Steigende Fluten – Furcht in Bangladesch wächst
Die Menschen, die am Rande des weltweit grössten Mangroven-Waldes im Bezirk Satkhira in Süd-Bangladesch leben, begegnen dem Wandel des Klimas mit Resignation und Fatalismus.
Die Flut steige immer höher, Stürme würden immer stärker. «In den letzten 15 bis 20 Jahren hat sich vieles verändert, vor allem steigt das Wasser», sagt der Primarschullehrer Antu. «Jetzt müssen wie unsere alte Strasse höher legen.»
Im Mai fegte der Zyklon Aila über sein Dorf Jhapa und andere in der Umgebung hinweg. Tausende von Häusern wurden zerstört, Millionen Menschen waren betroffen.
Nur wenig südlich liegen die Sundarbans, ein riesiger Mangrovenwald, der sich bis Indien erstreckt. Der Mangrovenwald bildete eine natürliche Pufferzone zwischen Satkhira und dem Golf von Bengalen.
Doch der letzte Zyklon liess viele der Flüsse im Delta über die Ufer treten, riss Fisch- und Garnelen-Farmen mit sich. Zudem wurden die Reisfelder mit Salzwasser verunreinigt.
Der Schaden an Antus Haus belief sich auf 70’000 Taka, umgerechnet rund 1000 Franken. Die meisten Menschen im Dorf leben in Lehmhütten mit Blechdächern. Bei einigen reicht es nicht für mehr als mit Planen bedeckten Unterkünften. Der Hindu-Tempel blieb beim letzten Zyklon verschont.
Bleiben oder gehen?
Einige der etwa 700 Familien denken daran, den Ort zu verlassen. Sie sorgen sich, dass ihre Lebensgrundlage erneut hinweggefegt wird, doch noch sind sie hier. Dank einem Programm der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) sollen sie wieder zu Arbeit kommen.
Die Deza unterstützt jeden Haushalt mit 15’000 Taka (225 Franken). Das Geld ist als Investition in Aktivitäten wie Garnelen-Farmen oder Fischerei gedacht, und soll helfen Einkommen zu generieren.
«Es ist wichtig, Gemeinden, vor allem arme Gemeinden, zu stabilisieren, ihnen zu helfen, die Folgen des Klimawandels abzufedern», erklärt Urs Herron, Schweizer Botschafter in Dhaka. Herron leitet auch das Deza-Büro in Bangladesch.
Bangladesch ist ein Deza-Schwerpunktland und eines der weltweit acht Pilot-Länder, in denen die Deza ihre Aktivitäten systematisch darauf ausrichtet, wirtschaftliche Verluste zu verringern, die Naturkatastrophen nach sich ziehen.
“Das Thema der Anpassungsmassnahmen zur Verringerung der Folgen des Klimawandels ist noch relativ neu. Noch vor drei, vier Jahren wurde darüber kaum gesprochen», sagt Herron.
Die Deza strukturiert ihre Kooperationsstrategie mit dem traditionellen Fokus auf Armutsbekämpfung. Dazu gehören Diversifikation beim Pflanzenanbau, Handwerker-Ausbildungen, Gouvernanz (Entwicklung einer guten lokalen Regierungsführung) sowie der Marktzugang für die ländliche Bevölkerung.
Dammaufschüttungen
Die Dorfbewohner bewegen sich auf Lehm-Dämmen, die unter der heissen Sonne trocknen und fast so hart wie Backstein werden. Die Dammkonstruktionen unterteilen und schützen auch die Reisfelder und die Garnelen-Farmen. Die Menschen erhöhen die Siedlungen, indem sie jedes Jahr mehr Lehm auftragen.
Als die Sturmfluten des Zyklons Aila über die Dämme hinwegfegten, brachte das auch die Salzbalance durcheinander. Die Dämme halten nicht nur weniger gut, wenn sie vermehrt Salzwasser ausgesetzt sind, sie sind auch schwieriger wieder aufzubauen.
Die heutigen Dammkonstruktionen in Jhapa sind nicht ausreichend. Sie sind nicht stark genug, zudem ist die oberste Schicht oftmals noch weich. Bei einigen sind ganze Stücke herausgebrochen.
Für die Auszahlung der Unterstützungsgelder wird die Deza mit
Rupantar zusammen arbeiten, einer Nichtregierungs-Organisation aus Bangladesch. Wie die Verteilung erfolgen wird, ist noch offen, aber die Schweizer Delegation weist die Menschen im Dorf schon heute darauf hin, mit dem Geld sorgsam umzugehen.
Sie können es zum Wiederaufbau einer Garnelen-Farm verwenden, zum Kauf eines Fischerbootes oder für eine andere Investition. Ziel ist es, mit der Investition eine eigene Einkommensquelle zu schaffen.
Der Entscheid über die Verwendung des Geldes liegt bei den einzelnen Haushalten. Die Deza erklärt, sie stosse mit diesem Ansatz, den sie als erste eingeführt habe, auf positive Reaktionen.
Wiederaufbau im Gang
Der Salzgehalt im Wasser sei im Verlauf der letzten 20 Jahre immer mehr gestiegen, erklärt Rafiqul Islam, Mitgründer von Rupantar. Das Trinkwasser der Quelle sei mittlerweile salzig. Schon vor mehr als zehn Jahren hätten viele Bauern den Reisanbau aufgegeben und setzten nun auf die Aufzucht von Salzwasser-Garnelen.
“Ein Reisfeld hatte auch Arbeit für viele der armen Leute bedeutet. Die Garnelen-Zucht hingegen ist viel weniger arbeitsintensiv», unterstreicht Islam.
«Ein Bauer verdient mit den Garnelen gutes Geld, aber die Taglöhner haben keine Arbeit mehr. Einige Menschen können pro Jahr nur etwa hundert Tage arbeiten.»
Als die Schweizer Delegation die Dörfer besuchte, waren einige Leute mit dem Wiederaufbau der Dämme beschäftigt. Die Männer schuften hart und verdienen pro Tag weniger als zwei Dollar. Doch sie schätzen sich glücklich, Arbeit zu haben.
“In den meisten Küstengebieten ist es so, dass die lokale Bevölkerung zu Grunde geht, wenn die Dämme nicht halten», sagt Islam.
Justin Häne, Jhapa, Bangladesch, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
Bangladesch wird zum grössten Teil von Indien umschlossen, im Südosten stösst es an Myanmar, im Süden an den Golf von Bengalen. Mit einer Bevölkerung von 162 Millionen Menschen gehört es zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt.
Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf liegt bei 520 Dollar, Tendenz steigend. Im letzten Jahrzehnt ist die Armut deutlich gesunken.
Bangladesch gilt als eines der Länder, die vom Klimawandel am stärksten bedroht sind.
Die Niederfälle der Monsunsaison setzen jeweils grosse Teile des Landes unter Wasser; im Süden verschwindet immer mehr Land im Golf von Bengalen.
Im November 2007 verursachte der Wirbelsturm Sidr mit Flutwellen von bis zu drei Metern Höhe schwere Schäden. Rund 10’000 Menschen kamen ums Leben.
Im Mai 2009 traf der Wirbelsturm Aila vor allem die Südküste und überschwemmte auch die Sundarbans, die Mangrovenwälder, in denen auch 265 der bedrohten Bengalischen Tiger leben.
Bangladesch gehört zu den 13 Schwerpunktländern der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit und wird pro Jahr mit 15 Mio. Franken unterstützt.
Die gegenwärtige Kooperationsstrategie für das Land läuft von 2008-2012, danach wird sie überprüft.
Die Deza-Programme werden je nachdem von den Deza-Büros, von Schweizer Hilfswerken oder in Zusammenarbeit mit Gruppen aus der jeweiligen nationalen Zivilgesellschaft durchgeführt.
Die Programme konzentrieren sich auf Themen wie nachhaltige Landnutzung, Agroforstwirtschaft, Bildung, lokale Gouvernanz sowie Wiederaufbau in Regionen, die von Fluten und Wirbelstürmen zerstört wurden.
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