Sonnentempler: Ermittlungen in der Schweiz kritisiert
Mit der Aussage eines Schweizer Polizisten über die Massentötungen der Sonnentempler-Sekte im Jahr 1994 ist am Mittwoch in Grenoble der Prozess gegen den Genfer Dirigenten Tabachnik fortgesetzt worden.
Die Staatsanwaltschaft sieht in dem 58-jährigen Michel Tabachnik einen geistigen Wegbereiter für den Tod von 16 Sektenmitgliedern Ende 1995 in den französischen Alpen.
Der Polizist Herve Joye verwies vor Gericht auf die Parallelen zwischen den beiden Dramen: Allen Opfer seien Plastiktüten über den Kopf gezogen worden. Sie seien mit Kopfschüssen getötet worden, nachdem sie zuvor ein Schlafmittel erhalten hätten.
Der Inspekteur berichtete über ein Verhör des Franzosen Jean-Pierre Lardanchet, der den Ermittlungen zufolge gemeinsam mit einem anderen Sektenmitglied 14 Sonnentempler in dem Wald bei Grenoble tötete und sich danach selbst umbrachte. Lardanchet habe nach dem Massentötungen in der Schweiz geweint und wiederholt erklärt, so etwas dürfe nie wieder passieren, erklärte Joye.
Das Drama in Frankreich verhindern
Der Anwalt der Nebenkläger, Jacques Barillon, fragte, warum Lardanchet nicht überwacht und abgehört worden sei. Er warf den Schweizer Ermittlern eine Fehldiagnose vor. Das Drama in Frankreich im darauf folgenden Jahr hätte möglicherweise verhindert werden können.
Insgesamt starben zwischen 1994 und 1997 in der Schweiz, Frankreich und Kanada 74 Sonnentempler im Untergangswahn, einige von ihnen durch eigene Hand. In Cheiry in der Schweiz entdeckte die Feuerwehr in der Nacht zum 5. Oktober in einem brennenden Bauernhaus 23 Leichen. Am darauf folgenden Morgen wurden in Salvan in einem Chalet die Leichen von 25 weiteren Sektenmitgliedern entdeckt. In der Schweiz waren drei Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Diejenigen zu Cheiry und Salvan wurden ergebnislos eingestellt.
Dem Angeklagten Tabachnik wird vorgeworfen, die Sektenmitglieder indoktriniert und in ihren Selbstmordabsichten bestärkt zu haben. Die Anklage wirft ihm Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Dem Musiker drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis und eine Geldbusse. Der Orchesterchef hat die Vorwürfe vor Gericht zurückgewiesen.
swissinfo und Agenturen
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