Suche nach Pannen bei der Terrorbekämpfung
Wie war es möglich, dass die Schweizer Behörden einen Terror-Verdächtigten beinahe nicht erkannten und auswiesen? Die Untersuchungen laufen.
Nun soll die Schweiz Mohammed Achraf an Spanien ausliefern. Doch dieser hat Rekurs eingelegt.
Achraf wird beschuldigt der Anführer einer islamistischen Zelle zu sein, die einen Anschlag auf den Nationalen Gerichtshof in Spanien geplant haben soll.
Der mutmassliche Algerier wurde am 28. August wegen Verstoss gegen die Ausländergesetzgebung festgenommen und in Ausschaffungshaft am Flughafen Zürich gesetzt. Er lebte seit einiger Zeit in der Schweiz und war nur per Zufall dingfest gemacht worden.
Die Informationen über den Terror-Verdacht gegen den Mann hatten Bern nicht etwa via einen Polizeicomputer, sondern über die spanischen Medien erreicht.
Der 31-jährige Achraf hätte nämlich am 19. Oktober aus der Schweiz ausgewiesen werden sollen. Kurz davor erhielt die Schweizer Polizei Kenntnis vom Suchbefehl aus Spanien.
Die Schweizer Bundesanwaltschaft räumt ein, dass sie die ersten Hinweise über die mutmassliche Identität des Algeriers aus den spanischen Medien bezog.
Die Schweizer Bundespolizei Fedpol bestätigte dann am vergangenen Mittwoch, dass es Zusammenhänge zwischen Achraf und islamistischen Extremisten gebe.
Allerdings weigerte sich Fedpol-Sprecher Guido Balmer einen Bericht des Schweizer Nachrichtenmagazins «Facts» zu kommentieren. Dort steht, dass die Schweizer Behörden Achraf bereits im letzen Monat verhört hätten.
Zwei separate Verfahren sollen nun klären, warum die Schweiz so lange brauchte, um die Identität Achrafs festzustellen.
Nachrichtenpanne
Eine parlamentarische Kommission kündigte am Mittwoch an, man werde untersuchen ob und warum es zu einer Panne in der Kommunikation zwischen den Justiz- und den Polizeibehörden gekommen ist.
«Wir müssen hier aktiv werden», sagte Ständerätin und Kommissionspräsidentin Helen Leumann-Würsch.
Gemäss Leumann-Würsch sollen Verteidigungsminister Samuel Schmid und Justizminister Christoph Blocher aufgefordert werden «die Fakten auf den Tisch zu legen».
Insbesondere will die Kommission wissen, ob es Kontakte zwischen der Bundesanwaltschaft und den verantwortlichen Polizeibehörden des Ausschaffungsgefängnisses in Zürich-Kloten gegeben hat.
Unbehelligt
Offiziellen Aussagen zufolge konnte Achraf nämlich ungehindert Telefongespräche führen und ungeprüfte Mails aus der Asylunterkunft versenden, weil die Behörden keine Ahnung hatten, dass es sich um einen Terrorverdächtigten handelte.
Es wird vermutet, dass die spanische Polizei Anrufe und Mails von Achraf abgefangen hat, die dieser aus Zürich führte.
Der verdächtigte Algerier selber hatte im April 2003 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Dieses wurde sechs Monate später abgelehnt. Bis zu seiner Festnahme am 28. August war er untergetaucht.
Nun haben letzte Woche Fingerabdrücke, welche ihm seinerzeit bei seinem Asylantrag abgenommen wurden, die Identität Achrafs bestätigt.
Anfang dieser Woche hatten die Justizbehörden und die Polizei angekündigt, man werde intern untersuchen, was im Fall Achraf falsch gelaufen sei.
Grenzüberschreitende Kriminalität
Während sich die Untersuchungen vermutlich auf eine Panne in der Kommunikation zwischen den Behörden konzentrieren werden, wurde auch darauf hingewiesen, dass die Schweiz bei der Aufklärung von internationaler, «grenzüberschreitender» Kriminalität ins Abseits gelangt.
Die Schweiz ist nicht Mitglied der Europäischen Union und hat somit keinen Zugriff auf das Schengen Informations-System (SIS). Dies enthält über 11 Mio. Einträge über Personen und Verbrechen.
Die Schweiz hat auch keinen Zugang zur europäischen Fingerabdruck-Datenbank Eurodac. Diese erlaubt es herauszufinden, ob ein Asylbewerber bereits in einem andern EU-Land einen Asylantrag gestellt hat.
Dies wird sich erst ändern, falls die Schweiz das Abkommen von Schengen/Dublin im Rahmen der Bilateralen Verträge II mit der EU ratifiziert.
Das Nachrichtenmagazin «Facts» allerdings schreibt zu diesem Sachverhalt: «Was nützt Schengen, wenn es eklatantes menschliches Versagen nicht verhindern kann?»
Mehr Kriminalität
Die rechtsgerichtet Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Gruppe für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) wollen das Abkommen von Schengen/Dublin verhindern.
Sie befürchten durch die offenen Grenzen eine Zunahme der internationalen Kriminalität in der Schweiz. Eine Meinung, welche die kantonalen Polizeibehörden in der Schweiz nicht teilen.
Laurent Moreillon, Professor am Institut für Kriminalistik und Strafrecht an der Universität Lausanne, glaubt, dass die Affäre Achraf bei einem Zugang zu SIS anders verlaufen wäre.
«Ich denke mit dem Schengen-System wären die Dinge wesentlich besser gelaufen», sagt Moreillon gegenüber swissinfo.
Spanien will Auslieferung
Die Schweiz hat mittlerweile von den spanischen Behörden ein Auslieferungs-Gesuch für Mohammed Achraf erhalten. Spanien wirft Achraf vor, er sei der Kopf einer Zelle von Selbstmordattentätern, die einen mit 500 Kilogramm Sprengstoff beladenen Lastwagen vor dem Nationalen Gerichtshof im Zentrum der spanischen Hauptstadt zur Explosion bringen lassen wollten.
Achraf, der in Zürich in Untersuchungshaft genommen wurde, hat gegen eine Auslieferung Beschwerde eingelegt. Die Schweizer Untersuchungsbehörden liessen verlauten, das Verfahren könne etliche Monate dauern.
Auch die Bundesanwaltschaft hat mittlerweile eine Strafuntersuchung gegen Achraf eingeleitet.
swissinfo und Agenturen
Zeittafel
April 2003: Mohammed Achraf stellt am 6. April 2003 ein Asylgesuch in der Schweiz.
Oktober 2003: Das Asylgesuch wird abgelehnt
August 2004: Achraf wird in der Schweiz verhaftet.
20. Oktober 2004: Die spanische Polizei verdächtigt Achraf einen Terroranschlag vorbereitet zu haben.
21. Oktober 2004: In der Schweiz beginnen die Untersuchungen gegen Achraf.
22. Oktober: Achraf rekurriert gegen seine Auslieferung an Spanien
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch