Sucht nach Glück im Spiel endet oft im Unglück
Den Casino-Jackpot knacken, die richtigen sechs Lottozahlen tippen, aufs Siegerpferd setzen und gross absahnen. Für rund 100'000 Menschen in der Schweiz hat sich dieser Traum allerdings in einen Alptraum verwandelt. Ein Beispiel.
Peter K. (Name der Redaktion bekannt) steht am Abgrund. Der grossgewachsene Mann mit sympathischem Auftreten und gewinnendem Lächeln hatte alles, was man nach allgemeiner Ansicht für ein gutes Leben braucht: Eine nette Frau, zwei Kinder, ein eigenes Haus, einen guten Job bei einer Schweizer Bank. In der Garage stand ein Auto der Oberklasse.
Davon ist nichts übriggeblieben: Haus und Auto wurden zwangsversteigert, die Ehe geschieden. Geblieben ist ein Schuldenberg von weit über einer Million Franken. Geld, das er voraussichtlich nie zurückzahlen kann. Er wird wohl auch das Riesenloch in der Pensionskasse seiner damaligen Ehefrau nicht wieder stopfen können, die er für seine Kartenspielsucht mit illegalen Mitteln geplündert hatte.
Peter K. steht zudem vor einem Strafprozess wegen Unterschlagung und Urkundenfälschung. Frau und Kinder wollen mittlerweile nichts mehr mit ihm zu tun haben. Zu tief sind die Wunden, die seine Spielleidenschaft und auch seine wiederholten Lügen hinterlassen haben. Das Vertrauen in den Vater und Ehemann ist zerstört.
Der Weg zum pathologischen Zocker
Wieso setzt jemand seine persönliche und berufliche Existenz aufs Spiel? Wie wird aus einem Gelegenheitsspieler ein pathologischer Zocker? «Da braucht es Risikobereitschaft, wenn man es positiv formulieren will, negativ formuliert würde man von einer mangelhaften Impulskontrolle sprechen», erklärt Ines Bodmer, Fachpsychologin für Psychotherapie, gegenüber swissinfo.ch.
Spielsüchtige rekrutieren sich zu 80% aus Männern. «Risikobereitschaft ist etwas typisch Männliches», so Bodmer. In einer Spielerkarriere spielen verschiedenste Faktoren eine Rolle: «Je jünger man beim Einstieg ist, desto gefährdeter ist man. Die Genetik spielt wie bei anderen Süchten auch eine Rolle. Aber auch wenn zu Hause bereits um Geld gespielt wurde, ist man gefährdeter.»
Aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz sei nicht zu unterschätzen, sagt die Psychologin: «Poker ist zur Zeit cool.»
Schulden dagegen werden geächtet. Nicht mit Geld umgehen zu können, sei peinlich, dafür schäme man sich. «Glücksspielsucht steht gesellschaftlich jedoch weniger in der Kritik als Alkohol- oder Heroinsucht» sagt Ines Bodmer.
Hilfe kommt meist (zu) spät
Die meisten Spieler suchen erst dann Hilfe, wenn die Auswirkungen ihrer Leidenschaft bereits einigen Schaden angerichtet haben. «Meistens kommen sie nicht ganz freiwillig. Der Erstkontakt kommt fast immer aus dem Umfeld. Es sind verzweifelte Ehefrauen oder Schwestern, aber auch Arbeitgeber, die finden, so gehe es nicht weiter», erklärt die Psychologin.
Weiter habe vorher meist ein Zusammenbruch stattgefunden. Etwa wenn die Ehefrau Kreditkartenabrechnungen gefunden habe oder Geld in der Kasse des Arbeitgebers fehle.
Die eigene Sucht wird nach Ines Bodmers Erfahrungen zuerst verleugnet, bagatellisiert. «Immer ist die Hoffnung da: Wenn ich nur ein bisschen Glück hätte, wäre ich draussen. Ich höre oft von Spielern: ‘Sobald ich aus den Schulden bin, höre ich auf‘. Es ist die grosse Illusion, einmal einen grossen Gewinn zu landen und dann aufzuhören.»
Aber: Wer sich in der Verlustzone befindet, muss seinen Einsatz erhöhen, damit er wieder raus kommt aus den negativen Zahlen.
Und das geht praktisch immer schief. So auch bei Peter K., der, auch nachdem er seiner Frau zum ersten Mal von seinen Problemen berichtet hatte, nicht von seiner Sucht loskam. «Wenn ich mit solchen Leuten arbeite, ist es mir sehr wichtig, dass sie ihren finanziellen Verlust wirklich abschreiben. Das ist schmerzhaft», erklärt Bodmer.
Was ist ein krankhafter Spieler?
Gemäss einer internationalen Definition wird aus exzessivem Spielverhalten Sucht, wenn dessen Inhalt zum Lebensmittelpunkt wird, wenn die Kontrolle über die Intensität und Häufigkeit des Spielens verloren geht, wenn man dem Verlust nachrennt nach dem Prinzip: «Das hole ich mir wieder.»
«Das grundsätzlichste Unterscheidungsmerkmal zwischen Hobby und Sucht: Man spielt weiter, auch wenn dies negative Auswirkungen auf die Lebenssituation hat, beim Job, oder in der Familie. Wenn man das Zocken nicht mehr im Griff hat, wenn es nur noch selbstschädigend ist, handelt es sich um eine Sucht» so Bodmer.
Ist Glücksspielsucht heilbar?
Die Psychologin, die Einzel-, Familien – und Gruppentherapien anbietet, ist überzeugt, dass man Glücksspielsucht – wie andere Süchte auch – heilen kann: «Die Spontanheilungsquote beim Glücksspiel ist sogar recht hoch. Es handelt sich oft um eine Phase, in der man spielt und dann wieder aufhört. Dazu beitragen kann auch ein einschneidendes Lebensereignis. Grundsätzlich gilt: Reden hilft, Therapie hilft.»
Die Rückfallgefahr bewegt sich laut Bodmer in einem ähnlichen Rahmen wie bei substanzgebundenen Abhängigkeiten: Sie zitiert die so genannte Drittel Faustregel: «Ein Drittel bleibt unverändert, ein Drittel bessert sich und ein Drittel bleibt abstinent.»
Sie wendet sich gegen die landläufig geäusserte Meinung, ein Rückfall reisse den Süchtigen automatisch wieder ins Verderben. «Die Meinung, dass man nach einem Glas Alkohol wieder in die Sucht zurückfällt, entpuppt sich meist als selbsterfüllende Prophezeiung. Denn wenn Sie von der Prämisse ausgehen, dass ein Glas den Totalabsturz bedeutet, dann werden Sie sofort die ganze Flasche leeren.»
Richtiger sei, die Tatsache, ein Glas getrunken zu haben, nicht als totales Fiasko zu definieren. «Der renommierte Suchtfachmann Jörg Petry schlägt vor, von Vorfällen zu sprechen statt von Rückfällen. Das macht es schon weniger dramatisch. Es sei wichtig, den Vorfall zu ‹entkatastrophisieren›, zu entmystifizieren», sagt Bodmer.
Heilung sei kein gradliniger Prozess. «Sie verläuft nicht linear. Es kann ein bisschen vorwärts gehen, auch ein wenig zurück, wichtig ist, dass sich insgesamt etwas bewegt», ist Ines Bodmer überzeugt.
Peter K. befindet sich noch am Anfang eines langen schweren Weges. Er hat zwar eine Therapie begonnen, aber Arbeitslosigkeit, zivil- und strafrechtliche Prozesse und das Desaster im familiären Umfeld werden dafür sorgen, dass sein Leben nicht so schnell in ruhigeren Bahnen verlaufen wird.
In der Schweiz sind sieben A-Casinos (Tischspiele und Slot-Maschinen) und 12 B-Casinos (nur Spielautomaten) in Betrieb.
2008 erreichte der Bruttospielertrag der Schweizer Casinos 992 Mio. Fr., davon kamen von den 3743 Glücksspielautomaten 796 Mio. Fr., die Tischspiele trugen 196 Mio. bei.
Lotterie- und Wettspielangebote verzeichneten im selben Jahr 911 Mio. Fr. Bruttospielerträge.
2008 entrichteten die Casinos eine Spielbankabgabe von 517 Mio. Fr. an die AHV und die Standortkantone.
Swisslos und Loterie Romad gaben den Kantonen für soziale, kulturelle und sportliche Zwecke 535 Mio. Fr. von den ihnen zugeflossenen Gewinnen ab.
60% der Bevölkerung über 15 Jahren haben mindestens eine Erfahrung im Glücksspiel gemacht.
In der Schweiz werden am meisten gespielt: Lotterien und Wetten. Erst dann folgen die Casinos. Glücksspiele im Internet werden bisher noch weniger genutzt, doch die Tendenz ist steigend.
Gemäss einer Studie zeigten 2005 rund 0,8% der Bevölkerung ein risikoreiches Glücksspielverhalten auf. Weitere 0,5% waren spielsüchtig, «Pathologische Spielerinnen und Spieler. Dies entspricht ca. 80’000 Personen.
Gemässs einer anderen Studie weisen in der Schweiz über 120’000 Personen ein problematisches oder pathologisches Glücksspielverhalten auf.
Über 23’000 Personen in der Schweiz sind mit einer Casinosperre belegt.
70 bis 80% der Personen mit exzessivem Spielverhalten sind Männer.
Casinos allein verursachen jährlich rund 70 Mio. Fr. Glücksspielsucht-Kosten. Dazu gehören der Ausfall von Arbeitsleistungen, Behandlungen, Gerichtsverfahren bei Beschaffungsdelikten oder Scheidungen.
Für Glücksspiele ausserhalb der Casinos liegen derzeit keine Schätzungen vor, wie viele Kosten sie verursachen.
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