Strafgerichtshof soll abschrecken
Das ständige Internationale Strafgericht ist Tatsache. Die Schweiz gehört zu den Gründerstaaten. Unklar sind die Auswirkungen der US-Opposition.
Das Statut des neuen Weltgerichts, das künftig Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen soll, ist seit Montagmorgen offiziell in Kraft.
In New York soll das Ereignis gefeiert werden. Dort treffen sich Vertreter der Gründerstaaten für eine letzte Vorbereitungs-Sitzung – auf Einladung einer Koalition von Nichtregierungs-Organisationen (NGO).
Annan: «Abschreckungsmittel gegen Grausamkeiten»
UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat den Start des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) als «historisches Ereignis» gewürdigt.
Das Gericht stehe für die zentrale Rolle, welche die Rechtsprechung in internationalen Beziehungen spiele. «Die Welt erhält mit dem neuen Gerichtshof ausserdem ein wichtiges Abschreckungsmittel gegen künftige Grausamkeiten.»
Gegen Straflosigkeit von schlimmsten Verbrechen
Beim Aussenministerium in Bern begrüssen die Verantwortlichen die Geburt der neuen Institution, man verweist darauf, dass «die Schweiz aktiv an der Entstehung mitgemacht» habe. Allerdings wird auch betont, dass die Zukunft des ICC von der raschen und vollständigen Zusammenarbeit der Vertrags-Staaten abhänge.
Für Dominique Reymond, persönlicher Schweizer Berater von Carla del Ponte, der Chefanklägerin des internationalen Kriegsverbrecher-Tribunals für Ruanda und Ex-Jugoslawien, markiert der 1. Juli 2002 «einen weiteren und bedeutenden Schritt gegen die Straflosigkeit der Mächtigen und gegen die schlimmsten Verbrechen, welche im Namen eines Staates begangen werden».
Erstaunlich rasches Vorgehen
Auch Adrien-Claude Zoller, Direktor in Genf bei einer NGO für Menschenrechte und Mitglied der Koalition in New York, freut sich über das Tempo: «Vor allem, weil nicht zu erwarten war, dass es bis zur Inkraftsetzung so schnell gehen würde.»
Zoller weist darauf hin, dass Regierungen immer widerspenstig und empfindlich reagierten gegenüber Verfahren, in welche sie selber verwickelt werden könnten. Zudem hätten sich Politiker zu diesem Strafgerichtshof äussern müssen, die wissen, dass dessen Justiz sich eines Tages gegen sie selber richten könnte.
Ständige Einrichtung notwendig
Beim Schweizer Aussenministerium beschäftigt sich Jürg Lindenmann seit Jahren mit dem Dossier ICC. Er hat die Wende an der Konferenz in Rom 1998 noch gut in Erinnerung, als – entgegen allen Erwartungen – das Statut für den ICC endlich entstand. Dies unter anderem, weil ein ständiger Strafgerichtshof einem dringenden Bedürfnis entsprach.
«Das vergangene Jahrhundert gehörte zu den brutalsten. Man musste ad hoc-Tribunale ins Leben rufen, so in Nürnberg und Tokio nach dem zweiten Weltkrieg, in Den Haag und Arusha nach den schrecklichen Ereignissen in Ex-Jugoslawien und Ruanda.»
Deren Arbeit sei sehr wichtig gewesen, so Lindenmann: «Doch man hat gemerkt, dass es längerfristig keine Lösung sein kann. Zudem entstanden diese Tribunale immer zu spät.»
«So ist Schritt für Schritt die Überzeugung gewachsen, dass es eine permanente Einrichtung braucht – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen.»
Das Erbe von Den Haag und Arusha
«Bis zu den beiden Tribunalen zu Ruanda und Ex-Jugoslawien gab es überhaupt keine solche Rechtssprechung auf internationaler Ebene», betont Jürg Lindenmann. «Der künftige Strafgerichtshof wird von diesen Arbeiten profitieren können.»
Del Ponte-Berater Dominique Reymond verweist auf die präventive Wirkung: Nach der Veröffentlichung der Anklageschrift sei Slobodan Milosevic zur «persona non grata» erklärt worden. Als Folge davon hätten die mazedonischen Politiker ihre Militärführer vor jeglicher Menschenrechtsverletzung gewarnt.
Garantien für die Zukunft
Die Erfahrungen der bisherigen ad hoc-Tribunale garantieren natürlich die Wirksamkeit des zukünftigen ICC noch nicht. Aber Adrien-Claude Zoller sieht noch andere Gründe für seinen Optimismus, zum Beispiel den Umstand, dass sich der neue Gerichtshof auf eine universelle Rechtssprechung ausrichtet:
«Die Staaten, welche bei diesem neuen System der internationalen Strafjustiz mitmachen, müssen ihre eigenen Gesetze anpassen. Sie müssen festlegen, dass sie die universelle Rechtssprechung für gewisse Verbrechen anerkennen», sagt Zoller. Wer Menschen gefoltert habe, könne nicht mehr ungestraft in diesen Staaten herumreisen.
Auch in der Schweiz tritt übrigens am 1. Juli ein Gesetz in Kraft, welches die Modalitäten in der Zusammenarbeit mit dem ICC regelt.
Amerika droht
74 Länder haben bisher die Statuten des ICC ratifiziert. Für viele Beobachter ist die grösste Bedrohung für das Funktionieren des Strafgerichtshofes nicht nur das Abseitsstehen der Vereinigten Staaten, sondern vor allem die Haltung der Bush-Administration.
Die USA befürchten politisch motivierte Anklagen gegen ihre Bürger, vor allem gegen US-Soldaten im Ausland. Sie verlangen deshalb, dass die neuen UNO-Mandate US-Soldaten in Bosnien exemplarisch Immunität verleihen. Damit wären sie vom Zugriff des ICC ausgeschlossen.
Erste Folge der amerikanischen Ängste: Die USA haben ihr Veto eingelegt gegen die 6-monatige Verlängerung des Mandates der UNO-Friedensmission in Bosnien.
Allerdings wollen die anderen Ratsmitglieder des Sicherheitsrates nicht nachgeben, sie fürchten einen Präzedenzfall.
Vorläufig ist das Bosnien-Mandat um einige Tage verlängert worden, damit soll Zeit für eine Lösung gewonnen werden.
Zusammenarbeit diene auch den USA
Adrien-Claude Zoller zuckt mit den Schultern: «Nur weil die USA, und seien sie noch so mächtig, abseits der internationalen Gemeinschaft stehen, soll dies die anderen Regierungen nicht daran hindern, ihre Arbeit in Angriff zu nehmen!»
Diesen Worten widerspricht auch Jürg Lindenmann nicht: «In der momentanen Situation ist es wichtig, dass die USA die Option offen halten, mit dem Strafgerichtshof zu kooperieren – so wie sie es auch gemacht haben bei Kriegsverbrecher-Tribunalen. Und vielleicht werden sie verstehen, dass diese Zusammenarbeit auch ihren eigenen Interessen dient.»
Bernard Weissbrodt und Agenturen
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