Schweizer Velo-Abenteurer erfahren Iran hautnah
Auf ihrer Radreise von Bern nach Peking haben die Berner Velofahrer den Norden des Irans durchquert. Im Gepäck viele Vorstellungen, die mit der Realität nicht immer übereinstimmten. Es brodle im Innern des Irans, schreiben sie in ihrem vierten Reisebericht.
Ein kurzer Wortwechsel mit den Zollbeamten. Ein kritischer Blick in den Pass, schliesslich ein Lächeln. Schon setzen wir den ersten Fuss auf iranischen Boden.
Ein «Welcome to Iran” wird uns noch nachgeworfen, doch wir sind uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher, wie willkommen wir in einem Land sind, dessen Gesetze mit westlichen Werten oftmals unvereinbar sind und dessen Regierung den Okzident wann immer möglich mit Kritik bombardiert.
Darf man hier mit kurzärmligem T-Shirt Radfahren, mit Frauen sprechen oder sich zu Politik äussern? Was darf man von einer Islamischen Republik erwarten, die in der westlichen Welt oftmals mit Rückständigkeit oder Fundamentalismus in Verbindung gebracht wird?
In keinem Land zuvor hatten wir eine derartige Menge vorgefertigter Meinungen mit im Gepäck. In den folgenden Tagen sollten wir erfahren, dass viele dieser Vorstellungen mit der Realität nichts gemein haben – und dass aber ebenso viele die Realität genauestens beschreiben.
Wir bewegen uns vorwiegend im Norden des Landes, wo die Städte zahlreicher und grösser sind als im trockenheissen Süden. Vielleicht ist dies mit ein Grund dafür, dass uns die Leute mit derartiger Begeisterung begegnen.
Wo immer wir uns niederlassen, wird sofort Kontakt aufgenommen. Anfänglich etwas zurückhaltend noch, doch wenn die Barriere einmal durchbrochen ist, stehen die Iraner den Türken in Bezug auf die Gastfreundschaft in nichts nach.
Viel Frust über die Regierung
Immer wieder stossen wir auf Leute mit guten Englischkenntnissen, von denen wir viel über das Land erfahren. Wir treffen Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlicher Schicht und Herkunft, doch eines haben sie alle gemein: Den Frust über den Zustand des Landes und die Regierung.
Bei manchen entlädt sich dieser Frust explosionsartig. Ali, ein junger lebensfreudiger Familienvater etwa hämmert mit der Faust auf einen Geldschein, auf dem der Gründer der Islamischen Republik abgebildet ist, und schreit dazu «Terrorist». Er hasse den Iran, verrät uns Ebrahim aus Teheran. Er will das «Gefängnis”, in dem er lebt, schnellstmöglich verlassen und in den USA sein Glück versuchen.
Während der ganzen Reise treffen wir lediglich eine Person, einen jungen Studenten aus Teheran, der mit seiner Regierung zufrieden ist. Er schwärmt vom «Leader» – damit ist Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei gemeint – und fügt an: «I think all Iranians like him». Er denke, alle Iraner seien wie jener. Wie Unrecht er doch hat.
Sittenpolizei kann überall sein
Der Grossteil der Leute aber hält sich trotz grossen Unmuts mit kritischen Äusserungen zum Staat zurück, und wer das Thema doch anzusprechen wagt, senkt die Stimme und schaut verstohlen in die Umgebung. Es ist offensichtlich, dass sich viele Leute vor Bestrafung fürchten, denn die Sittenpolizei kann überall lauern und zögert nicht, Regelverstösse zu ahnden.
In Isfahan, einer historischen Stadt südlich von Teheran, erleben wir solche Fälle aus nächster Nähe. Weil wir keinen Pass auf uns tragen, müssen wir zur Kontrolle beim Polizeiposten vorbeischauen.
Das Revier ist voller Leute – die meisten Touristen –, die aus verschiedenen Gründen dort festgehalten werden. Er habe sich mit einer verheirateten Iranerin ins Gras gesetzt, erzählt uns ein entnervter Engländer. Nun wartet er seit zwei Tagen auf seinen Pass und muss sich stundenlang sinnlosen Verhören unterziehen. Eine junge Frau schluchzt im Nebenraum. Ihr drohten scheinbar ernsthafte Probleme, weil sie sich gegen das Tragen des Kopftuchs ausgesprochen hatte.
Zwar bleibt es in den meisten dieser Fälle lediglich bei einem langwierigen Aufenthalt auf dem Polizeirevier, und weitere Konsequenzen bleiben aus. Die Schikanen enthüllen jedoch ein zweites Gesicht des Staates, das konservative und autoritäre Gesicht nämlich und sind Grund dafür, dass wir unser Iranvisum nicht verlängern.
Zwei unvereinbare Welten
Hier ein totalitärer Staat, der das Einhalten religiöser Vorschriften mit rigorosen Kontrollen überwacht. Dort eine aufgeschlossene Zivilgesellschaft, nach Freiheit dürstend, bei der die Moderne längstens angekommen ist. Der Iran vereint zwei Welten, die eigentlich unvereinbar sind.
Die beiden Welten prallen immer wieder aufeinander, woraus teilweise groteske Mischungen entstehen. Die Kopftuch tragende Muslimin, deren Gesicht unter einer zentimeterdicken Make-Up-Schicht steckt, zeugt von dieser Widersprüchlichkeit ebenso wie der Restaurantbetreiber, dessen Kühlschrank zwar nur alkoholfreie Getränke enthält, der aber im hinteren Raum Bier und Opium lagert.
Wir können nicht behaupten, dass wir auf unserer Reise eine repräsentative Auswahl von Iranern getroffen haben. Es sind vorwiegend liberal eingestellte Menschen mit guten Englischkenntnissen, die auf Touristen zugehen. Das Tor zur Welt der konservativen Leute blieb uns weitgehend verschlossen.
Es lässt sich nicht abschätzen, wie gross der Anteil der Regimegegner in der iranischen Bevölkerung ist. Ausser Zweifel steht aber, dass es viele sind und dass ihre Zahl wächst.
Aus Liebe zur Freiheit, zur Ökologie und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für eine Reise mit dem Velo von Bern nach Peking.
In Samsun am Schwarzen Meer ist sein Freund Samuel Anrig dazu gestossen. Er begleitet Julian für den Rest der Reise.
Julian war am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führt über Italien in die Länder des Balkans. In diesen Tagen radeln die Velo-Abenteurer durch Iran.
Weiter geht es nach Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und China bis Peking.
Die Route – insgesamt 14’000 km – verläuft über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.
Die Abenteurer wollen pro Tag rund 100 km zurücklegen, um ihr Ziel im November zu erreichen.
Der Berner Velo-Abenteurer ist 26 Jahre alt. Im Herbst 2010 hat er sein Studium in Politologie und Geschichte abgeschlossen.
Nebst Musik und Sport ist das Reisen seine Leidenschaft, vor allem per Fahrrad.
Der Berner hat in den letzten Jahren bereits die Strecken Zagreb-Tirana sowie Granada-Bern per Rad zurückgelegt.
Die gegenwärtige China-Radreise ist für ihn die mit Abstand längste Tour.
Samuel Anrig ist 27 Jahre alt und hat soeben sein Geografiestudium an der Universitaet Bern abgeschlossen.
Der Reiseliebhaber begleitet Julian Zahnd auf der Strecke Samsun (Türkei) – Peking. Vor wenigen Jahren sind die beiden bereits von Zagreb nach Tirana geradelt.
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