Schweizer und Deutsche: Tonfall und Wortwahl
Oft staunen die Deutschen in der Schweiz darüber, weshalb sie als arrogant empfunden werden, wo sie sich doch nur klar ausdrücken möchten. Eindrücke aus einem Mentalitäts- und Verhaltenskurs der Bernischen Kraftwerke BKW AG.
Dass sich viele Schweizer besonders seit der Schengen-Öffnung an den vielen Deutschen stossen, ist nicht neu. Doch weniger bekannt ist, was die Deutschen dazu sagen und wie sie damit umgehen.
Ein Unternehmen, die Berner Kraftwerke AG, hat sich Gedanken dazu gemacht und diesen Frühling die über hundert deutschen Mitarbeitenden angefragt, ob sie allenfalls an betrieblichen Integrationskursen interessiert wären.
«Ein Vorgesetzter wollte von mir wissen, ob es Kurse zur Schweizer Mentalität und zum Verhalten in der Geschäftswelt in der Schweiz gibt», sagt Markus Oppliger, Personalentwickler bei den BKW, gegenüber swissinfo.ch.
«Wir wurden fündig, bei einem externen Partner. Wegen der grossen Anfrage führen wir den Kurs nun gleich vier Mal durch.»
Wortwahl als Stilfrage
Im Kurs reagieren einige Deutsche verständnislos bis verloren, wenn man ihnen ihr als arrogant empfundenes Verhalten vorhält. «Der Anschein der Arroganz hat mit der Direktheit zu tun, mit der Deutsche miteinander umgehen», sagt der deutsche Imageberater und Kursleiter, Christian Leschyk, der seit 17 Jahren in der Schweiz wohnt. «Stil, Formulierung, Aussprache, Wortwahl und Wirklichkeitsform machen es aus.»
«Ich krieg ein Brötchen» sei als Kundenwunsch in einer Deutschschweizer Bäckerei nicht angebracht, obschon in Deutschland normal. Über die Wortwahl hinaus sei das auch eine Stilfrage, sagt der Imageberater.
Auch über den Gebrauch des Hochdeutschen berät Leschyk seine Landsleute. Ein Kursteilnehmer meint: «Ich habe bemerkt, dass die Leute teilweise entspannter mit mir reden, wenn ich mein Rheinisch einfliessen lasse.» Es klinge dann weniger hochgestochen, mehr wie ein Dialekt.
Schweizer soll man ausreden lassen
Im Arbeits-Alltag der Bernischen Kraftwerke, «wo eine schlecht reparierte Leitung trotz Höflichkeitsfloskeln schlecht repariert bleibt oder ein Reparaturfehler eben ein Fehler bleibt», lasse sich Sprachdiplomatie schwieriger platzieren als anderswo, meint ein weiterer Kursteilnehmer auf die Frage, wie er denn als Deutscher die Kritik an seinen Schweizer Untergebenen anbringe.
Er frage deshalb zuerst indirekt, statt gleich mit der direkten Kritik einzusetzen. Umschreiben sollte man die Kritik, meint ein anderer. «Ausreden lassen», rät Leschyk.
Doch manchmal bleibt das Problem: «Ich bin als Fachmann angestellt und trage die Verantwortung. Wenn ich genau sehe, dass etwas nicht stimmt, kann ich mich doch nicht auf Diskussionen einlassen», sagt ein weiterer Kursteilnehmer.
«In der Schweiz ist man sich aber gewohnt, seine Meinung sagen zu können», wendet Leschyk ein. «Allein schon der Gedanke, es gebe nur einen Weg, führt in der Schweiz nicht weiter.»
Das Wort «müssen» ist zu vermeiden
«Die höfliche Bitte ersetzt in der Schweiz die Anweisung, ist aber gleichwertig», erklärt Kursleiter Leschyk. «Es ist nicht nötig, dem Gesagten nochmals zusätzliches Gewicht zu geben. Lieber ein Feedback holen, damit man sich weiterhin versteht.»
Diesen Rat bezweifelt ein skeptischer Kursteilnehmer in Führungsposition. «Wenn eine Arbeit schlecht gemacht wurde, lässt sich das nur schwer indirekt umschreiben.»
Die Sprache der Deutschen sei durch die Rechtsschreibereform «noch unfreundlicher» geworden, sagt Leschyk. Formulierungen wie «würden Sie» oder «darf ich Sie bitten» seien in Deutschland out, während sie als genutzte Höflichkeitsform in der Schweiz noch gebräuchlich blieben.
«Das Wort ‹müssen› ist hier in der Schweiz kein gutes Wort, auch wenn es nicht böse gemeint ist.»
Gegenbeispiel Jo Ackermann
Vergnüglich wird es, wenn die Kursteilnehmer mit den gängigen Helvetismen konfrontiert werden: Viele Deutsche finden es anbiedernd, auf Biegen und Brechen Schweizerdeutsch sprechen zu wollen.
Leschyk rät, gängige Schweizer Geschäfts- und Alltagsbegriffe zu benutzen. Auch der bekannte Schweizer Banker Jo Ackermann habe nach der Übernahme der Führung der Deutschen Bank «Tagesordnung» sagen müssen, nachdem seine «Traktandenliste» sein deutsches Team allzu sehr belustigt hatte.
Bei den BKW könnte das Umgekehrte angebracht sein: «Ich musste erst googlen, um zu begreifen, was ‹Pendenzen› heisst», lacht ein Teilnehmer. «Auch was ’sistieren› heisst, wusste ich nicht.»
Kantönligeist – für Deutsche schwer fassbar
Auch der verbreitete Schweizer Regionalstolz sorgt bei den deutschen Kursteilnehmern für Vergnügen und Unverständnis. Was denn der Regionalstolz für ausländische Deutsche in ihrem geschäftlichen Alltag bedeute, werden sie von Leschyk gefragt. Als ein Kursteilnehmer von seiner «Walliser Kundschaft» zu erzählen beginnt, lachen die meisten bereits los.
«Wir dürfen dies nicht abwerten», mahnt Leschyk seine «Schüler». Im Business-Bereich sei es sogar ratsam, etwas aus der Region als Geschenk mitzubringen, wenn Ausländer das erste Mal bei Schweizern zuhause eingeladen würden.
«Auch uns Deutschen ist der Kantönligeist nicht fremd», so der Imageberater. «Zwei Deutsche setzen sich nebeneinander: Der eine kommt aus Schwaben, der andere aus Baden – und schon macht’s Boing! Unter Nachbarn – beide Deutsche.»
Die Bernischen Kraftwerke (BKW) sind mit einem Umsatz von über 3 Mrd. Franken eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen.
Die BKW beschäftigen mehr als 2800 Mitarbeitende, wovon über 100 Deutsche.
Das Unternehmen hat Beteiligungen auch in Deutschland und Italien.
Einerseits sind die BKW die führende Produzentin von Strom aus Fotovoltaik, Windenergie, Kleinwasserwerken und Biomasse.
Andererseits sind sie 2011 vor allem wegen des veralteten Kernkraftwerks Mühleberg in die Negativschlagzeilen geraten.
Nicht nur die Deutschschweizer haben Vorurteile gegenüber den Deutschen. Die Österreicher sind nicht besser: Ihre Schimpf-Bezeichnung für Deutsche, «Piefke», spricht Bände.
Im Gegensatz zur Schweiz stellt sich den Deutschen das Sprachproblem in Österreich jedoch weniger. Erstens fühlen sich die Österreicher keineswegs sprachlich unterlegen wie viele Schweizer, und zweitens ist das Österreichische dem Deutschen näher.
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