem internationalen Publikumsmagneten geworden, ähnlich der Love Parade.

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