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«Strafhöhe schreckt Täter nicht ab»

Keystone

Die Gesellschaft brauche zwar Strafen, sagt Bundesrichter Hans Wiprächtiger in einem Interview mit der Neuen Luzerner Zeitung, abschreckender sei aber eine schnellere Gangart der Strafjustiz.

Der Luzerner Bundesrichter Hans Wiprächtiger wünscht sich eine Aufstockung der Richterstellen. Damit könnten Justizverfahren rascher bearbeitet werden. Dies sei besonders bei Jugendstrafverfahren wichtig.

Weiter hält er eine Vergrösserung der Polizeiverbände für sinnvoll. «Fest steht nach anerkannten Studien, dass die Furcht, entdeckt zu werden, am ehesten potentielle Kriminelle davon abhalten kann, Delikte zu begehen.»

Prävention

Die Zahl der Delikte lasse sich auch nicht durch eine Erhöhung der Strafmasse vermindern, gibt sich Wiprächtiger überzeugt. Mehr Erfolg versprächen präventive Bemühungen in Familie, Schule, Erziehung und einer ordentlichen Berufsausbildung.

Wiprächtiger führt ins Feld, dass in den USA pro Kopf achtmal mehr Gewalttaten begangen würden als in der Schweiz – trotz Todesstrafe und massiv hohen Freiheitsstrafen. «Die Menschen kalkulieren ja kaum vernünftig, bevor sie ein Delikt begehen.»

Strafrechtsrevision nicht nötig

Wiprächtiger sieht für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpfs Ankündigung, das erst vor zwei Jahren revidierte Strafrecht zu verbessern, keinen Handlungsbedarf. Dies gilt auch für die Absicht, bei gewissen Delikten das Strafmass anzuheben.

Es handle sich um eine rechtspolitische Frage, ob man Vergewaltiger härter bestrafen wolle. Dies müsse das Parlament entscheiden.

Eine einseitige Anpassung könnte aber auch gefährlich sein. «Eine Mindeststrafe bei Vergewaltigungen von beispielsweise drei Jahren läge weit über derjenigen für einen Totschlag.» Dies würde laut Wiprächtiger kaum mehr ins Strafgefüge passen.

Bedingte Strafen unwirksam?

Explizit hält der Bundesrichter an Geldstrafen fest, besonders wenn diese bedingt ausgesprochen seien. «Ich sehe nicht ein, warum bedingte Geldstrafen weniger abschreckend sein sollen als bedingte Freiheitsstrafen.»

Vollzogen würden ja beide nicht, wenn sich der Täter nichts mehr zu Schulden kommen lasse. Für Wiprächtiger steht die Verurteilung, der Schuldspruch im Vordergrund. Geldstrafen würden auch von den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Österreich sowie von den skandinavischen Ländern seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet.

Den bedingten Strafvollzug hält Wiprächtiger zudem für eine höchst wirksame Strafe: «Die Rückfallquote ist in der Schweiz tief, bei Gewaltdelikten liegt sie weit unter 10 Prozent.» Deshalb sei der bedingte Strafvollzug zu Recht noch erweitert worden. «Sonst füllen wir einfach die Gefängnisse.»

swissinfo

Seit 1990 ist der Sozialdemokrat Hans Wiprächtiger aus dem luzernischen Entlebuch Bundesrichter in Lausanne.

Er ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kriminologie.

Mit dem Freiburger Strafrechtsprofessor Alexander Niggli hat er zwei Standardkommentare über das Strafgesetzbuch herausgegeben.

Die Universität Freiburg hat ihm ein Ehrendoktorat verliehen.

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