Steuerparadiese: Die Städte schlagen zurück
Die Städte Winterthur, St. Gallen, Schaffhausen und Zürich haben ihre Beiträge an finanzschwache Gemeinden in den Kantonen gestrichen, die Steuererleichterungen für Superreiche gewähren.
Der Kanton Zürich hat auch schon einen derartigen Schritt erwogen, schliesslich aber darauf verzichtet.
Die gestrichenen Beträge sind zwar nicht sehr hoch (80’000 Franken von den Städten Winterthur, St. Gallen und Schaffhausen, 500’000 von Zürich) und betreffen bisher nur drei Kantone, nämlich Obwalden, Schaffhausen und Appenzell-Ausserrhoden.
Die Ende August beschlossene Massnahme der Städte ist indessen eher symbolisch zu verstehen: als Warnschuss vor den Bug weiterer Kantone, die mit degressiven Steuern Superreiche ködern wollen.
Aufwind für die Gegner
Mittlerweile hat die Ausserrhoder Regierung bereits eine Kehrtwende bei der Ausgestaltung des Steuergesetzes vollzogen: Sie verzichtet auf die Einführung degressiver Steuern und will stattdessen die Gewinnbesteuerung von Unternehmen durchgehend senken.
Der Entscheid überrascht, weil das Volk im Mai ein Steuergesetz angenommen hatte, das für hohe Einkommen sinkende Steuertarife vorsah. Das Gesetz wurde aber vom Bundesgericht annulliert, weil es an die Verwendung des Nationalbankgoldes gekoppelt war.
Der kampflose Verzicht der Ausserhoder Regierung auf Steuererleichterungen für Reiche gibt Gegnern der degressiven Systeme Auftrieb. Am 26. November stimmt das Aargauer Volk über ein ähnliches Projekt ab.
«Endlich sagt jemand etwas»: Das sei die von ihm am meisten gehörte Reaktion der Leute auf den Entscheid der Stadt Winterthur zur Streichung der Beiträge, sagt der sozialdemokratische Stadtpräsident Ernst Wohlwend. «Es geht doch nicht, dass diese Kantone bewusst ihre Einnahmen kürzen und darauf hoffen, dass ihre finanzschwachen Gemeinden auswärtige Hilfe erhalten», so Wohlwend zu swissinfo.
«Unterstützung für Rolls Royce»
Der Kampf gegen degressive Steuern ist nicht parteiengebunden: Die Finanzdirektorin von Winterthur ist, wie auch ihr Amtskollege von der Stadt Zürich, Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), und beide unterstützen die Streichungsmassnahme.
Sie betonen, dass die städtischen Zentren teure Infrastrukturkosten bezahlten, von denen die benachbarten Kantone profitierten. Der Zürcher Finanzdirektor Martin Vollenwyder erklärte wörtlich: «Das ist, wie wenn ich das Benzin für den Rolls Royce meines Nachbarn bezahlen müsste.»
Die betroffenen Kantone haben ziemlich verärgert reagiert. In der NZZ, der Neuen Zürcher Zeitung, erklärte der Sekretär des Obwaldner Finanzdepartements, die Massnahme der Städte sei «ungerecht», denn der Kanton wolle nur «seine Rahmenbedingungen verbessern».
Schaffhausen gegen Schaffhausen
In Schaffhausen musste der Stadtpräsident vor Abgeordneten des Grossrates, des Kantonsparlamentes, den städtischen Entscheid rechtfertigen, obwohl er an der entsprechenden Sitzung am 30. August nicht dabei gewesen war.
Allerdings hat der Kanton Schaffhausen nicht viel zu befürchten: Er hat noch nie Beiträge von den vier streitbaren Städten erhalten. Die Kantone Obwalden und Appenzell-Ausserhoden dagegen schon. «Für den Moment haben wir allerdings keine degressiven Steuern mehr», sagt Joe Müggler, Generalsekretär des kantonalen Finanzdepartements in Herisau, dem Hauptort des Kantons Appenzell AR. Damit spielt er auf den Entscheid des Bundesgerichtes an, der die Abstimmung über die Einführung des neuen Steuersystems annulliert hat.
Dennoch kritisiert Müggler die «Rache» der Städte: «Rund 40 Prozent unserer kantonalen Angestellten leben in der Stadt St. Gallen und bezahlen dort Steuern. Und wir unterstützen finanziell das Theater und den öffentlichen Verkehr der Stadt.»
Der Kanton Zürich zögert
Die vier Städte haben beinahe gewichtige Unterstützung erhalten: Der Kanton Zürich erwog auch Schritte gegen die Steuerparadiese. «Wir haben aber darauf verzichtet, erklärt Daniel Wettstein, Generalsekretär der Finanzdirektion. «Denn wir hätten damit die falschen Personen bestraft.»
Deshalb habe sich der Kanton an der Finanzierung der Renovation eines Klosters im Kanton Obwalden beteiligt. «Diese Nonnen sind ja nicht verantwortlich für die degressiven Steuern», so Wettstein.
Das Zürcher Kantonsparlament wird demnächst das Gesetz über die In- und Auslandhilfe verlängern. Bei dieser Gelegenheit könnte die Frage einer möglichen «Bestrafung» der Kantone mit degressiven Steuern wieder auftauchen.
swissinfo, Ariane Gigon Bormann, Zürich
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)
Schaffhausen war der erste Kanton der Schweiz, der 2004 ein degressives Steuersystem einführte, das Reiche prozentual weniger stark belastet als Ärmere.
Im Halbkanton Obwalden stimmte das Volk im Dezember 2005 einem ähnlichen System zu, 2006 folgte der Kanton Appenzell-Ausserhoden. Dieses Steuersystem zur Begünstigung der Reichen löste landesweit Proteste aus.
Das Bundesgericht hat die Abstimmung in Appenzell AR aus formellen Gründen für ungültig erklärt. Weitere Rekurse in Sachen degressive Steuern sind beim Bundesgericht noch hängig.
Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) hat die Lancierung einer Volksinitiative «Für gerechte und faire Steuern – Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb» beschlossen.
Zahlreiche Kantone und Gemeinden in der Deutschschweiz wählen jedes Jahr Projekte aus, die sie im Rahmen der «Inlandhilfe», einer Art Entwicklungshilfe in der Schweiz, finanziell unterstützen. Analog dazu gibt es eine «Auslandhilfe» von Kantonen und Gemeinden.
Bei der «Inlandhilfe» handelt es sich meist um Infrastrukturprojekte in finanzschwachen Gemeinden, generell in Berggemeinden, um die Abwanderung einzuschränken.
Die Gebergemeinden bezahlen diese Projekte mit Geldern des laufenden Budgets, während die Deutschschweizer Geberkantone dazu die Gelder aus den kantonalen Lotteriefonds verwenden. Auch die Loterie romande unterstützt derartige Projekte, aber nur in den Kantonen des entsprechenden Fonds, oder dann interkantonale Projekte in der Romandie.
Die Stadt Zürich gewährt 500’000 Franken jährlich für Beiträge an finanzschwache Gemeinden, Winterthur, St. Gallen und Schafhausen zusammen 80’000 Franken. Der Kanton Zürich seinerseits bezahlt 3 Millionen Franken pro Jahr.
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