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Skrupellose Trickbetrüger hauen Senioren übers Ohr

Das Telefon dient den Banden als "Tatwaffe". RDB/Cash/Andreas Eggenberger

Immer mehr Senioren gehen so genannten Enkeltrick-Betrügern auf den Leim, die sich am Telefon als Bekannte oder Verwandte ausgeben und grosse Geldsummen ergaunern. Rund 5,5 Mio. Franken wurden so im letzten Jahr in der Schweiz erbeutet.

Die wahre Schadenssumme dürfte jedoch um ein Vielfaches höher sein, da viele Fälle gar nicht gemeldet würden, sagt Rudolf Mäder, der Leiter des Dezernats für Betrugs- und Wirtschaftskriminalität des Kantons Bern gegenüber swissinfo.ch.

Insgesamt seien 100 Betrugsfälle und rund 600 Versuche gemeldet worden, so Mäder.

Im Visier der Betrüger stünden alte Leute, wie Mäder sagt. Die Täter telefonieren elektronische Telefonbücher ab, sie kontaktieren täglich Hunderte von Personen. «Sie suchen nach altmodisch klingenden Vornamen wie Gertrud, Elsa oder Berta.»

Trick mit finanzieller Notlage

In den letzten zwei Jahren häuften sich die Fälle von Enkeltrick-Betrügern. Das klassische Szenario: Ein Betrüger ruft von einem polnischen Prepaid-Handy aus an.

Die Anrufer stellen Suggestiv-Fragen, fragen ob man Verwandte oder Bekannte in Deutschland habe, wie Mäder sagt. Werde ein Name genannt, würden sie vorgeben, die genannte Person zu sein.

Am Telefon erzählen die Betrüger jeweils, dass sie sich in einer Notlage befänden und finanzielle Unterstützung für einen Haus- oder Wohnungskauf benötigten.

Sie bräuchten das Geld auf die Schnelle, seien schon beim Notar, heisst es dann etwa. Und sie versprechen, die geliehene Summe zurückzuzahlen. Das potenzielle Opfer wird mehrmals pro Stunde angerufen und teilweise unter massiven Druck gesetzt.

Geht der Angerufene auf die Betrüger ein, fahren Logistiker die Geldabholer in dessen Nähe. Die Anrufer rufen ihr Opfer noch einmal an und sagen, dass sie das Geld nicht persönlich abholen könnten und jemand anderes schicken würden.

Kontakt mit Vermittlern im Ausland

Nach der Geldübergabe folgt das grosse Schweigen. «Die Leute beginnen über das Geschehene nachzudenken, doch dann ist es meistens schon zu spät», sagt Mäder.

So haben die Enkeltrick-Betrüger kürzlich einen 71-jährigen Mann in Unterägeri im Kanton Zug um 145’000 Franken erleichtert – obwohl er von einem Bankangestellten gewarnt wurde.

Laut der Polizei handelt es sich bei der gut organisierten internationalen Bande um Fahrende deutsch-polnischer Abstammung. Die Täter schlagen auch in Österreich und Deutschland zu.

Die nationale Koordinationsstelle, welche die Kantonspolizeien vor einem Jahr eingerichtet haben, steht in Kontakt mit Ermittlern im Ausland. Während Polen nach der Bande ermittelt, sucht die Schweiz nach den Geldabholern.

Dabei ist der Handlungsspielraum von Banken und Geldinstituten begrenzt: «Ältere Personen sollten jederzeit selbst über ihr Geld verfügen können», so Alex Josty, Mediensprecher von Postfinance, gegenüber swissinfo.ch.

Bei einem ungewöhnlich hohen Geldbezug würden jedoch die Angestellten nach dem Grund fragen und die Kunden über potentielle Betrüger aufklären.

Opferbereitschaft und Pflichtbewusstein

Weshalb lassen sich ältere Personen von den Betrügern so unter Druck setzen? Dafür gibt es verschiedene Gründe, wie Psychologin Nicole Rach von den gerontopsychiatrischen Tageskliniken und Ambulatorien in Olten und Solothurn gegenüber swissinfo.ch sagt.

Eine Rolle spiele das soziale Wertesystem der älteren Generation, das namentlich eine grosse Opferbereitschaft, ein ausgeprägtes Pflicht- und Höflichkeitsbewusstsein beinhalte und den Willen, niemanden zu enttäuschen, so Rach.

Ein weiterer Grund sei geringes Selbstbewusstsein. Ältere Leute hätten häufig Hemmungen zu sagen, dass sie sich an jemanden nicht erinnern könnten oder glauben selbst, dass sie vielleicht Gedächtnisprobleme hätten. Auch Einsamkeit könne ein Risikofaktor sein.

Bei älteren Menschen mit Demenz, die in frühem Stadium vielleicht noch nicht diagnostiziert wurde, sei zudem das Urteilsvermögen beeinträchtigt, so Rach. Bei Verdacht auf Demenz sollte reagiert werden.

Tipps gegen Betrüger

Gegen Betrügereien helfen könne auch ein gutes soziales Netzwerk. Die soziale Kompetenz könne auch mit Übungen gestärkt werden, in denen die Leute lernten, Nein zu sagen.

Der Enkel-Trick sollte zudem in der Familie thematisiert werden, rät Rach weiter. «Scheint eine ältere Person diesbezüglich gefährdet, kann abgemacht werden, dass diese sich meldet, bevor sie jemandem Geld gibt.»

Weiter rät Rach, am Telefon nicht über Geld zu sprechen und Geldbeträge nicht persönlich auszuhändigen, sondern per Überweisung. Im Zweifelsfall solle man am Besten das Telefon aufhängen.

«5,5 Millonen Franken wurden innerhalb eines Jahres erbeutet, das ist eine grosse Summe – Ersparnisse von älteren Leuten, die diesen später fehlen könnten», betont Mäder.

Isobel Leybold-Johnson, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Im Baselbiet treiben erneut Enkeltrick-Betrüger ihr Unwesen. In drei Fällen ergaunerten sie in den letzten Tagen insgesamt 265’000 Franken, wie die Baselbieter Polizei Anfang September mittteilte.

Eine 75-jährigen Frau aus Frenkendorf verlor auf diesem Weg 160’000 Franken. Das Geld übergab die Rentnerin einer unbekannten Täterschaft in mehreren Tranchen, wie ein Polizeisprecher sagte.

Erfolg hatten Enkeltrick-Betrüger diese Woche auch in Arlesheim, wo sie einem Ehepaar 100’000 Fr. abknöpften.

In einem weiteren Fall in Liestal betrug die Beute 5000 Franken. Die Polizei schliesst nicht aus, dass die Betrügereien von einer grösseren Gruppierung koordiniert und landesweit begangen werden.

In Unterägeri, Kanton Zug, wurde ein 71-jähriger Mann trotz Warnung durch einen Bankangestellten von Enkeltrick-Betrügern um 145’000 Franken erleichtert. Der Anrufer hatte sich als Bekannter aus Deutschland ausgegeben.

Der Mann habe erklärt, er brauche dringend Geld für den Kauf einer Schweizer Immobilie, wie die Zuger Strafverfolgungsbehörde mitteilte. Der 71-Jährige habe sich darauf auf die Bank begeben, um den geforderten Betrag abzuholen. Der Bankangestellte habe ihn mehrmals erfolglos auf die Thematik der Trickbetrüger hingewiesen.

Der 71-Jährige wollte das Geld unbedingt abheben und übergab es wenig später, wie zuvor vereinbart, einer Angestellten seines deutschen «Bekannten». Von diesem – und von seinem Geld – hörte der Betrogene danach nichts mehr.

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