Stunde der Wahrheit für Cannabis-Freigabe
Die Grosse Parlamentskammer debattiert am Montag über die Revision des Betäubungsmittel-Gesetzes.
Besonders umstritten ist die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums.
Das heutige Betäubungsmittelgesetz (BetmG) stammt aus dem Jahr 1951 und wurde 1975 revidiert. Seither hat sich in Sachen Drogenkonsum vieles verändert. Aus diesem Grund schlug die Regierung 2001 eine Gesetzes-Revision vor.
Das geltende Gesetz, das auf den vier Pfeilern Prävention, Therapie, Repression und Risikoverminderung basiert, soll ergänzt werden.
Im Bereich der Therapie soll die ärztlich kontrollierte Heroin-Abgabe an Schwerstsüchtige im Gesetz verankert werden, eine Methode, die in mehreren Kantonen seit vielen Jahren praktiziert wird.
Risikoloser Konsum
Problematisch ist einzig die geplante Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums. Bereits jetzt drückt die Polizei häufig ein Auge zu. In Zukunft würden Joint-Liebhaber strafrechtlich nicht mehr verfolgt.
Vorgeschlagen wird im weiteren, die Bestimmungen beim Anbau von Cannabis für den Eigengebrauch zu lockern.
Gemäss einer Studie, die 2002 von der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme veröffentlicht wurde, konsumieren über 500’000 Personen in der Schweiz regelmässig oder gelegentlich Cannabis.
Die in der Revision vorgesehene Liberalisierung hat zum Ziel, das BetmG der heutigen Realität anzupassen.
«Das heutige Gesetz, welches den Konsum von Cannabis ahndet, kann kaum mehr mit vernünftigen Mitteln angewendet werden. Der Gesetzgeber muss sowohl der gesellschaftlichen Realität Rechnung tragen wie auch Polizei und Rechtssystem entlasten», heisst es in der Botschaft des Bundesrates.
Verkauf und Anbau von Hanf sollen künftig bis zu einem gewissen Grad toleriert werden. Die Details müssen von der Regierung noch festgelegt werden.
Liberalisierung kurz vor dem Absturz
Laut Bundesrat stellt diese Liberalisierung keine Gefahr dar, da gleichzeitig die flankierenden Präventions-Massnahmen gegen Drogensucht verbessert würden.
Die Regierung hält im übrigen fest, dass «ein gemässigter Cannabis-Konsum die Gesundheit nicht mehr gefährdet als jener von anderen legalen Substanzen», – wie Tabak und Alkohol.
Die geplante Straffreiheit für den Konsum von Cannabis hat in den letzten drei Jahren dennoch zu einem hitzigen Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern geführt.
Merkwürdig ist, dass sich der Ständerat, die kleine Kammer, trotz ihrem eher konservativen Ruf bereits zwei Mal für Eintreten auf die Revision des Betäubungsmittelgesetzes ausgesprochen hat.
Der Nationalrat, die grosse Kammer, hingegen hat den Entwurf im vergangenen September mit 96 zu 86 zurückgewiesen. Sowohl die Schweizerische Volkspartei, die Liberale Partei wie auch eine Mehrheit der welschen Christlich-Demokraten und Freisinnigen wollen von einer Revision nichts wissen.
Vor diesem Hintergrund kommt der Debatte vom Montag grösste Wichtigkeit zu. Sollte der Nationalrat erneut Nicht-Eintreten beschliessen, würder der Revisions-Entwurf begraben und der Bundesrat müsste erneut über die Bücher.
Umstrittener THC-Gehalt
Die letzte Abstimmung im Nationalrat hatte kurz vor den nationalen Wahlen vom Oktober stattgefunden, was sich auf die Debatte ausgewirkt haben könnte.
Gewisse Abgeordnete wollten möglicherweise ihre Wähler bei einem solch delikaten Thema nicht vor den Kopf stossen und erteilten der Vorlage eine Absage.
Vielleicht werden einzelne Parlamentarier – jetzt, da keine Wahlen anstehen – ihre Meinung geändert haben. Sicher ist allerdings nichts, denn inzwischen ist ein neues Element aufgetaucht.
In jüngster Zeit wurde in den Medien wiederholt darauf hingewiesen, dass der Gehalt von THC (Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol) 20% erreicht habe. Mit andern Worten: Der Joint von heute «fährt viel stärker ein» als noch vor 10 oder 20 Jahren.
Alles mit Mass
Für Janine Messerli, Sprecherin der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA), ist die Unterscheidung zwischen weichen und harten Drogen, die vor allem auf kulturellen und nicht wissenschaftlichen Kriterien beruht, überholt.
Ein hoher THC-Gehalt habe Vorteile und Nachteile: Einerseits müsse weniger geraucht werden, um eine Wirkung zu erzielen, andererseits aber könnten Leute, die wenig geübt seien, von dieser starken Konzentration überrascht werden.
In den Augen der SFA ist alles eine Frage des Masses: «Wenn Sie täglich eine Flasche Wodka trinken, muss man auch von einer harten Droge sprechen», betont Jeanine Messerli.
Jedenfalls: Die SFA befürwortet die Freigabe von Cannabis. «Mit einer Entkriminalisierung wird es einfacher, mit den Konsumentinnen und Konsumenten in Kontakt zu kommen und Prävention zu betreiben.»
swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)
Das Betäubungsmittelgesetz stammt aus dem Jahr 1951.
1975 wurde es revidiert.
Am 14. Juni kommt die Revision in den Nationalrat.Sie will den Konsum von Hanf straffrei machen, Handel und Anbau regeln sowie einen besseren Rahmen für Prävention und Jugendschutz schaffen.
Bei Nichteintreten, bleibt alles beim Alten.
Ende der 90er-Jahre verwarf das Schweizer Stimmvolk die restriktive Volksinitiative «Jugend ohne Drogen» ebenso wie die «Droleg-Initiative», die für die weitgehende Freigabe von Cannabis warb.
2003: Der Nationalrat beschliesst Nicht-Eintreten auf die Gesetzes-Revision.
Der Ständerat ist für die Revision des Gesetzes.
Der Präsident der kantonalen Polizeikommandanten und der Verband Schweizerischer Polizeibeamter fordern die Hanf-Legalisierung.
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