Steuerrabatte für Reiche sind verfassungswidrig
Das Steuersystem des Kantons Obwalden mit degressiven Tarifen für Reiche verstösst gegen die Bundesverfassung. Dies hat das Bundesgericht entschieden.
Von Linken und Grünen wird der Entscheid als Sieg für die Steuergerechtigkeit begrüsst. Bürgerliche kritisieren, das Gericht greife in den Steuerwettbewerb ein.
Stein des Anstosses sind die Steuersätze für die Reichen. Bei Einkommen über 300’000 Franken und Vermögen über 5 Millionen Franken sollte die Steuerbelastung nicht mehr proportional ansteigen, sondern sinken. Degression statt Progression, heisst das.
Die Obwaldner Regierung habe vom Entscheid des Bundesgerichtes Kenntnis genommen und unterziehe sich dem Entscheid, heisst es in einer ersten Stellungnahme vom Freitag. Sie wolle dem Kantonsparlament möglichst bald eine Anpassung des Steuergesetzes unterbreiten.
Weil das Bundesgericht den betreffenden Artikel des Obwaldner Steuergesetzes aufgehoben hat, fehlt für die Steuerveranlagung 2006 einstweilen eine gesetzliche Grundlage. Die Regierung will nun rechtliche Sofortmassnahmen prüfen, um neue, verfassungskonforme Steuertarife zu erlassen.
Beschwert hatten sich drei in Obwalden wohnhafte Personen, sowie der Waadtländer Josef Zisyadis, Nationalrat der Partei der Arbeit (PdA), der kurzfristig nach Obwalden übersiedelt war. Auf seine Beschwerde wurde nicht eingetreten, da er mit seinem vorübergehenden Umzug keinen steuerrechtlichen Wohnsitz in Obwalden begründet habe.
Klarer Entscheid
Der Entscheid des Bundesgerichts ist deutlich ausgefallen. Nur einer der sieben Richter hatte sich für die Zulässigkeit des Obwaldner Systems ausgesprochen.
Er berief sich dazu auf die wahrscheinlich bloss vorübergehende Geltung der degressiven Tarife und das Interesse des Kantons zur Verbesserung seiner Finanzlage.
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Bundesgericht
Steuerwettbewerb bleibt
Laut dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) ändert der Entscheid des Bundesgerichts nichts am Steuerwettbewerb in der Schweiz.
Der Bundesrat unterstütze nach wie vor die Bestrebungen von strukturschwachen Kantonen, sich mit innovativer Politik die finanzielle Autonomie zu sichern. Föderalismus und Steuerwettbewerb seien weiterhin wesentliche Elemente der Schweizerischen Identität und stärkten die internationale Standortattraktivität.
Den heute gefällten Entscheid gelte es aber zu respektieren und umzusetzen. Das EFD erinnerte jedoch auch daran, dass der Bundesrat das degressive Steuermodell, wie es Obwalden eingeführt hatte, für die direkte Bundessteuer von Anfang an ablehnte.
Unterschiedliche Reaktionen
Die Sozialdemokratische Partei (SP) zeigte sich am Freitag glücklich über den Entscheid des Bundesgerichts. Die Lausanner Richter hätten ein gut fundiertes Urteil gefällt, das für die rechte Steuerpolitik eine Ohrfeige bedeute.
Sehr erfreut, aber nicht sehr überrascht, zeigte sich die Grüne Partei. Das Gericht habe gar nicht anders entscheiden können, die Bundesverfassung halte deutlich fest, dass die Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfolgen müsse.
Dem widerspricht die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP). Nach ihrer Ansicht hat das Bundesgericht den Steuerwettbewerb und die kantonale Steuerautonomie torpediert. Dadurch werde die Stellung der Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb geschwächt und der Wille der Obwaldner Bevölkerung missachtet.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) zeigte sich besorgt, dass sich das Bundesgericht «immer mehr in die Politik einmischt und die Verfassung zunehmend neu auslegt». Um den «Fehlspruch» zu korrigieren, werde die Partei in der Sommersession einen Vorstoss für eine Verfassungsänderung einreichen.
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) wertet das Urteil als Beweis, dass die Institutionen funktionieren und einen gerechten Steuerwettbewerb gewährleisten.
Für Josef Zisyadis ist das Urteil ein wichtiger Sieg. «Wir haben im Steuerkannibalismus zwischen den Kantonen die Bremse gezogen», sagte er nach der Urteilsverkündung in Lausanne.
swissinfo und Agenturen
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Steuersystem
Im Dezember 2005 hatte eine Mehrheit 86% des Obwaldner Stimmvolks einer degressiven Steuer ab einem Einkommen von 300’000 Franken pro Jahr und einem Vermögen von mindestens 5 Mio. Fr. zugestimmt. Nach dem Urteil muss der Kanton Obwalden das Steuergesetz neu anpassen.
Josef Zisyadis, Nationalrat der Partei der Arbeit (PdA), hatte Anfang 2006 seinen Wohnsitz in die Gemeinde Sachseln verlegt, um gegen das Steuergesetz des Halbkantons Beschwerde zu führen.
Die Richter hatten Zisyadis jedoch die Beschwerdelegitimation aberkannt, weil er nie wirklich einen steuer- oder zivilrechtlichen Wohnsitz in Obwalden gehabt habe. Hingegen wurde die Beschwerde von drei Einwohnern akzeptiert.
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