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Teure Selbstmordversuche und Suizide

Das Gesundheitswesen trägt den Löwenanteil der von Suizidversuchen verursachten Kosten. Keystone Archive

Der Schweiz entstehen wegen Selbstmorden und Suizidversuchen jährlich Kosten von rund 2,5 Mrd. Franken. Ein wirksameres Vorbeugen ist angesagt.

In der Schweiz nehmen sich jedes Jahr rund 1360 Menschen das Leben. Die Anzahl Versuche ist um ein Vielfaches höher.

Die Schweizer Regierung schätzt aufgrund einer Untersuchung des Jahres 1997 die Anzahl der jährlich unternommenen Selbstmordversuche auf 20’000 bis 67’000.

«Das bedeutet, dass sich täglich möglicherweise etwa 183 Menschen zu töten versuchen», wie Ludwig A. Minelli, Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention (SGEMKO), am Donnerstag vor den Medien ausführte.

Im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe

Der Sozialdemokratische Nationalrat Andreas Gross hatte 2001 eine entsprechende «parlamentarische Anfrage» eingereicht, um das Suizidgeschehen im Land besser zu untersuchen. Anfang 2002 antwortete der Bundesrat und publizierte Statistiken.

«Zudem bewegt sich unser Land im internationalen Vergleich bezüglich der amtlich registrierten Selbstmorde in der Spitzengruppe», steht unter anderen in der Stellungnahme der Regierung.

«Es gab keine Reaktionen, als die Regierung dem Parlament erklärte, dass sich in der Schweiz jährlich rund 67’000 Leute umzubringen versuchen und nur 1350 dies auch erreichen», sagte Minelli.

Nun hat die SGEMKO eine Studie zu den Folgekosten von Suizid und Suizidversuchen verfassen lassen und am Donnerstag vorgestellt. Studien-Autor Peter Holenstein kommt auf eine jährliche Kostensumme von fast 2,5 Mrd. Franken.

Der Grossteil entfällt aufs Gesundheitswesen

Davon schlagen rund 2,4 Milliarden im Gesundheitswesen zu Buche. Und dennoch habe es gemäss der Studie die Gesellschaft bislang versäumt, sich mit diesem Tabu-Thema ausreichend zu befassen.

Von den 2,5 Milliarden Gesamtkosten entfallen etwas mehr als 65 Mio. Franken auf effektive Selbsttötungen, unter anderem für den Aufwand der Behörden, für begleitete Suizide sowie für Renten- und Lebensversicherungs-Leistungen.

Viel höhere Kosten, nämlich rund 2,37 Mrd. Franken, entfallen auf die Selbstmord-Versuche: Ambulante Behandlung, Spitalaufenthalt, Invaliditäts- und Pflegekosten inklusive Psychotherapie.

Keine Vorbeugung, das Tabu bleibt

Laut Minelli stehen diesem hohen Aufwand keine nennenswerten Vorbeugemassnahmen gegenüber. Die Behörden sollten diesem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken und Massnahmen ergreifen.

Ähnlich wie bei der «Stop-Aids-Kampagne» müsse das Thema aus dem Tabubereich ans Licht geholt und den Suizid-Gefährdeten echte Hilfe angeboten werden. So würden laut Minelli untaugliche Suizidversuche von vornherein unterbleiben und Kosten würden vermieden.

Zudem müsse der Zugang zum begleiteten Freitod einfacher werden. Die Erfahrung zeige, dass Menschen, denen sich diese Möglichkeit eröffnet, in den wenigsten Fällen davon Gebrauch machen.

Minelli ist überzeugt, dass eine wirksame Vorbeugung die Zahl der Versuche und der vollzogenen Suizide halbiere. Damit könnten auch hohe Kosten vermieden werden.

Der Studienautor Holenstein war 1997 und 1998 Geschäftsführer der Sterbehilfegesellschaft «Exit», bis er von der Exit-Generalversammlung abgesetzt wurde. Minelli ist Generalsekretär und Geschäftsleiter von «Dignitas».

swissinfo und Agenturen

Rund 1350 Menschen nehmen sich in der Schweiz pro Jahr das Leben.

Viel mehr, nämlich bis rund 67’000 Personen, versuchen, sich umzubringen. Auf sie entfällt der Grossteil der 2,5 Milliarden Franken Folgekosten.

1956 ergaben sich in der damaligen Schweiz mit 5 Mio. Einwohnern etwa 215 Selbstmorde pro Million Einwohner. Heute, 47 Jahre später, beträgt diese Zahl bei 7,2 Mio. Einwohnern etwa 192.

Innerhalb der Schweiz gibt es grosse regionale Unterschiede bei der Suizid-Häufigkeit. Bis 1970 gehörten die Romandie und Appenzell Innerhoden zu den Regionen mit hohen Selbstmordraten.

Nach 1970 hat sich die Situation statistisch ausgeglichen. Basel-Stadt figuriert nun unter den Kantonen mit hoher Selbstmordrate.

Studie: «Der Preis der Verzweiflung». Autor: Peter Holenstein. Auftraggeber: Schweizerische Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention (SGEMKO).
Jeder vollbrachte Selbstmord verursacht im Durchschnitt Kosten von mehr als 48’000 Franken.
Jeder versuchte Suizid verursacht Aufwendungen von annähernd 80’000 Franken.

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