Steuerskandal: Gefahr für Schweizer Bankgeheimnis?
Seit der Chef der Deutschen Post unlängst über eine Steuerhinterziehungsaffäre gestolpert ist, spricht Deutschland vom grössten Steuerskandal aller Zeiten. Die Schweiz schaut vorerst zu.
Hunderte, auch hochrangige Persönlichkeiten, sind im Visier der Behörden, Liechtenstein steht in der internationalen Kritik. Und die Frage steht im Raum: Kommt auch die Schweiz unter Druck?
«Zu diesen Verfahren können wir uns nicht äussern.» Das sei eine Angelegenheit zwischen Deutschland und Finanzinstituten in Liechtenstein.
«Die Schweiz ist gemäss unserem aktuellen Kenntnisstand von diesen Ermittlungen nicht betroffen.» – So die offizielle Stellungnahme des Eidgenössischen Finanzdepartements.
«Derzeit besteht kein Bezug zur Schweiz», verlautet von Seiten der Schweizerischen Bankiervereinigung.
Christoph Schaltegger von economiesuisse hält gegenüber swissinfo fest: «Sachlich besteht kein Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Deutschland und dem Steuerstreit zwischen der Schweiz und der EU.»
Beim Steuerstreit gehe es um die Besteuerung von Holdings, bei der Steueraffäre hingegen um natürliche Personen.
«Wir können jedoch nicht ausschliessen, dass die Steueraffäre atmosphärisch eine Rolle spielen und den Steuerstreit emotional aufheizen könnte.»
Schaltegger weist zudem darauf hin, dass die Schweiz aufgrund des Zinsbesteuerungs-Abkommens mit der EU im Jahr 2007 mehr als 100 Millionen Franken an den deutschen Fiskus überwiesen hat.
Lediglich Vermutungen
Bis jetzt liegen keine offiziellen Informationen vor, ob deutsche Steuersünder über Liechtensteinische Stiftungen ihr Geld auch in der Schweiz deponiert haben.
Experten gehen jedoch davon aus, dass ein Teil der Gelder auf Schweizer Konten landete. «Bei Schweizer Banken lagern Schwarzgelder in Milliardenhöhe», vermutet etwa der Hamburger Strafrechtsprofessor und Verfasser einer Studie über die Risiken von Schwarzgeldern für den Finanzplatz Schweiz, Erich Samson.
Es sei möglich, dass der deutsche Nachrichtendienst BND auch in der Schweiz verdeckte Ermittlungen führe. Die Justiz habe gar keine andere Wahl, als Delinquenten zu verfolgen, sobald es Hinweise gebe.
Die Bochumer Staatsanwaltschaft will zur Frage von «Cash Daily», ob deutsche Fahnder auch in der Schweiz ermitteln, nicht Stellung nehmen.
Keine Rechtshilfe
Der Schweizer Michael Lauber, Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbandes, weist auf die engen Verbindungen zwischen Liechtenstein und der Schweiz hin und folgert: «Das Geld, das in liechtensteinischen Stiftungen angelegt ist, kann auch in der Schweiz oder in andern Ländern liegen.»
In Liechtenstein und in der Schweiz ist Steuerhinterziehung, also das Nichtdeklarieren von Einkünften kein Straftatbestand, sondern lediglich eine Übertretung. In der EU indessen wird auch Steuerhinterziehung geahndet.
Steuerbetrug, also das Fälschen von Urkunden, ist auch in der Schweiz strafbar. Bei Steuerbetrug leistet die Schweiz andern Ländern Rechtshilfe, nicht aber bei Steuerhinterziehung.
Internationaler Druck
Diese Unterscheidung sorgt im In- und Ausland immer wieder für Diskussionen. Die Befürworter argumentieren, es entspreche einer schweizerischen Tradition, wenn das Bankgeheimnis lediglich bei Steuerbetrug gelüftet werde.
Die sozialdemokratische Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer hingegen argumentiert: «Dass wir nur bei Steuerbetrug Rechtshilfe leisten, wird im Ausland nicht verstanden. Dessen müssen wir uns bewusst sein.»
Auch international wächst der politische Druck. Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International hat Liechtenstein Beihilfe zur Steuerhinterziehung vorgeworfen und Konsequenzen gefordert.
«Die Steuerhinterziehung muss in Liechtenstein und der Schweiz zu einem Straftatbestand werden», sagte Vorstandsmitglied Caspar von Hauenschild von Transparency International Deutschland.
«Die Liechtensteiner und die Schweizer müssen das Bankgeheimnis für europäische Bürger aufgeben», forderte er.
Kritik der OECD
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisiert, Liechtenstein gehöre neben Andorra und Monaco zu den letzten Steuerparadiesen, die die Zusammenarbeit mit ihr und ihren Partnern zur Verbesserung der Transparenz ablehnten.
«So lange Finanzzentren die Zusammenarbeit beim Austausch von Steuerinformationen verweigern und internationale Transparenz-Standards nicht erfüllen, so lange werden Ausländer in Versuchung geführt, ihren Steuerpflichten zu entgehen», erklärte OECD-Generalsekretär Angel Gurría.
Ein «exzessives Bankgeheimnis» sei ein Relikt aus vergangenen Zeiten und dürfe in den Beziehungen demokratischer Gesellschaften keine Rolle mehr spielen.
swissinfo, Andreas Keiser
Am 14. Februar wurde der Chef der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel, verhaftet. Er wird verdächtigt, mindestens 1 Million Euro an Steuern hinterzogen zu haben.
Fünf Stunden später wurde er gegen eine Kaution auf freien Fuss gesetzt. Am Freitag gab Zumwinkel seinen Rücktritt bekannt.
Der Bundesnachrichtendienst hat laut dem deutschen Finanzminister 5 Mio. Euro bezahlt, um an brisante und geheime Unterlagen der LGT Treuhand in Vaduz über mutmassliche Steuerhinterzieher zu kommen.
Die Liechtensteiner Justiz sucht nun den Informanten der deutschen Behörden.
Seit Montag führt die deutsche Justiz in mehreren Städten Razzien gegen durch. Am Dienstag wurden die Fahnder bei einer Filiale der Schweizer Grossbank UBS in München vorstellig. Geprüft wurde ein Einzelfall.
Laut deutschen Medien befinden sich rund 1000 Personen im Visier der Behörden.
Liechtenstein wehrt sich gegen das Vorgehen der deutschen Steuerfahnder.
Das amtierende Staatsoberhaupt Liechtensteins, Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein, drohte der Bundesrepublik mit juristischen Schritten.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am Mittwoch in Berlin den liechtensteinischen Ministerpräsidenten Otmar Hasler empfangen und dort den Skandal offiziell zur Sprache bringen.
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