Sklaverei: Vergangenheit und Zukunft
Die Recherchen von Hans Fässler über die Beziehungen der Schweiz zur Sklaverei führten auf Bundes- wie auf Kantonsebene zu parlamentarischen Vorstössen.
Doch kann man die Vergangenheit überhaupt aus heutiger Sicht beurteilen?
Nachdem der St. Galler Politiker und Kabarettist auf Toussaint Louverture gestossen war, schrieb er «Louverture stirbt 2003». Aber vor allem hat er daraufhin ausgiebige Recherchen angestellt.
Aber er ging noch weiter: Auf sein Gesuch hin hat die (grüne) St. Galler Nationalrätin Pia Hollenstein Anfang März einen parlamentarischen Vorstoss eingebracht, der vom Bundesrat verlangt, die Rolle der Schweiz im internationalen Sklavenhandel untersuchen zu lassen.
Es war der erste Schritt einer grösseren politischen Mobilisierung. In einer abgestimmten Aktion wurden daraufhin in den Parlamenten von elf Kantonen (Neuenburg, Waadt, Genf, Bern, Basel-Stadt, Zürich, St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau, Schaffhausen und Graubünden) und drei Städten (St. Gallen, Zürich und Basel) weitere Vorstösse und Postulate eingebracht.
«Jedes Mal wird mehr oder weniger das Gleiche verlangt: Tatsachen feststellen, fragen, ob Recherchen nötig sind, ob man reagieren soll, ob symbolische Gesten oder gar Entschädigungen gefragt sind», fasst Fässler zusammen.
Die Sklaverei, eine starke Tradition
Beim Wort «Sklave» denkt man zuerst sicher an Nord- und Südamerika und an die Karibik. An den berüchtigten «Dreieckshandel» zwischen Europa, Afrika und der Neuen Welt.
Dabei vergisst man leicht, dass es die Vorstellung, Menschen besitzen zu könenn, schon immer gab, in der Schweiz wie im übrigen Europa. Man muss nicht einmal bis in die Antike zurückgehen.
«Im 9. Jahrhundert wurden in Walenstadt Sklaven und Pferde getauscht. Und um das Jahr 1000 waren Bard (I), Bellinzona und Chiavenna Handelsplätze für Pferde, Sklavinnen und Sklaven, Tücher, Stoffe, Textilien aus Hanf, Zinn und Gewürze», wie im historischen Lexikon der Schweiz nachzulesen ist.
Und noch später brachte die Leibeigenschaft, die vererbbar war, die Leibeigenen in eine vollständige juristische, soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit von ihren Herren …
Der abscheuliche Menschenhandel vom 17. bis zum 19. Jahrhundert war also eine Art monströser Gipfel einer bestens etablierten Tradition.
Aufgeklärte Geister, hier wie anderswo
In Frankreich sprach man ab dem 18. Jahrhundert erstmals von der Abschaffung der Sklaverei. Zuerst waren es die Philosophen (allen voran Montesquieu, aber auch Voltaire), während der Revolution dann auch die Politiker (Mirabeau, Condorcet).
Die Sklaverei, in den französischen Kolonien durch die Verfassung verboten, wurde 1802 von Bonaparte neu eingeführt und erst 1848, dank Victor Schœlcher, definitiv abgeschafft.
Die Schweiz war an der Ausbeutung der Schwarzen beteiligt, das ist unbestreitbar. Eine Entschuldigung gibt es für sie genau so wenig wie für die anderen europäischen Händler. Aber es wäre ungerecht, wenn man sich nun in bekannter helvetischer Manier in Selbstbeschuldigungen ergehen und die aufgeklärten Geister schweigend übergehen würde, die sich auch hier gegen diese Barbarei auflehnten.
So wandte sich der Waadtländer Pfarrer Benjamin-Sigismond Frossard 1789 in seiner Schrift «La Cause des ecsclaves négres» gegen die Sklaverei. Ab 1828 trat die Basler Mission in Ghana gegen den Sklavenhandel ein, gefolgt von Henri Dunant, dem Gründer des Roten Kreuzes, 1857.
Die Gegenwart als Richter der Vergangenheit?
Jeder Historiker weiss es: Das Verhalten der Vergangenheit kann nicht mit den moralischen Werten der Gegenwart gemessen werden. Der Handel mit Schwarzen galt lange Zeit als vollständig respektabel.
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aber erhoben sich wie gesagt die ersten Stimmen für eine Abschaffung des Sklavenhandels. Nun kann dessen Akzeptanz nicht mehr einfach als «normal» betrachtet werden. Naivität ist nicht mehr entschuldbar. «Es gab aber», so Fässler, «zur Zeit, als andere Länder den Handel mit Schwarzen aufgegeben hatte, in Surinam noch immer Plantagen unter Schweizer Leitung.»
Die Verbindungen der Schweiz des 18. Jahrhunderts zum Menschenhandel gingen auf Einzelne und nicht auf eine nationale oder kantonale Politik zurück. Müssen sich also die Institutionen Fragen zu dieser Vergangenheit stellen?
«Für mich ist das weder eine nationale noch eine individuelle Frage. Ich möchte es vom europäischen Standpunkt aus sehen. Das heisst, der Sklavenhandel war ein wirtschaftliches System, das in ganz Europa anzutreffen war, und niemand kann sagen, dass er nicht dazu gehörte», findet Fässler.
Ein Aufschrei
Zum Schluss erinnern wir an die Äusserungen von Frantz Fanon aus Martinique, der in «Les damnés de la Terre» (1961) schrieb:
«Europa hat buchstäblich die Dritte Welt geschaffen. Seine Reichtümer wurden den unterentwickelten Völkern gestohlen. Die Häfen Hollands, die Docks von Bordeaux und Liverpool, die auf den Handel mit Schwarzen spezialisiert waren, verdanken ihren Ruf den Millionen verschleppter Sklavenmenschen.»
Über den Zorn und vielleicht den Übereifer hinaus ein Aufschrei, ein Schmerz, für den die Menschen in der Schweiz nun ebenfalls gerade stehen müssen.
Denn ob es den Isolationisten passt oder nicht, die Schweiz ist und war immer ein Teil der Welt. Auf Gedeih und Verderb mit ihr verbunden.
swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
– Toussaint Louverture, erster haitianischer Unabhängigkeitsführer, starb am 7. April 1803 im Fort de Joux, nahe der französisch-schweizerischen Grenze.
– Zwei Jahrhunderte später ehrt in Frankreich, ebenso der St. Galler Politiker und Kabarettist Hans Fässler.
– Dieser befasst sich anschliessend mit den Verbindungen der Schweiz zur Sklaverei, vor allem im 17. und 18. Jahrhundert.
– Die Feststellung dieser Tatsache führte dazu, dass Schweizer Politiker und Politikerinnen mehrere parlamentarische Vorstösse auf Bundes- und Kantonsebene einbrachten.
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