Sklaverei: Auch die Schweiz war aktiv beteiligt
Die UNESCO hat den 23. August zum "Internationalen Tag zum Gedenken an den Sklavenhandel und seine Abschaffung" erklärt.
Geschichtsprofessor Hans Fässler spricht mit Vanda Janka über die Pflicht der Schweiz, sich auch mit dieser Vergangenheit zu befassen.
Bei seinen Recherchen hat Hans Fässler herausgefunden, dass der fehlende Zugang zum Meer die Schweiz nicht daran hinderte, sich aktiv am Sklavenhandel zu beteiligen. Dieser berüchtigte «Dreieckshandel» wurde vom 16. bis 19. Jahrhundert zwischen Europa, Afrika und der Neuen Welt aufgezogen.
Ein Beispiel: Die Schweizer Banken hielten bis zu einem Drittel der Aktien der Compagnie des Indes, einer französischen Gesellschaft, die das Monopol im Sklavenhandel in Westafrika hielt.
Geschäftshäuser finanzierten oder handelten mit Unternehmen, die im Sklavenhandel tätig waren. Ausserdem zeichneten sich auch einige Schweizer in der Unterdrückung von Sklaven-Aufständen aus.
Kurz, die Verwicklung der Schweiz in die Geschichte der Sklaverei war offensichtlich grösser, als man laut den Geschichtsbüchern glauben könnte.
International gilt die Sklaverei heute als Verbrechen gegen die Menschheit. Fässler bestätigt, die Schweiz müsse sich damit erneut ihrer Vergangenheit stellen.
swissinfo: Wie erklären Sie sich das jüngste Interesse der internationalen Gemeinschaft am Sklavenhandel?
Hans Fässler: Diese internationalen Gedenktage wiederspiegeln vor allem den Willen einiger Länder, auch der Schweiz, Licht in ihre Vergangenheit zu bringen. Heute erheben sich viele Stimmen, die Vergangenheitsbewältigung, aber auch eine Analyse der Folgen der Sklaverei auf unsere heutige Zeit verlangen.
Erst mit dem Ende des Kalten Kriegs waren die Staaten bereit, sich mit diesem Kapitel der Geschichte zu befassen. Vorher war das Thema ganz einfach tabu. Und wer es an die Öffentlichkeit zu bringen wagte, galt meist als Nestbeschmutzer. In der Schweiz wie anderswo glaubte man, dass Kritik am eigenen Land dieses im Kampf gegen den damaligen Ostblock schwächte.
Dank diesem Argument konnte das Aufmucken meist unterdrückt werden. Aber die Auswirkungen der Kolonialisierung und des Sklavenhandels sind zu gross, als dass man sie links liegen lassen könnte. Umso mehr als im Herbst 2001 die Weltkonferenz gegen den Rassismus in Durban die Diskussion erneut aufnahm. Dabei wurde anerkannt, dass der transatlantische Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschheit war.
Ist die Schweiz bereit, die Frage selbstkritisch anzugehen?
H.F: Es gibt immer Unbelehrbare, die es unnötig finden, sich mit der ferneren Vergangenheit zu befassen. Ich stelle aber fest, dass man heute links wie rechts der politischen Skala bereit ist, diese Frage anzugehen.
Meine Recherchen lösten rund fünfzehn parlamentarische Vorstössen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene aus. Das Dutzend bereits erfolgter Antworten beweist, dass sich deshalb niemand mehr aufregt. Der Kanton Appenzell Ausserrhoden sowie die Städte St. Gallen und Basel zeigten sich sogar bereit, ein eventuelles nationales Projekt in diesem Bereich zu finanzieren.
Die im Nationalrat eingereichte Interpellation von Pia Hollenstein wurde zwar bisher im Plenum nicht beraten. In ihrer Antwort hat die Regierung aber immerhin betont, die Schweiz unterstütze die an der Weltkonferenz von Durban abgefasste Erklärung und das Aktionsprogramm gegen den Rassismus. Ebenso hat sie die Sklaverei und den Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschheit anerkannt.
Was tut die Schweiz konkret, um Licht in diesen Bereich ihrer Vergangenheit zu bringen?
H.F: Politisch muss das Thema wohl noch etwas reifen. Dagegen befasst man sich nun an den Universitäten mit der Sklaverei. Ein Beispiel: Im November organisiert die Universität Lausanne eine Konferenz, an der unter anderen zahlreiche renommierte Historikerinnen und Historiker teilnehmen. Ferner ist in Basel eine interkantonale Konferenz geplant. Und in Kürze kommt ein Buch über die Beteiligung der Schweiz an der Sklaverei heraus.
Warum ist diese Frage in Ihren Augen so wichtig?
H.F: Die Schweiz hat die Pflicht, sich zu erinnern. Wie die anderen Länder des Westens muss sie ausserdem über die Herkunft ihres Reichtums nachdenken. Nach der Affäre mit den nachrichtenlosen Vermögen und den Bedenken wegen seiner Kollaboration mit dem Apartheidregime muss sich das Land nun mit dem dritten dunklen Kapitel seiner Gesichte befassen, jenem der Beteiligung an einem der grössten Verbrechen gegen die Menschheit.
Der Prozess ist umso schmerzlicher, als die Schweiz bereits ernsthaft an ihrer Vergangenheits-Bewältigung gearbeitet hat. Trotzdem dürfen wir uns diese Arbeit nicht ersparen. Der Druck von Organisationen und intellektuellen Kreisen in Afrika auf die westlichen Länder, ihre kolonialen Schulden zu zahlen, wird immer stärker.
Müssen wir uns auf neue Entschädigungs-Forderungen gefasst machen?
H.F: Natürlich prüfen gewissen Kreise diese Frage. Die am stärksten vom Sklavenhandel betroffenen Länder aber verlangen vor allem, dass der Westen seine Verantwortung anerkennt.
Ich meinerseits glaube, dass Europa eine Entschädigungs-Pflicht hat, wobei die Form noch zu bestimmen ist. Das kann von rein symbolischen Akten über eine neue Form der Zusammenarbeit mit diesen Ländern bis zu deren Unterstützung gehen.
swissinfo, Vanda Janka
(aus dem Französischen von Charlotte Egger)
Die UNO hat 2004 zum «Internationalen Jahr zum Gedenken an den Kampf gegen die Sklaverei und ihre Abschaffung» erklärt.
Dies ist eine Folge der Konferenz von Durban, die vom 31. August bis zum 8. September 2001 stattfand. Die internationale Gemeinschaft anerkannte damals, dass der transatlantische Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war.
1997 erklärte die UNESCO den 23. August zum «Internationalen Tag zum Gedenken an den Sklavenhandel und seine Abschaffung». Damit soll des Kampfs der Sklaven um ihre Befreiung gedacht werden.
1994 hatte die UNESCO das Projekt «Strasse der Sklaverei» eingeleitet. Eines seiner Ziele ist das Studium und die Kenntnis der tief greifenden Ursachen und Modalitäten des Sklavenhandels.
Ferner soll Licht in die Wechselwirkungen gebracht werden, welche dieser in Nord- und Südamerika, den Antillen und dem Indischen Ozean hatte.
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