Sterbehospiz mit ungewisser Zukunft
Seit zehn Jahren verbringen AIDS-kranke Menschen ihr Lebensende im Zürcher Lighthouse.
Am Freitag feierte die Institution mit einer Benefiz-Gala ihr 10-jähriges Bestehen. Doch wie lange das Hospiz seine Arbeit noch weiterführen kann, ist ungewiss.
«HIV-positive thinking» steht auf einem Schild im Eingang des pflanzenumrankten Mehrfamilienhauses am Fusse des Zürichbergs, das 16 Betten und umfassende Begleitung in den letzten Lebensmonaten bietet.
Es herrscht keine Totenstimmung im Haus, auch wenn der Tod allgegenwärtig ist. Im Aufgang zu den oberen Stockwerken steht in einer mit Pflanzen geschmückten Ecke eine Kerze. Sie ist angezündet, ein Bewohner ist gestorben. Sein Name wurde vom Personal in ein grosses Buch geschrieben, in dem die Hausbewohner mit Worten oder Zeichnungen vom Verstorbenen Abschied nehmen können.
Langer Abschied
Die Kerze leuchtet so lange, wie der Verstorbene im Haus bleibt. «Manche Angehörige kommen zwei oder drei Mal, um sich zu verabschieden», sagt die Pflegedienstleiterin Sabine Grieder-Gomez. Je nach Zustand des Körpers können die Verstorbenen bis zu drei Tage im Lighthouse bleiben. Zeit, in der sich auch die Betreuenden von den Patienten, die sie in einer intensiven und intimen Lebensphase begleitet haben, verabschieden können.
Draussen vor der Tür klingelt das Bestattungsinstitut. Sie holen die Leiche von einem der Bewohner ab, der bis zum Schluss gehofft hatte, an der Benefiz-Gala am Freitagabend im Theaterhaus Schiffbau teilnehmen zu können. Die Tickets habe er nicht weggegeben, obwohl es ihm sichtlich sehr schlecht ging, erinnert sich die Pflegerin an den Verstorbenen. Es ist bereits der dritte Todesfall diese Woche.
Licht im Dunkel
Das Sterbe-Hospiz Lighthouse öffnete seine Tore in den dunkelsten Zeiten von AIDS, als die mysteriöse Krankheit noch rasant zum Tod führte und Menschen mit der Diagnose HIV-positiv überall abgewiesen wurden.
Mehr als 240 Aids-kranke Menschen starben seit 1992 im Zürcher Lighthouse und konnten ihre letzte Lebensphase im Hospiz begleitet und bewusst angehen. Im Lighthouse ist Sterben kein medizinischer Misserfolg, sondern ein Teil des Lebens.
«Wir sind in der Schweiz noch zu stark darauf fixiert, dass Medizin heilen muss. Wir haben verlernt, mit dem Gedanken umzugehen, dass dies auch nicht so sein kann», sagt Reinhard Baumann, ärztlicher Leiter des Lighthouse, gegenüber swissinfo.
Angst vor dem Sterben
«Das Sterben ist uns in der Schweiz fremd geworden, die Leute und die Mediziner haben Angst davor.» Die Palliativ-Medizin stecke in der Schweiz und insbesondere im deutschsprachigen Landesteil noch in den Kinderschuhen, «die Palliativ-Medizin gehört nicht zur Ausbildung der Ärzte».
Während Sterbe-Hospize in der West-Schweiz, so zum Beispiel in La Chaux-de-Fonds oder im waadtländischen Villeneuve, mit einem klaren Auftrag des Kantons arbeiten, steht das Zürcher Lighthouse bei seinem 10-jährigen Jubiläumsfest vor einer sehr unsicheren Zukunft. «Ein richtiger Auftrag fehlt uns», sagt Baumann, dennoch will das Lighthouse als «wichtiges und nötiges Element im Gesundheitswesen funktionieren».
Im Gegensatz zum Spital könnten die Angehörigen in einem Sterbehospiz aktiv integriert werden. Gerade beim Einbezug der Angehörigen habe die Schweiz im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Italien und Spanien ein Defizit, sagt Baumann. «Das Thema Sterben hat im Alltag des Spitals zu wenig Platz, das Spital hat einen anderen Auftrag, es ist eine Heil-Anstalt.»
Auch Krebspatienten willkommen
Die Menschen, die im Lighthouse aufgenommen werden, haben eine klare Diagnose, ihre Lebenserwartung beträgt noch wenige Wochen. Seit 1996 nimmt das Lighthouse auch Menschen mit anderen unheilbaren Krankheiten auf, insbesondere leben und sterben im Hospiz viele junge Krebspatienten.
Die Öffnung wurde möglich, weil HIV-Betroffene dank neuen Kombinationstherapien mit der Krankheit leben können. Das Know-how, welches das Lighthouse bei der Betreuung und Begleitung von Todkranken AIDS-Patienten erarbeitet hatte, sollte auch anderen Menschen zu Gute kommen. «Wir haben vor allem jüngere Menschen, die noch nicht bereit sind zum Sterben», erklärt Hospiz-Leiter Mario Odoni.
Offene Zukunft
Trotz oder gerade wegen der veränderten Situation im Verlauf der AIDS-Krankheit und der Öffnung des Hospizes auch für andere unheilbar kranke Menschen steht das Lighthouse heute vor einer unsicheren Zukunft.
Denn Unterstützung von Kanton und Bundesamt für Sozialversicherung erhält das Sterbehospiz nur für die AIDS-Patienten. Auch die Spenden fliessen heute nicht mehr richtig, wo das Thema AIDS für viele nicht mehr so zentral ist.
«Der Betrieb ist auf dieser finanziellen Basis in Zukunft nicht gewährleistet», betont der ärztliche Leiter Reinhard Baumann. Dennoch habe ihm die Erfahrung aus der Betreuung von sterbenden Menschen gezeigt, dass «das, was wir machen, einem Bedürfnis der Bevölkerung entspricht.»
swissinfo, Anita Hugi
Bisher sind in der Schweiz 7402 Menschen an AIDS gestorben.
Die HIV-Ansteckungen nehmen seit 2001 wieder zu.
Das Zürcher Hospiz wurde 1992 gegründet.
Das erste Schweizer Lightouse-Hospiz entstand 1989 in Basel.
Seit 1992 betreute das Lighthouse Zürich 240 Aids-Kranke bis zum Tod.
Seit 1996 werden auch andere unheilbar kranke Menschen betreut, insbesondere junge Krebspatienten.
1998 schloss das andere Zürcher AIDS-Hospiz Anker-Huus seine Toren.
Sinkende Spenden, ein anderer Krankheitsverlauf sowie ein fehlender kantonaler Auftrag stellen das Lighthouse vor eine unsichere Zukunft.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch