Sechs Rekruten sterben in Lawine an der Jungfrau
Bei einem Bergunglück an der Südflanke der Jungfrau im Berner Oberland sind sechs Armeeangehörige von einer Lawine in die Tiefe gerissen worden.
Verteidigungsminister Samuel Schmid hat den Familien der Opfer im Namen der Schweizer Regierung sein Beileid ausgesprochen. Eine Untersuchung über die Ursache der Tragödie sei in Gang.
Wie der Einsatzleiter der Rettungsstation Lauterbrunnen, Rene Feuz, bestätigte, befanden sich die Bergsteiger in zwei Dreierseilschaften auf der Normalroute für den Aufstieg zur 4158 Meter hohen Jungfrau.
Auf einer Höhe von rund 3800 Metern über Meer habe sich am Donnerstag kurz vor 10 Uhr vermutlich Neuschnee der vergangenen Tage gelöst und die beiden Seilschaften mitgerissen.
Die sechs Personen seien über eine steile Bergflanke mehrere hundert Meter tief ins Rottal an der Südwestflanke der Jungfrau abgestürzt. Alle sechs hätten nur noch tot geborgen werden können, sagte Feuz.
Weitere Bergsteiger, die Richtung Jungfrau unterwegs waren, wurden vorsorglich evakuiert. Von ihnen sei niemand verletzt worden. Feuz sprach von einem sehr schlimmen Unfall, wie er noch keinen erlebt habe.
Todesopfer sind Rekruten
Bei den Opfern handle es sich um Angehörige der Armee, sagte Thomas Kenner, Sprecher der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega). Die Toten seien per Helikopter geborgen worden.
Acht weitere Armeeangehörige hätten das Unglück als Augenzeugen miterleben müssen, sagte Kenner. Sie seien mit der Rettungswinde aus der Wand auf einen Zwischenlandeplatz und von dort nach Lauterbrunnen geflogen worden. Zur Zeit würden sie psychologisch betreut.
VBS bestätigt
Im Verlauf des Nachmittags bestätigte auch das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), dass es sich bei den Toten um Angehörige der Armeee handelt.
Dies gab Divisionär Fred Heer, stellvertretender Kommandant des Heers, in Lauterbrunnen bekannt.
Sie hätten sich in der 17. von 21. Ausbildungswochen der Gebirgsspezialisten-RS befunden und seien «exzellent ausgerüstet» und «gut ausgebildet» gewesen, sagte er.
Die Angehörigen der RS aus Andermatt (Kanton Uri) hatten einen Kurs unter der Leitung von Bergführern durchgeführt. Ein militärischer Untersuchungsrichter wurde aufgeboten.
Beileid des Bundesrates
Der Bundesrat hat «mit Bestürzung» auf den Bergunfall im Berner Oberland reagiert. Die Untersuchung werde zeigen, ob allein die Natur oder allenfalls menschliche Unzulänglichkeit Ursache des Todes dieser sechs erfahrenen Alpinisten gewesen sei.
Sechs Angehörige der Armee hätten ihr Leben im Dienste des Landes verloren, sagte Verteidigungsminister Samuel Schmid. Im Namen von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und der Landesregierung drückte er den Angehörigen, Freunden und Familien der Opfer das Beileid aus.
Worte wirkten in solchen Momenten leer, sagte Schmid. Dennoch sollten sie das Mitgefühl und die Verbundenheit der Landesregierung zum Ausdruck bringen. «So sind in diesen Momenten unsere Gedanken bei den Angehörigen, Freunden und Dienstkollegen der jungen Opfer.»
«Jederzeit und überall»
Ueli Steck, Berner Oberländer Bergführer und einer der besten Extremkletterer der Welt, wies darauf hin, dass in den Alpen in den letzten Wochen sehr viel Schnee gefallen sei.
Kombiniert mit wärmeren Temperaturen habe dies zu «einer total instabilen Schnee-Struktur» geführt, sagte er gegenüber swissinfo. Die Möglichkeit einer Lawine sei deshalb gross.
Steck, der in der nahe der Jungfrau gelegenen Stadt Interlaken lebt, erklärte, die Südwestflanke der Jungfrau sei die normale Route zum Gipfel. Nach seinen Worten ist dies normalerweise eine leichte Tages-Tour, «die auch von Anfängern gemacht werden kann».
Es gebe auf dieser Route «viel Verkehr», da es eine der Standard-Routen im Berner Oberland und normalerweise nicht lawinengefährdet sei, so Steck weiter. «Aber Unglücke können jederzeit an jedem Ort passieren.»
swissinfo und Agenturen
Im Jahr 2006 haben die Spezialisten des schweizerischen Alpinen Rettungsdienstes 477 Einsätze geleistet.
Insgesamt haben sie 695 Personen geholfen. Für 71 Menschen kam die Hilfe zu spät.
In 149 Fällen handelte es sich um Unfälle bei alpinen Ausflügen und in 124 Fällen um solche bei hochalpinen Klettertouren.
Allein durch Lawinen kamen seit dem Winter 1997/98 in den Schweizer Alpen gesamthaft 225 Menschen ums Leben, davon 15 im letzten Winter.
Die Tragödie an der Jungfrau vom Donnerstag ist das schwerste Armeeunglück der vergangenen Jahre. 1992 kamen bei einer Explosion eines Munitionslagers auf dem Sustenpass sechs Personen ums Leben.
Die schwerste Lawinen-Tragödie in der Schweiz ereignete sich am 24. Februar 1970. Damals riss eine Lawine in Reckingen im Oberwallis 30 Menschen in den Tod, sechs Kinder, fünf Frauen und 19 Armeeangehörige.
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