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Schweizer Urteil in Aeroflot-Affäre

Der Anwalt soll mit anderen die Aeroflot um Millionen betrogen haben. Keystone

Das Bundesstrafgericht hat einen Berner Anwalt zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten bedingt auf zwei Jahre verurteilt. Der 58-Jährige wurde für schuldig befunden, am Millionenbetrug zu Lasten der russischen Fluggesellschaft Aeroflot beteiligt gewesen zu sein.

Verurteilt wurde er wegen Gehilfenschaft zu ungetreuer Geschäftsbesorgung in den Jahren 1996 und 1997, als er am Aufbau der Firma Andava in Lausanne beteiligt war.

Den Anklagepunkt der Geldwäscherei sowie den allfälligen Tatbestand der Veruntreuung liess das Gericht jedoch fallen. Die Deliktsumme wurde auf rund 50 Millionen Franken beziffert.

Trotz des Teilfreispruchs wiegt das Urteil für den auf Zypern lebenden Berner schwer. Denn neben der bedingt erlassenen Freiheitsstrafe wurde ihm noch eine unbedingte Geldbusse von 90 Tagessätzen von je 1000 Franken aufgebrummt. Dazu muss er die Gerichts- und Verfahrenskosten in der Höhe von über 300’000 Franken übernehmen.

Die Bundesanwaltschaft (BA) hatte vier Jahre Gefängnis gefordert. Der Schuldspruch sei aber ganz im Sinne der Anklage, sagte eine BA-Sprecherin nach der Urteilseröffnung.

«Das Gericht und die Bundesanwaltschaft haben von den komplexen Mechanismen der Andava-Gruppe nichts begriffen», erklärte hingegen Verteidiger Konrad Rothenbühler. Er kündigte umgehend an, das Urteil vor Bundesgericht weiter zu ziehen.

Schweiz als Drehscheibe

Unabhängig von den strafrechtlichen Aspekten dieses Prozesses hat das Verfahren einen guten Einblick in die internationale Finanzwelt und ihre Verflechtungen gegeben. Die Schweiz war in diesem Netz eine wichtige Drehscheibe.

Schon das Konstrukt der Andava-Gruppe, über welche die Aeroflot ihre Finanzgeschäfte Mitte der 1990er-Jahre im Ausland abwickelte und Devisen verwaltete, ist eindrücklich.

Hauptaktionäre waren damals das Westschweizer Handelshaus André et Cie. sowie Boris Beresowski und der ehemalige Aeroflot-Vizegeneraldirektor Nikolai Glutschkow.

Glutchkow hat nach Ansicht des Gerichts denn auch die ungetreue Geschäftsführung materiell ausgeführt, zu welcher der Schweizer Anwalt seine Gehilfenschaft leistete.

Die Andava-Holding hatte ihren Sitz in Luxemburg. Niederlassungen gab es in Moskau, Dublin, den Virgin Islands und Lausanne. Gemäss dem nun verurteilten Berner Anwalt hatte dies steuerliche Gründe.

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Bundesstrafgericht

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das Bundesstrafgericht ist eines von zwei erstinstanzlichen Bundesgerichten (das andere ist das Bundesverwaltungsgericht), die im Rahmen der Reform des Schweizerischen Rechtssystems errichtet wurden, um die immer grösser werdende Arbeitsbelastung des Bundesgerichts in Lausanne zu vermindern. Dieses Gericht hat seine Arbeit 2004 in Bellinzona aufgenommen. Es ist zuständig für jene Strafsachen, die in die Gerichtsbarkeit des…

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Druck durch Geheimdienst

Der Prozess zeigte auch auf, wie gefährlich eine wirtschaftliche Aktivität mit russischen Partnern werden kann. Der Verurteilte geschäftete höchstpersönlich mit dem umstrittenen und mittlerweile im Exil lebenden Milliardär Boris Abramowitsch Beresowski. Bis heute unterhält er private Kontakte mit dem umstrittenen russischen Unternehmer.

Der 62-Jährige gilt als einer der grossen Oligarchen Russlands. Durch Autohandel erwarb er sich in der Privatisierungsphase Russlands ein Milliarden-Vermögen. Er wird in Russland wegen Korruption und Geldwäscherei gesucht und lebt seit 2000 im Asyl in London.

Diese Beziehung machte den Schweizer offenbar für den russischen Geheimdienst interessant. Der auf Zpyern lebende Berner Anwalt erzählte jedenfalls vor Gericht von Druckversuchen, denen er ausgesetzt war. 2003 habe ihm ein Agent des Geheimdienstes auch Gewalt angedroht, wenn er unerwünschte Aussagen zu Beresowski mache.

Dies habe dazu geführt, dass er im Ermittlungsverfahren die Aussage verweigert habe. Er hatte stets Angst, dass seine Aussagen in Russland in den dortigen Verfahren verwendet würden. Erst nach dem Abschluss dieser Verfahren habe er sein Schweigen gebrochen. Nach Russland reise er allerdings nicht mehr, obwohl dort Kinder von ihm leben.

Kritik an Moskauer Prozess

Tatsächlich hat die Schweiz im Rahmen der russischen Ermittlungen in der Betrugs-Affäre Aeroflot Rechtshilfe geleistet. Der vormalige Bundesanwalt Valentin Roschacher weilte in dieser Angelegenheit sogar selber in Moskau.

Die russische Justiz hat in der Aeroflot-Affäre bereits vier Personen verurteilt. Im Juli 2006 verurteilte ein Moskauer Gericht drei frühere Aeroflot-Manager, darunter Nikolai Glutschkow, zu je zwei Jahren Zuchthaus bedingt.

Zudem erhielt der im britischen Exil lebende Beresowski im November 2007 in Abwesenheit sechs Jahre Zuchthaus aufgebrummt. Er war von einem Moskauer Gericht der Unterschlagung und des Betrugs für schuldig befunden worden. Er habe Gelder der Aeroflot auf dem Betrugswege entwendet.

Wiederholt waren Zweifel aufgekommen, ob diese Urteile nach rechtsstaatlichen Prinzipien im Sinne der Schweizer Strafverfolgung erfolgten. Bundesstrafrichter Daniel Kipfer wies diese Kritik in seiner mündlichen Urteilsbegründung zurück. Nikolai Glutschkow habe keinen Rekurs gegen seine Verurteilung eingelegt und sei auch nicht vor den internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gegangen.

swissinfo, Gerhard Lob, Bellinzona

Die grösste russische Fluggesellschaft wurde 1923 gegründet. Zu Sowjet-Zeiten war sie mit mehr als 10’000 Flugzeugen die grösste Fluggesellschaft der Welt.

Der Zusammenbruch der UdSSR 1991 bedeutete das Ende von Aeroflot als Staatsunternehmen und den Beginn einer Teilprivatisierung.

Seit 1992 heisst sie Aeroflot – Russian International Airlines (ARIA) und ist eine offene Aktiengesellschaft. 51% der Aktien sind in Staatsbesitz.

Seit April 2006 ist Aeroflot Mitglied im SkyTeam (Air France, KLM, Delta etc), als erste russische Airline in einer weltweiten Allianz.

Mit seinem Sender ORT und finanziellen Beiträgen unterstützte er im Wahlkampf 1996 massgeblich die Wiederwahl von Boris Jelzin zum Präsidenten Russlands. Er wurde danach dessen Vertrauter. Später unterstützte er Wladimir Putin, danach bekämpfte er ihn.

Von London aus versuchte Beresowki immer wieder, Einfluss auf die Innenpolitik Russlands zu nehmen und rief auch zum Umsturz auf. Er arbeitete unter anderen mit dem im November 2006 in London vergifteten Putin-Gegner Alexander Litwinenko zusammen.

In der Schweiz nahm die Bundesanwaltschaft im November 2003 Ermittlungen gegen Beresowski auf. Er wird verdächtigt, Geld gewaschen zu haben und Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein. Das Verfahren ist hängig.

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